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Wir wollen heute die Stadt Lübeck mit einem Besuch beehren. So schön, dass wir auch heute wieder an einem strahlenden Tag diese wunderschöne Gegend geniessen können. Überall die schattenspendenden Alleen und die Weiten der Kornfelder. An ihren Rändern blüht leuchtend der Mohn und das Blaue sind wirklich Kornblumen! Wo sieht man bei uns noch Kornblumen? Die Ähren stehen stramm und tadellos, nirgends Nester von Unwettern oder gar Kornkreise zu sehen, dabei würden sich die Ausmasse der Felder bestimmt gerade dafür prädestinieren. Noch sind die Ähren grünlich und nicht reif, aber trotzdem kommt mir immer wieder die erste Strophe von Gottfrieds Kellers Sommernachts-Gedicht in den Sinn, das wir in der Schule gelernt haben. Ich bringe sogar den Text noch auswendig zustande:
Es wallt das Korn weit in die Runde, und wie ein Meer dehnt es sich aus; doch liegt auf seinem stillen Grunde nicht Seegewürm noch andrer Graus; da träumen Blumen nur von Kränzen und trinken der Gestirne Schein. O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen Saugt meine Seele gierig ein!
Um Viertel vor zehn Uhr sind wir im Hafen in Lübeck angelangt, wo Hans, welcher uns durch die Stadt führen wird, auf uns wartet. Obwohl für meine Begriffe schöne Segelschiffe hier im Hafen liegen, sei dies doch nur ein Nichts, denn alles was Rang und Namen habe, sei im Moment an den Kieler Wochen.
Zuerst lotst er Bruno zu einem generellen Überblick und ausserdem zur präzisen Erklärung der Örtlichkeit, wo wir wieder in den Bus einsteigen müssen, zu einer Ehrenrunde durch die Stadt, wo man all die vielen spitzen Kirchtürme überblicken kann und anschliessend folgen wir ihm durch die engen Gässchen und durch die niedrigen Durchgänge hinein in ein vollständig erhaltenes Quartier aus dem 13. Jahrhundert, wo früher die Seemänner in kleinen, engen Behausungen lebten. Zurechtgemacht und renoviert, überall mit blühenden Rosen umrankt, machen uns beim heutigen Sonnenschein diese Winkelgässchen einen fast märchenhaften Eindruck. Die Stühle, welche ein Spinner an Leinen zwischen sein und des Nachbars Giebel in die Luft gehängt hat, um Ausserirdische erst mal absitzen und ausruhen zu lassen, passt irgendwie voll in dieses Bild. Von der Hauptgasse her erreicht man diese lauschigen Plätzchen durch öffentlich zugängliche "Gänge" welche alle ihre Namen haben und welche oft so niedrig sind, dass man sie regelrecht gebückt durchschreiten muss.
Auch ebenso zurechtgemachte Patrizierhäuser, welche ebenfalls vom UNESCO Welterbe geschützt werden, bieten mir malerische Fotosujets. Manchmal sind es Stiftungen und das Testament des Stifters prangt noch heute auf steinernen Tafeln, verziert mit Wappen und Firlefanz über den grossen Toren an der Aussenfassade dieser edleren Durchgänge.
Etwas Besonderes ist auch der Blick in das noch erhaltene Gildehaus der Schiffer-Gesellschaft aus dem Jahre 1535. In dieser Wirtsstube zieren Gemälde die Wände und an der Decke hängen zahlreiche Modelle alter Segelschiffe. Man bekommt eine Vorstellung, wie es in einer mittelalterlichen Kneipe zugegangen sein könnte.
Hans entlässt uns nicht, bevor er uns erklärt hat, warum die runden Löcher in der hohen Backsteinmauer, die das Rathaus hoch überragt, sind. Es ist, damit die Angriffsfläche für den Wind an einer solchen Schaufassade, welche vielfach reich mit Backsteinornamenten und -rosetten kunstvoll verziert sind, nicht zu gross wird. Nachdem er uns bei Niederegger noch gezeigt hat, welches nun der wahre Marzipan ist, überlässt er uns auf dem Marktplatz unserem Schicksal.
Marlis ersteht am Markt als Zwischenverpflegung ein Fischbrötchen. Ich steuere dafür zum Dessert eine Portion frisch geschnittene Ananas zu einem Euro bei.
Ein Blick in die Marienkirche wäre wohl noch interessant, aber wie ich fast vermutet habe, wollen sie dort Eintritt und ich habe mir nun mal vorgenommen, dass ich in eine Kirche keinen Eintritt bezahle. Aber das bronzene, nackte Teufelchen, welches vor der Kirche hockt, gibt auch ein gutes Sujet her. Die Tatsache nämlich, dass Bronze dort, wo sie immer von vielen Menschen berührt wird, mit der Zeit golden erscheint, lässt wieder mal tief blicken.
Als man den Grundstein für die Marienkirche legte, glaubte der Teufel, dass es ein Weinhaus werde und half wacker beim Bauen mit. Als er aber seinen Irrtum erkannte, wollte er das bereits mächtig gewachsene Bauwerk mit einem riesigen Stein zerstören. Ein kecker Geselle rief ihm aber zu: 'Lass stehen, was steht, Herr Teufel, wir bauen Euch dafür neben der Kirche ein Weinhaus!' Das gefiel ihm, denn schon manche Seele hatte über einen solchen Ort den Weg zu ihm genommen. Er liess den Stein hart vor der Kirchenmauer fallen, wo er heute noch liegt und gleich neben der Kirche wurde der Ratsweinkeller gebaut.
Es lohnt sich, für den Weg hinunter zum Holstentor, wo wir auf den Bus warten sollen, den von Hans vorgeschlagenen Weg zu nehmen. Wir kommen dabei nicht nur an einem Laden vorbei, wo man für alle Artikel ausnahmslos einen Euro zahlt(!), sondern ich finde meinen 34. St. Georg, den Drachentöter. Er beschützt hier seit 1587 den St.Jürgen-Gang Nr. 4. Also heisst Sogn Gieri auch noch Jürg!
Natürlich müssen wir auch noch das Holsten Tor gesehen haben und Hans hat uns erklärt, auf welcher Seite man seinen schiefen Stand am besten einsehen kann. Nur diesmal kann ich's vergessen, denn wenn ich was wirklich Schiefes erfassen will, kann man das überhaupt nicht unterscheiden von den sonst so extrem schief verlaufenden Perspektiven durch mein Objektiv.
Hier unten am Wasser findet man nicht nur den historischen, alten Salzspeicher, sondern auch den Lübecker Marzipan-Speicher. Obwohl ich mich bei Niederegger eingedeckt habe, muss ich auch hier noch ein Auge voll und eine weitere Tüte mit Bruchmarzipan und einen Marzipantee mit heim nehmen.
Am späteren Nachmittag sind wir wieder zurück in Schwerin, wo ich zusammen mit Marlis noch ein bisschen die Stadt unsicher mache. Die Pauls Kirche kostet keinen Eintritt und im Schweriner Dom sollte man bisseguet einen Obolus entrichten, aber da es gerade fünf Uhr ist, wollen sie sowieso jetzt zusperren. Den wunderschönen Altar und die Orgel habe ich aber trotzdem heimlich gratis angeschaut, sogar mit dem Objektiv. Und wo das Kartoffelrestaurant ist, welches wir für unseren heutigen Ausgang in Erwägung ziehen, wissen wir nun auch. Für heute ist im Hotel nur das Frühstück inbegriffen.
Das total unmögliche Wirtshaus hat allerdings nicht nur Kartoffeln von hierzulande anzubieten. Eine Karte mit den verrücktesten Bezeichnungen für Getränke, Schnäpse etc. findet man an einer mit Sand gefüllten Flasche auf den Tischen und lernt, dass z.B. Asbach Uralt das Verfalldatum überschritten hat, Ouzo Getränk zum Brillenputzen ist, Grappa ein Schlüpferstürmer und Alster (das Radler und hier nirgends bekannte Panaché) ein Luftpumpenbier ist.
Wir, die Gruppe der ersten Stunde, beginnen zwei Tische zusammen zu schieben, was aber glaub bei der Serviertochter nicht viel Begeisterung auslöst.
Sie scheint überhaupt ein Kirchenlicht zu sein. Alles andere als die geborene Serviertochter. Mit unserer Idee, die einheimische Kost zu versuchen, haben wir überhaupt nicht das grosse Los gezogen. Ausser Kartoffeln wird in diesem Kartoffelhaus allerdings auch Fleisch angeboten und dies nicht mal zu knapp, aber schon beim Salat muss man untergejubelte faule Blätter und ziemlich ungewaschene Rippen aussortieren. Jemand meint, ein früherer Besuch des WC hätte uns möglicherweise warnen können. Wir beschliessen, sicherheitshalber noch einen Grappa zu bestellen, aber nur nicht hier und verlangen die Rechnung. Am Kopf der zusammengeschobenen Tische rechnet die Serviertochter die einzelnen Beträge aus und am Schluss scheint sie gar noch zu erwarten, dass man ihr das Geld vorbeibringt. Jaja, es heisst ja gross angeschrieben: das total unmögliche Wirtshaus.
Im Gassenkrug, einem winzigen Beizlein in der Altstadt, das gerade zwei Tische draussen auf der Terrasse unter einem Sonnendach hat, bekommen wir unseren Grappa. Es ist heute noch weniger los als gestern und man hat das Gefühl, dass ausser uns überhaupt niemand unterwegs sei und trotzdem wird uns als einzigen Gästen in der Strandbar, welche wir von gestern her kennen, noch ein Schlummertrunk serviert und drüben unter den Palmen läuft auch heute ein Fussballmatch auf dem Grossbildschirm und kein Bein schaut zu.
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