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Um halb neun kommt das Postauto und nimmt uns noch ein gutes Stück weiter das Val Lavizzara hinauf mit. Bei Peccia könnte man fast das Fürchten lernen. In unzähligen, engen Haarnadelkurven windet sich die Strasse in die Höhe, aber souverän meistert unser Chauffeur diese Herausforderung. Lisbeth, die gestern beim Rekognoszieren dabei war, erzählt, dass ihr Fahrer dort mehr als einmal eine Kurve nicht im ersten Anlauf geschafft habe. Sie kann uns nun auch die beste Stelle zeigen, wo man für eine kurze Sekunde einen atemberaubenden Blick in eine Schlucht werfen kann. Das Beste von allem aber ist, dass sie das GA hat und bis Fusio zusammen mit all unseren Rucksäcken weiterfährt, während wir in Mogno aussteigen und die Viertelstunde benützen können, um die berühmte Botta-Kapelle zu besichtigen. Auf den ersten Blick aus der Ferne erscheint das moderne Bauwerk fast als Fremdkörper in dieser abgeschiedenen Bergwelt und erinnert eher an ein riesiges Lüftungskamin von einem Autobahntunnel als an eine Kirche. Fegt man aber sämtliche Vorstellungen über eine Kirche aus dem 17. Jahrhundert soweit weg, wie die Lawine 1968 dies mit dem einstigen Gotteshaus hier getan hat, kann man staunend ein kleines architektonisches Meisterwerk betreten und gar seine Akustik mit einem kurzen, vielstimmigen Kanon austesten, welches uns passender erscheint, als das Gekläff des streunenden Hundes, der die Gelegenheit benutzt hat und uns zwischen den Beinen durch in die Kapelle geflitzt ist, um wohl sein Territorium gegenüber Ria zu verteidigen. Der Raum ist eigentlich mit 123 m2 Grundriss nicht sehr gross, aber mit der Genialität, wie mit dem Beola Gneiss und dem weissen Marmor, welche beide hier aus der Gegend stammen, abwechselnd mit Form und Gestaltung gespielt wird, erhält das Ganze eine gewaltige Dimension. Mir gefällt es.

Dimensionen von Botta Bosco Gurin Speicher das Museum frisch gebackener Apfelkuchen

Es hat gut gereicht, bis das Postauto wieder mit Lisbeth und unseren Rucksäcken aus Fusio zurück ist und retour geht's das Val Lavizzara hinunter bis Bignasco, wo man für die kurze Strecke von nicht mal zehn Minuten bis Cevio in einen Doppelstöcker umsteigen muss. Dieses Busunternehmen scheint was Spezielles zu sein, denn wir konnten wohl von Prato nach Mogno und zurück und gerade auch noch von Cevio nach Bosco Gurin am Morgen im Postauto lösen, ausgenommen für dieses Teilstück.
Dafür entschliesst sich nun Margrit, uns nicht mehr wie vorgesehen, bis nach Bosco Gurin zu begleiten, sondern gerade von hier aus im komfortablen Oberdeck die Fahrt durchs Maggiatal zu geniessen. Also fliegender Abschied im Bus und nachher im Spurt aufs extra auf uns wartende Postauto nach Bosco Gurin. Hans konnte das arrangieren, denn aus unerfindlichen Gründen, oder vielleicht weil man sich als autonomes Busunternehmen nicht nach Postautofahrplänen richten muss, wäre die fahrplanmässige Abfahrt fünf Minuten früher, gerade so, dass man dann zwei Stunden auf das nächste Postauto warten müsste.
Dank diesem Trick haben wir nun dieses einzige, deutschsprachige Walserdorf in der italienischen Schweiz bereits um elf Uhr erreicht und haben schön Zeit, diesen Ort ein bisschen zu erkunden und zu entdecken. Was ich dabei entdeckt habe, offenbart sich erst auf der Grossalp und noch nachhaltiger erst beim Schreiben meines Wanderberichts. Auf dem kleinen Friedhof mit den Holzkreuzen fällt mir das Grab von Hans Anton Tomamichel auf, weil hier jemand ein Porträt aus Papier oder Karton an ein Blumenarrangement geheftet hat. Ein Bergler mit seiner Tabakpfeife im Mund. Weil mir am gleichen Abend dann auf der Grossalp das gleiche Porträt als Plakat für eine Ausstellung des Künstlers Hans Tomamichel von der Wand herunter ansah, begriff ich, dass ich das Grab eines besonderen Bürgers von Bosco Gurin entdeckt hatte. Aber erst beim Schreiben lernte ich, dass er ein äusserst erfolgreicher Grafiker war und sich stark für die Wahrung von Sprache, Kultur und Leben seines Heimatdorfes eingesetzt hat. Ohne davon zu wissen, habe ich zwei von seinen Sgraffitis auf Häusern, die Sonnenuhr auf dem Glockenturm und die Auferstehung im Beinhaus, welche von ihm stammen, fotografiert.

das Grab von Hansantuni Tomamichel die Auferstehung weiter geht's gemeinsame Ställe der Bauern Bosco Gurin, deutschsprachige Enklave im Tessin

Es hat mir ausserdem auch noch für einen Kaffee im Gartenrestaurant, gerade bei der Postauto-Haltestelle gereicht, wo ich mich von der Wirtin natürlich wieder zu einem gerade frisch gebackenen Apfelkuchen verleiten liess, gefüllt mit Vanillecreme und noch ein bisschen lauwarm. Mmmmhhh! Auch in das winzige Lädeli des Bäckers muss ich einen Blick geworfen haben. Die Frau spricht hier deutsch und sie hat sogar fast jene Ricolas im Sortiment, welche Marie-Louise sucht.
Das Geläute der Mittagsglocken schlägt uns gerade zum Abmarsch und vorbei an den in einer langen Reihe aneinandergebauten Ställen, auch einer Spezialität von Bosco Gurin, nehmen wir unseren heutigen Aufstieg in Angriff.
Das kleine Dörfchen von oben noch im Blickfeld, wird bei einem kleinen Schober Mittagsrast gehalten. Dies für all jene, die noch keinen lauwarmen Apfelkuchen intus haben! Wir haben ja Zeit.

Rast im Schatten über Bäche und Weiden... ...hinauf zur Grossalp von Ziegen begleitet Enpfang vom Hüttenwart

Die Capanna Grossalp sei laut Wegweiser in einer Stunde easy zu erreichen und nicht nur die Alpenflora mit Enzianen, Trollblumen und Anemonen blüht üppig an unserem Weg, auch eine ganze Herde von Ziegen eskortiert uns auf dem letzten Teilstück bis zur Alp. Für Hanspeter ist die heutige Etappe wieder zuwenig Herausforderung. Er ist vorausgeeilt, um uns noch lange vor unserer Ankunft in der Hütte bereits seine Bezwingung der Guriner Furggu auf 2323m per SMS zu verkünden. Aber auch uns anderen reicht es noch lang, diese Alpenwelt hier oben in der näheren und weiteren Umgebung zu erkunden. Bei den Murmeltieren vorbei, welche der Hüttenhund, der uns ungefragt begleitet, unter Gebell aus ihrem Bau herausbuddeln will, bis zu der Mulde unterhalb der Skiliftstation, wo heute ein weisser Teppich von Krokussen das Weiss vom Schnee von gestern ablöst.

noch blüht die Anemone Blick über's Valle die Bosco gibt's hier wohl Fressi? bei uns jedenfalls Polenta... ...und Dessert

Der Hüttenwart hat inzwischen in der Küche gewirkt. Er ist für Haus und Küche, inklusive Einkauf zu Fuss im Tal, ganz allein zuständig und er lässt sich's nicht nehmen, uns mit einem feudalen Znacht, begonnen mit einer Polenta, mit Tomatensauce und Käse im Ofen überbacken als Vorspeise, einem Kalbshackbraten nach Grossmutterart mit Nüdeli dazu als Hauptspeise und einem Vanilleköpfli mit Aprikosensauce als Dessert zu überraschen.

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