Noch ist es dunkel und die Sterne scheinen, wie ich in Allschwil Thekla abhole und wir fahren zusammen in einen faszinierenden Morgen. Gegen Osten wird der Himmel langsam flammend orange und die Silhouette des Horizonts hebt sich in der Ferne violett und in der Nähe ganz schwarz ab. Die Dampffahne des AKW Leibstadt weist uns den Weg. Rings ums Kraftwerk hat sich Bodennebel gebildet aber jener der gerade vor Zurzach beginnt, ist nicht vom Kühlturm. Es wird gerade hell und der Nebel ist nicht der Grund, dass wir den Startplatz für unseren Ballonflug erst im zweiten Anlauf nach einem Telefon per Handy finden. Wir hätten bei der Solvay eben nach links Ausschau halten sollen. Noch können wir uns nach den starken Scheinwerfern orientieren, welche die emsigen Vorbereitungen zum Start erhellen. Zwei junge Frauen, Nicole und Lea, neben Stefan Zeberli, dem Chef noch sein Vater Röbi und ein Hansueli sind schon ganz beschäftigt. Thekla und ich verziehen uns aber zuallererst ins gegenüberliegende Restaurant, wo man die Toilette benutzen kann und ich ziehe noch meine Regenhosen und die Wanderschuhe an. Ich hoffe, dass ich so warm genug habe. Kappe, Handschuhe und der dicke Flecepulli und noch eine Flecejacke sind auch im Rucksack. Bis wir auf den Platz zurückkommen kann ich gerade mein erstes Bild erhaschen, wie der Ballon fast als Halbmond auf dem Boden liegt und sich genau sechs Sekunden später in die Luft erhebt. Bis die ganze Füllung von 1050 Kubikmetern Wasserstoff abgefertigt ist, geht es aber noch ganze Dreiviertelstunden. Der Korb ist am Boden mit einem ganzen Kranz mit Sand gefüllten Kanistern gesichert. Dann wird der Ballast in blauen Sandsäcken aussen am Korb befestigt, auch die Rucksäcke werden an einem Karabiner aussen angehängt und zusätzlich zu zwei fest montierten stoffigen Ecksitzen, montiert Stefan zwei Ritiseili in je eine Ecke. Wir sind vier Passagiere, ausser Thekla und mir noch Peter und Hansueli, dann Lea, die Schwester vom Piloten Stefan. Es ist ihre erste Gasballon-Fahrt und sie muss Stefan ein bisschen zur Hand gehen. Im Gegensatz zum Nebel, der sich immer noch am Boden herumtreibt, erheben wir uns um 9 Uhr 27 in die Lüfte und schweben unter einem strahlend blauen Himmel über ein blendendes Nebelmeer, in welchem sich der Schatten unseres Ballons von einem Halo umgeben spiegelt. Die weisse Watte ist aber kaum 100 Meter dick und füllt gerade das Tal ostwärts dem Rhein entlang aus. Richtung Mittelland lässt eine höhere Nebelschicht die Sicht nur gerade auf die höheren Hügelketten zu, aber am Horizont dahinter tritt der Saum der Alpenkette wie eine Spitzenbordüre immer deutlicher in Erscheinung. Ein zusammenhängendes Band von Schneebergen dehnt sich von den österreichischen Alpen und Säntis über den Glärnisch zu den Majestätischen wie Eiger Mönch und Jungfrau und noch weiter bis in den Westen, wo das Auge aber von dem aus dem näheren Nebel aufragenden Dampfpilz des AKWs Leibstadt abgelenkt wird.
Nach einer ersten westwärts treibenden Ehrenrunde über Zurzach und
Koblenz, welches wir mit Schaufeln voll Sand aus der Höhe beglücken,
werden wir bereits nach einer Viertelstunde vom Föhn in Empfang genommen,
der uns von jetzt an Richtung Norden weiterträgt. Fast mit der
Schweizergrenze unter uns, verlassen wir auch schon die Nebelzone und wir
schweben in einen sonnigen, farbigen Herbsttag hinein. Ein Weilchen wollen uns
noch etliche Jumbos und Airbusse Eindruck machen. Nur weil sie stärker
sind, müssen wir uns auf einer geringeren Höhe unter ihrer Anflugbahn
Richtung Kloten ducken, aber schon bald nimmt unsere Fahrtgeschwindigkeit zu.
Unter uns breiten sich grosse Waldflächen des Schwarzwaldes aus. Oder
dünn besiedeltes Landwirtschaftsland und ab und zu ein Golfplatz. Fast kein
Lärm dringt bis zu uns herauf, nur selten das Rauschen einer Autostrasse.
Irgendwo sitzt eine ganze Schulklasse nahe einem Waldrand schön gruppiert
am Boden. Lea ruft ihnen zu und sie geben uns Antwort und wünschen uns "gut
Land", den Gruss der Ballonfahrer.
Mit unserer Bodencrew, das ist Röbi, Stefans Vater und Nicole wird auch
Kontakt aufgenommen. Sie können schon getrost auf der Autobahn Richtung
Stuttgart losfahren, unsere Geschwindigkeit nimmt stetig zu und bald zeigt der
GPS über dreissig Km/h an. Ab und zu muss sich Stefan auch bei
irgendwelchen Bodenstationen melden, wenn wir wieder in einen neuen Luftraum
gelangen. Er meldet sich mit Hotel Bravo Quebec Kilo Foxtrott und muss die
aktuelle Position durchgeben. Was das alles für Kosenamen sind! Auch Papa
kommt immer wieder vor. Irgendwann checke ich, dass dies die Buchstabierung der
Kennzeichen unseres Ballons ist - HB-QKF im Flieger-Alphabet!
So fahren wir in dieser herrlichen Ruhe dahin. Dörfer tauchen auf und wenn
sie langsam hinter einer Hügelkuppe erscheinen, kann ich mir jetzt gut
vorstellen, warum man fahren sagt. Wir erreichen manchmal sogar eine
Geschwindigkeit von bis zu 40 Km/h. Und trotzdem umweht uns kein Lüftchen.
Wir sind eingebettet in die Hände des Windes, so wie man ein Flämmchen
geborgen vor jedem Hauch dahinträgt. Wunderbar warm scheint die Sonne und
ich hätte weder Regen- noch lange Unterhosen anziehen brauchen und bald
kann man auch die Jacke und den Pulli ausziehen. Man hätte dem Piloten
besser glauben sollen.
Um elf hört man einmal von einem Kirchturm das Läuten oder ein
Hämmern oder das Getöse von Maschinen aus einem Steinbruch. Einmal
dringt sogar der Schrei eines Hahns bis zu uns herauf. Dann werden die beiden
Geschwister geheimnisvoll. Apérogebäck und eine Flasche Champagner
kommen zum Vorschein. Für jeden von uns ist dies seine erste
Gas-Ballonfahrt und somit hat Stefan bereits für jeden einen Adelstitel
ausgedacht. Mein Heissluft-Ballon-Titel gilt hier nichts, das sind
Montgolfieren-Titel und hier geht es um eine Gasballonfahrt! Um uns in den
Adelsstand zu erheben, werden wir mit Sand und Champagner getauft.
Zuerst komm Baron Peter, der Rassige über dem Schwarzwald dran. Auf seiner
Glatze kann sich wenigstens kein Sand verfangen. Dann kommt Graf Hansueli, der
Himmelsstürmer über der Wutach dran.
Eindrücklich, wie sich die Wutach durch die Schlucht unter uns
durchgeschlängelt hatte. Mein Foto läuft natürlich heiss und
schon kommt Thekla dran. Sie wird zur Baronin Thekla, die Rassige über
Bläunlingen erkoren, während ich, statt die entscheidende Aufnahme
machen zu können, beschämt konstatieren muss, dass die
Akkukapazität meiner Kamera erschöpft sei. Ach du Schande! Aber
trotzdem werde ich nun Gräfin Rita, die Nebelhüpferin über
Koblenz. Immerhin sagt er nicht Nebelkrähe! Zum Schluss kommt noch das
Schwesterherz dran und sie darf nun die Prinzessin Lea, die Rassige über
Donau-Eschingen sein. Wir haben nun alle ein Reich, über das wir gefahren
sind. Allerdings finde ich später nur ein Bräunlingen auf der Karte,
das wir überfahren haben und welches zu Theklas Namen passt.
Liebevoll trägt uns der Föhn immer weiter nordwärts und bald kann
man in der Ferne Stuttgart und auch den Fernsehturm ausmachen. Die
Tannenwälder werden langsam durch Mischwälder abgelöst und ihre
Herbstfärbung scheint manchmal fast zu brennen.
Waldränder, von denen aus man lange Baumreihen weit in die Felder hinaus
gepflanzt hat, scheinen hier Mode zu sein. Ob als Begrenzung der Ackerfelder
oder was immer, es ergibt einen fliessenden und im Moment golden leuchtenden
Übergang zwischen Feld und Wald
Kurz nach drei Uhr breitet sich unter uns eine Stadt aus. Es ist Pforzheim. Wie
Legosteine sehen die Vierecke der Flachdächer auf den würfeligen
Mietkasernen aus, zwischen welchen sich die Bäume wie viele grüne und
gelbe Filzkugeln tummeln. Ein Reitplatz fasziniert nicht nur mich. Es sind
Reiter auf dem Platz, die man selber nicht mal so gut sieht, aber ihre Schatten
werfen sie dank der nun schon ziemlich tiefer stehenden Sonne äusserst
graziös in den Sand. Immer filigraner werden nun auch die Schatten der
Bäume, vor allem weil viele bereits ohne Laub dastehen. Nur an ihrem
Schatten kann man manchmal von oben auch erst die Höhe und Form einer
Baumgruppe erkennen.
Man könnte noch lange, lange so weitergleiten und theoretisch wäre es
auch noch möglich die ganze Nacht durch und den nächsten Tag so weiter
zu fahren, denn die Verhältnisse und Bedingungen sind so optimal, wie es
sich dies vielleicht einmal im Jahr treffe. Und wir haben dieses Glückslos
gezogen! Wenn halt Engel reisen.... Wir haben noch 17 volle Sandsäcke. Auch
hat uns der Wind nicht über eine Sicherheitszone eines AKWs getragen, denn
dies hätte geheissen, vorher zu landen. Als ob man einen Anschlag mit einem
Ballon planen könnte! Stefan beginnt hochzurechnen, wann wir landen
müssen, damit jene, die morgen wieder zur Arbeit müssen, mindestens um
Mitternacht wieder daheim sind. Die Bodencrew tönt nun auch wieder etwas
erleichtert. Sie standen zwischen Stuttgart und Heilbronn fast anderthalb
Stunden im Stau, aber sie haben uns bis jetzt noch nie gesehen. Stefan empfiehlt
ihnen, jetzt die Autobahn Richtung Sinsheim zu nehmen und er will probieren, die
Nähe der Autobahn zu erreichen.
Er erteilt Verhaltensinstruktionen für die Landung, aber das sollte heute
kein gröberes Problem geben. Eher einen Landeplatz zu finden, der nicht als
Getreidefeld angesät ist. So weit man in die Fahrtrichtung schaut, gibt es
nur bestellte Felder und dazwischen etwas Wald. Aber Stefan hat in der Ferne
etwas anvisiert. Ein winziges Stück Weideland, umgeben von Bäumen.
Rasch verlieren wir an Höhe und unmittelbar nach einem kleinen, bunten Wald
zieht er an der roten Leine, mit welcher er Gas ablassen kann und wir setzen um
Viertel vor fünf sanft auf einem Acker auf. Noch während dem
Hinuntersinken weist er Röbi an, umzukehren und die nächste
Parallel-Strasse zu nehmen. Er hat ihn bereits gesehen und kaum haben wir
aufgesetzt, fährt auch schon der Wagen mit dem Anhänger über die
Feldstrasse das kleine Hügelchen hinan. Jetzt müssen sie nur noch
erkunden, ob die winzige Wiese mit dem Anhänger erreichbar ist. Nicole kann
dort gerade einen Mann um Erlaubnis fragen und sie winken. Also müssen wir
nun genau so viel Ballast, sprich Sand rings um den Korb ins Ackerfeld
verstreuen, dass wir wieder ganz sachte ins Schweben kommen. Das heisst, man
schaut, wie viel es verträgt, wenn Hansueli und Peter aussteigen, damit sie
dann den Korb mit Leichtigkeit zum Zaun hinüber ziehen können. Es
passt alles wunderbar. Der Anhänger kann ganz nahe zum Korb gefahren werden
und nun wird der Rest des Gases abgelassen und die Hülle mit einem Zugseil
schön auf den Boden gebracht. Wir sind nun fast siebeneinhalb Stunden in
der Luft gewesen. Welch wunderbares und herrliches Erlebnis!
Alle helfen nun mit, die Hülle zusammen zu falten. Eine Wissenschaft
für sich, jedes Ding hat seinen Platz und am Schluss ist alles wieder im
Anhänger verstaut und nur ein kleines Häufchen Sand zeugt von einem
spektakulären Besuch aus der Schweiz hier in Angelbachtal.
Im Landgasthof Ritter-Post stärken wir uns mit einer Ritterpfanne für
unsere lange Heimfahrt. Erst jetzt realisiere ich, dass wir ja weit über
Karlsruhe hinaus gekommen sind. Es war schon fast Heidelberg und die Strecke das
Rheintal zurück über Raststt, Offenburg, Rust und Freiburg zeigen mir,
wie weit wir heute doch gekommen sind. Natürlich steht mein Auto jetzt bei
der Solvay und weil man das dort auf dem Parkplatz über Nacht nicht stehen
lassen darf, kann ich die Strecke Basel-Zurzach gerade noch zweimal geniessen.