zum vorherigen Tag Dienstag, 9. August 2016 zum nächsten Tag

Mein erster, neugieriger Blick aus dem Fenster ist schon mal gut - der Himmel ist blau und die Sonne beginnt langsam den beiden Häuschen auf der Lichtung im kleinen Wäldchen einen leuchtenden Glanz zu verleihen. Am Fahnenmast wiegt sich ein langer Dannebrogwimpel leise im Wind und heisst uns willkommen auf Bornholm. Auch der Hase ist schon unterwegs und sucht sich sein Frühstück in der Nähe des Gebüschs und der Heckenrosensträucher.
Aus der Küche duftet es bereits von Kaffee und frischgebackenem Brot. Unsere Gastgeber sind nicht erst gestern angekommen und haben alles bereit gemacht und eingekauft, so dass wir uns an einen reich gedeckten Frühstückstisch setzen können. Von verschiedenen Broten, Käse und Konfitüren können wir uns bedienen und schlemmen. Ein Ingwergelée, den niemand kennt, der es uns aber diese Woche antun wird, ein Danablu und der dänische Käse, als Block, ähnlich wie unser Racclettkekäse, dem wir mit einem Saiteninstrument zu Leibe zu rücken versuchen. Auch Saft, frische Früchte und Joghurt stehen auf dem Tisch. Auch etwas, das wichtig und auf der ganzen Welt echt schweizerisch angeschrieben ist: Müsli.
Aber jetzt sind wir in Dänemark und wollen probieren, diese Traditionen kennen zu lernen. Abgeleitet vom Bauern, der frühmorgens seine erste harte Arbeit im Stall erledigte und dann hungrig sein "Morgenmad" genoss, haben wir nun gespiesen. Dann folgt mittags "Frokost", welches meist kalt aufgetischt wird, aus Fisch, (Hering), Fleisch und Käse etc. besteht und abends isst man dann das "Middagsmad". Das ist warm und entspricht in etwa unserem Mittagessen.
So frisch gestärkt sind wir also bereit, unserem weiteren Tatendrang nachzugeben. Von Sven hat Knud nicht nur ein Auto bekommen, sondern auch gerade noch zwei Velos in Ergänzung zu jenen von Knud und zuerst wird vor dem Haus aus diesen Vehikeln für jede Beinlänge ein entsprechender Drahtesel angepasst. Alle haben ihre Velohelme und zum Teil gar einen windschlüpfrigen Dress mitgebracht. Knud hat einen Dreigänger auf meine Wasserfallhöhe angepasst und mit Lykke-Lises Helm ausstaffiert, probiere ich nun klopfenden Herzens aus, wie sich das Gefühl nach vierzig velofreien Jahren anfühlt. Zugegeben, eine kleine Ausnahme vor 16 Jahren war da, als ich mit Rysiu auf Föhr für einen oder zwei Tage ein Velo mietete. Eine erste Proberunde auf dem Fåregårdsvej fällt noch ganz passabel aus, allein beim Bremsen an den Rücktritt zu denken, wäre vielleicht nützlich. Dann kann's also losgehen: Bornholm - wir kommen!
Wer aber gedacht hat, eine Dänische Insel sei flach und eben, weil man ja keine Berge kennt, irrt sich da ein bisschen. Knuds Sommerhaus liegt auf etwa 100 m.ü.M. und von der Strasse aus (und im Winter, wenn es keine Blätter im Gartenwäldchen hat, auch vom oberen Zimmer, welches Hedi und ich uns teilen), kann man Richtung Nordosten in gut zwei Kilometern Entfernung das Meer sehen. Schon im ersten Kilometer auf unserem Weg bis Olsker ist bereits ein kleines Tälchen zu überwinden, für mich steil genug, um beim Wiederaufstieg abzusteigen und zu stossen. Wenigstens tröstet mich die Tatsache, dass eine einheimische Frau hier auch absteigen muss. Nur Herbert schafft das natürlich spielend, er macht es wie seinerzeit Ria auf den Wanderungen. Er ist voraus und wenn wir nicht nachziehen, kommt er zurück, um aufs neue den Weg zu pfaden. Wir kommen zur Rundkirche in Olsker, einer ehemaligen Wehrkirche, die einen Besuch wert wäre. Aber das machen wir später, vielleicht wäre der Sonntag eine Möglichkeit. Zum Beginnen hat Knud für heute eine Tour ausgesucht, die nicht allzu anstrengend sein sollte. Wir können meistens den sehr gut angelegten Velowegen Richtung Westen folgen. Bald staunen wir über die ausgedehnten Kornfelder, welche golden, reif und stramm auf ihre baldige Ernte warten. Es ist auffallend, wie unversehrt hier die Felder stehen, nicht wie bei uns, wo dieses Jahr Unwetter soviel Getreide niedergewalzt haben. Wir fahren alles über Land, selten sieht man ein Gehöft und irgendwann kommen wir zur Autostrasse, auf welcher man auf der westlichen Seite die Insel umrundet. Dort folgen wir einem braunen Wegweiser, der mit einem Schleifenquadrat eine Sehenswürdigkeit ankündet.

Rostgaards Sommerhaus Drahtesel werden angepasst Olafs Kirche oder Olsker weite Kornfelder Kormoran im Steinbruch Ringebakkebruddene

Bald begrüsst uns ein Kormoran, oder war es doch ein Pinguin? ;-) nahe bei einem kleinen See in seinem Reich, den Ringebakkebruddene. Das war bis vor noch nicht allzu langer Zeit ein Granitsteinbruch, der nun aber in ein Naturschutz und Erholungsgebiet umgewandelt wurde. Ein Car bringt Touristen zum Ausgangspunkt des Klippenwanderwegs und auch die senkrechten Wände des Steinbruchs fordern Kletterer heraus. Nur am Himalaya, dem Felsen direkt über dem aufgefüllten See ist Klettern verboten, wie wir auf der Infotafel erfahren können. Wir stossen unser Velo vorbei an den Nevadaklippen und kosten dabei den immer stärker und kälter werdenden Wind aus, der durch einen engen hohen Spalt in der noch verbliebenen Granitmauer vom Meer her zu uns herauf bläst. Wir sind also bereits auf der andern Seite der Insel, beim Vang Pier angelangt, wo der Wind meine Ohren malträtiert und es nach Fisch riecht. Hundert Meter weiter nördlich liegt verträumt das winzige Fischerdörfchen Vang, auf dessen Hafenmauer ein kleiner Leuchtturm den Fischern den Weg in den schützenden Hafen signalisiert.
Während mich die überdimensional grossen Hagebutten der hiesigen Heckenrosen faszinieren, hat Herbert andere Sorgen. Irgendwas an seinem Lenker ist nicht stabil und Knud versucht ihm zu helfen. Mit geübtem Kennerblick erkennt Hans, dass ein passendes Werkzeug fehlt und mit Gesten, Händen und Füssen schafft er es in kürzester Zeit, von einem Mann, der dort in der Nähe vor seinem Haus steht, Hilfe zu erhalten.

wo der Wind weht der Himalaya hier ist klettern erlaubt im Spalt vom Meer her im Fischerdörfchen Vang

Dann geht's weiter und bis wir langsam das ebene Plateau der Insel, das meist auf 100 m.ü.M. seine weiten Kornfeldern ausdehnt, wieder erreichen, fahren wir durch Wald und Heidegebiet mit Erlengebüsch und blühendem Erika. Dazwischen immer die felsigen, flachen Granitinseln, auf welchen sich kein Gras ansiedeln und auch keine Humusschicht bilden konnte. Ich übe mich wacker abwechselnd im Aufsteigen, Zirkeln, Absteigen und Stossen des Velos. Geht es wieder geradeaus, übe ich immer noch weiter und ich finde einfach nicht mehr zu dem Gefühl zurück, das ich einst besass und dem ich mein Velo über weite Strecken sogar freihändig anvertrauen konnte. Mein Gleichgewicht ist nicht mehr, was es mal war und neben mir herzufahren ist fast gefährlich.
Die wilden Kirschen sind überreif und der Boden ist übersät von den kleinen, zuckersüssen Früchtchen. Besser in Naschhöhe sind jedoch im Moment die gerade reifen Mirabellen, die goldgelb und manchmal auch rötlich aus den Gebüschen am Waldrand leuchten und in uns den Beeren-Sammeltrieb entfachen. Das wird unser Morgenmüesli noch versüssend bereichern.
Wir sind wieder auf der 100 Meter-Höhengrenze bei den Getreidefeldern angelangt und können gerade einem solchen Monstrum von Mähdrescher bei seiner Arbeit zuschauen. Währenddem er selber noch eine acht bis zehn Metern breite Strasse in das Kornfeld schneidet, wird bereits das fertig gedroschene Korn aus seinem Tank über einen Ausleger auf einen nebenher fahrenden Traktorcontainer abgefüllt. Während sich dieser nun gefüllt entfernt, begibt sich ein Nächster schon wieder in dessen Spur in die Startlöcher.

Hafen-Leuchtturm Hans lässt's richten Hasen am Veloweg ...und Mirabellen am Waldrand die Mähdrescher-Monster

Kurz darauf führt uns der Weg am Heim eines der bekanntesten Künstler Bornholms vorbei, dem Steinbildhauer Ole Christensen, von dessen Werken man nach seinem Tod nun viele hier in seinem Garten bewundern kann.
Und schon sind wir wieder in Olsker angelangt, kurven frischvergnügt auf der falschen Seite um die Verkehrsinsel (zum Glück hat es nicht mehr Verkehr) und schon weist uns Knud in die Einfahrt des Gildesbovej Nummer 2. Auf diese Haarnadelkurve bin ich irgendwie nicht gefasst, für eine Rücktrittsbremsung steht mein Pedal ebenfalls in einem schlechten Winkel und der Briefkasten kommt immer näher. Beim Skifahren half absitzen bei solch verzweifelten Situationen manchmal, aber mit einem Drahtesel ist das wesentlich komplizierter. Es scheppert laut und ich schäme mich noch lauter, als mir Knud zum Aufstehen die Hand reichen muss. Immerhin habe ich den Briefkasten nicht getroffen und mir ist auch nichts passiert.
Aber ich habe damit einen spektakulären Schlusspunkt markiert und zwar hinter meine Velofahr-Karriere.
Inzwischen ist schon früher Nachmittag geworden und weil er uns eine echt Dänische Frokost versprochen hat, übt sich Knud in einer Patience mit geräuchertem Hering. Golden und schwarz glänzende Fische müssen von ihren Gräten befreit werden. Ich möchte behilflich sein, aber weil ich nicht richtig zugeschaut habe, realisiere ich zu spät, dass man den Fisch nur entgräten, die Filets aber noch in der Haut belassen sollte. So komme ich nun halt nur in den Genuss eines dilettantischen Heringfilets, während die andern nach Anleitung ihre "Sol over Gudhjem" selber zubereiten. Die Grundlage ist ein Stück Roggenbrot, dann werden im Teller ein paar Radieschen kleingewürfelt, wobei das Klacken der Messer im Teller zum Ritual gehört. Nun bekommt jeder einen schön glänzenden, geräucherten und bereits entgräteten Hering, den man aufgeklappt mit der Haut nach oben auf das Brot legt und mit dem flachen Messer leicht beklopft, so dass man seine Haut nun problemlos zusammen mit Kopf und Schwanz vom Filet wegnehmen kann. Nun kommen die gehackten Radieschen, etwas Zwiebelringe, Salz und Pfeffer darauf und dann kann die Sonne aufgehen, ein flüssiges, rohes Eigelb, welches man hier in kleinen Becherchen fixfertig kaufen kann, ohne sich Sorgen wegen Salmonellen machen zu müssen. Dazu gehört natürlich ein Bier und ebenso wichtig ein Dänischer Schnaps gleich daneben.

bei Ole Christensen zur Frokost gibt's Sol over Gudhjem Rokkestenen Granitfelsen und Heideland ...und Heidelbeeren

Die Begeisterung beim Mirabellenpflücken hat Knud zur Idee angespornt, uns einen seiner Lieblingsplätze zu zeigen, wo man Blaubeeren finden kann, denn es ist nicht weit von hier, wo Knud auf einem einsamen Bauernhof aufgewachsen ist.
Also rüstet man sich für eine weitere Velofahrt und ich bin glücklich, dass Lykke-Lise mich zusammen mit Hans und Annigna mit dem Auto mitnimmt. Man verabredet sich bei den Rokkestenen, wo man sich treffen will. Es ist ein Stück Naturschutzgebiet, das früher gemeinsames Weideland war, wo jedermann sein Vieh weiden lassen konnte, wo wir ganz in der Nähe der Wackelsteine unser Auto parkieren können. Heute wackelt der grosse, mehr als 20 Tonnen schwere Stein nicht mehr, aber Knud mag sich noch daran erinnern. Mit Gewalt und Vandalismus ist man dem aus der Eiszeit hier liegengebliebenen Wanderstein zu Leibe gerückt. Auch hier kommt viel von dem Granit, welcher vor Urzeiten durch eine Magmablase gebildet wurde, welche die Insel aus dem Meer gehoben hat, an die Erdoberfläche und man findet in der Gegend noch mehr solche Steinformationen. Überall wachsen aber kniehohe Heidelbeersträucher, in welche wir uns nun wortwörtlich vertiefen. Die Velofahrer haben's auch geschafft und zusammen haben wir in nicht allzu langer Zeit über anderthalb Kilo Heidelbeeren gesammelt.
Lykke-Lise hat uns vor Zecken gewarnt, auf dass wir uns am Schluss gut absuchen, denn hier verbreitet sich auch die Infektion mit Hirnhautentzündungen. Irgendwie greift diese Vorstellung von beissenden und saugenden Vampiren immer mehr ins Bewusstsein und Hans meint schlussendlich, dass es ihn überall jucke und beisse. Er krempelt seine Hosenbeine herauf und es ist keine Einbildung - zentimetergrosse Waldameisen klammern sich an seiner Haut fest - am Bauch, am Rücken und sogar bis zum Hals hat es eine geschafft, bis wir im Auto wieder auf der Heimfahrt sind. Die gute Idee, mit einem Kleiderroller Hosenbeine und auch die Haut gründlich abzurollen, bringt wenigstens keine Zecken an den Tag.
Daheim ist Zeit für die Middagsmad. Verschiedene Salate sind schnell zubereitet und in zwei Fonduecaquelons sprudelt bald Rotwein und mit darin eingetauchten, hauchdünnen Schweinsbratenscheiben beschliessen wir mit einem Fondue Bacchus unseren heutigen, erlebnisreichen Tag.
Für die Bauern in der Gegend ist aber noch lange nicht Feierabend, man hört in den entfernten Kornfeldern immer noch die Mähdrescher arbeiten.


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