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Das Panorama vom Bett aus ist gewaltig. Ein wolkenloser Himmel spannt sich über das strahlende Weiss des Jungfraumassivs und nur unten im Tal kullern ein paar Wolken herum. Meine Beine haben sich wieder erholt und sind bereit zu neuen Taten. Zuerst den Motor aber noch mit einem guten Frühstück ankurbeln. Nur Grappa muss es ja nicht unbedingt sein und ich frage mich laut, was diese drei Flaschen hier auf dem Frühstücksbuffet wohl suchen. Was - Grappa? ganz entgeistert liest Hans nun auf jeder Etikette 'Grappa' und dann gesteht er mir: "Ich habe gemeint, das sei Olivenöl und habe gestern davon über meinen Salat gegossen". Er hat sich noch gewundert, wie kompliziert es war, eine Flasche aus der Halterung herauszubekommen. So werden neue Rezepte erfunden. Es sei jedenfalls nicht schlecht gewesen.
Um neun Uhr nimmt die Seilbahn ihren Betrieb auf und wir entschwinden damit in den sonnigen Morgen bis zur Käserstatt. Verschneit bis fast herunter zum Hohbiel, von wo wir hinüber ins Melchtal gelangen wollen, erhebt sich der Hochstollen vor uns. Es wäre eine gefährliche Schneewanderung geworden. Wir freuen uns nun lieber an der wunderbaren Frühlings-Alpenflora. Neben vielen Anemonen und Knabenkräutern fällt mir heute das Läusekraut auf. Das habe ich noch nie bewusst gesehen. Auch nimmt mich wunder, was diese gelb blühende Pflanze ist. Mit Sicherheit ist es keine Schlüsselblume, die Blätter sehen ganz anders aus. Ich nehme sie jedenfalls auf meinem Chip mit heim, um sie per Internet zu bestimmen. (Es sei eine Aurikel, Primula auricula, also doch eine Primel, auch Flühblümchen oder Alpenschlüsselblume genannt).

mit der Seilbahn in die Käserstatt Eiger, Mönch und nicht nur Jungfrauen das wäre der Hochstollen stägeliuf, stägeliab, juhee gelbes Läusekraut

Bei der Rainhütte im Kleinen Melchtal verspricht uns der Wegweiser, in fünfzig Minuten im vorderen Seefeld zu sein. Das geht zwar ziemlich steil hoch und wir kommen dort wieder in den Fahrweg, welcher von hier aus auch dort hinauf führt. Diese Variante wird einstimmig dem vorgesehenen, weniger attraktiven Waldpfad vorgezogen. Wir müssen ja keinen Parcours absolvieren und können die Steigung gemächlich angehen. Bald sind wir schon in luftiger Höhe über der Waldgrenze und folgen dem Fahrweg fast in den Himmel hinein bis zur Alphütte im Lungerer Seefeld. Der Senn ist nicht zu Hause und wir benützen für unser Picknick sein Feierabendbänklein vor dem Haus. Im leeren Stall stehen zusammenklappbare Festbänke herum, welche wir uns gerade auch noch ausleihen.
Die Sennhütte steht hoch über allem an einem wunderschönen Ort, aber es ist kalt hier. Über dem Haus erhebt sich der Seefelderstock, welcher heute von dunklen Nebelwolken umgarnt wird.

dem Himmel nah im Lungerer Seefeld zur Rast rotes Läusekraut Aurikel Sachsler Seefeld

Von hier führt der Weg alles fast auf der gleichen Höhenlinie bis zu einem nagelneuen Stall beim Sachsler Seefeld, dort wo jener vom Hochstollen und Abgschütz herkommend, einmündet. Viel Vieh ist auch hier auf der Weide und sorgt für einen unwahrscheinlichen Morast. Gerne würden wir noch einen Spaziergang rund um den See machen, um zu sehen, ob sich von dort wenigstens der blaue Himmel spiegeln würde, welcher überall herrscht, ausser hier um den Seefeldstock und in dieser Mulde des Sachsler Seefelds, aber das sumpfige Gelände verleidet einem solche Gedanken. Geländerlose Brücklein fordern hingegen wieder zu Akrobatik heraus. Was wäre schon eine Sommerwanderung ohne Schwalbenfoto! Aber alle achten darauf, dass der Rucksack dabei gut angeschnallt ist.
Von hier oben sieht man nun hinunter auf die grosse dreieckige Wiese der Älggialp, aber noch sind 200 Meter Abstieg zu bewältigen. Fast kriminell sieht es aus, wenn man unten ankommt und einen Blick zurück in die Felswand wirft, die man eben durchklettert hat. Umso friedlicher das Bild mit einer Handvoll Bauernhäuser im Schutz der Wand und der kleinen Kapelle, welche ohne Zugangsweg mitten in der saftigen Wiese steht. Auf der gegenüberliegenden Seite erreichen wir das Berggasthaus Älggialp, wo wir in der Dependance unser heutiges Lager beziehen können.

juhui Anemonen oder Kuhschellen die Älggialp... ...muss verdient werden über Felsbänder

Wir befinden uns nun auf dem geografischen Mittelpunkt der Schweiz. Das heisst, es ist ein berechneter Flächen-Schwerpunkt. Eine ausgesägte Form der Schweizerkarte würde also, hier auf die Spitze einer Nadel gestellt, im Gleichgewicht schweben. (Es wurde nur ein ganz klein wenig geschummelt, denn der effektiv errechnete Punkt liegt gerade drüben in der unzugänglichen Felswand) Eine Steinmauer in der Form des Umrisses der Schweiz umgibt das Stückchen Land rund um den grossen Stein unter dem Triangulationspunkt. Ein aus einer geschälten Tanne gehauenes Kreuz winkt von hier übers kleine Melchtal hinweg und auf einer kleinen Erhöhung im Süden lädt eine Feuerstelle zum Sein und Verweilen ein. 1988 wurde der Ort von Kanton und Gemeinde Sachseln, dem Bundesamt für Landestopografie und dem Steinmannliclub eingeweiht. Gerade letzte Woche fand die Zeremonie für René Prêtre, den KinderHerzchirurgen und Schweizer des Jahres 2009 hier auf Älggialp statt und sein Name wurde als Achter hinter Evelyne Widmer-Schlumpf auf der Tafel hier am Stein eingraviert.
Zum Nachtessen haben wir heute den Älggi-Hit bestellt. Wir schlagen uns also mit Spaghetti à discretion zusammen mit vier verschiedenen Saucen die Bäuche voll.

stilles Gelände am Mittelpunkt der Schweiz es ladet zum Sein ein beim Spaghettiplausch am Johannisfeuer

Heute, genau vor einem Jahr, waren wir auch auf der Sommerwanderung, es war dort, als wir auf der Alpe d'Arena selber kochen mussten und wir es uns am Johannisfeuer gemütlich machten. Da hätten wir doch eine gute Gelegenheit, auch heute drüben am Mittelpunkt ein Johannisfeuer zu machen. Holz und alle Zutaten sind im kleinen Häuschen direkt neben der Feuerstelle bereitgestellt.
Gesagt - getan und so lassen wir den Tag bei einer friedlichen Johannis-Feuer-Nacht-Stimmung ausklingen, bis aus dem Nebel über dem Sattel zwischen Hochstollen und Seefelderstock der Mond aufgeht.

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