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Dagmar steigt heute zu uns in den Bus. Sie will uns die Schönheiten und Geheimnisse der Insel Rügen näher bringen. Heute ist der schon daheim angekündigte Gewittertag und es trifft fast zu. Zwar scheint es nicht gewittrig, doch ist der Himmel ziemlich bedeckt, so dass es angenehmer ist, wenn man die Jacke anzieht. Es windet sogar, aber nur ein bisschen, so dass es auch für Edith längstens immer noch erträglich wäre.
In Ralswiek öffnet Dagmar für uns die sorgfältig abgesperrten Türen zum Gelände des grossen Freilichttheaters, wo allabendlich die Abenteuer des legendären Seeräubers Klaus Störtebeker mit über 150 Mitwirkenden, 4 Schiffen, 30 Pferden und vielem mehr aufgeführt werden. Von einem Schloss im Hintergrund überwacht und direkt am grossen Jasmunder Bodden gelegen, kann man sich das Spektakel am Schluss mit Feuerwerk so gut vorstellen, dass man am liebsten ein Eintrittsbillet besorgen möchte. Das wäre wohl noch eine passendere Alternative zum fehlenden Nachtessen gewesen, als das lapidare Angebot für's Buffet im Hotel.
Unsere Reise an den nördlichsten Punkt der Insel, das Kap Arkona führt uns immer wieder an und zwischen viel Wasser vorbei. Die grossen, miteinander verbundenen Bodden zergliedern die Insel stark und die äussern Umrisse Rügens scheinen fast alles eher zusammenhängende Inseln zu sein. Da alles ziemlich flach ist, ergreifen wir die Möglichkeit, auf einem kleinen Hügel einen Überblick über das Land zu erhaschen. Die eine Seite öffnet den Blick über den grossen Jasmunder Bodden und die andere Seite begrenzen sanfte, weite Kornfelder. Wie grüne Inseln erscheinen darin einzelne Baumgruppen und wie eine Perlenkette ziehen sich die Bäume einer Allee dahin. Wie in einem Bild von Monet aber leuchtet zu unseren Füssen der Mohn und die Kornblumen im riesigen Feld. Und ausgerechnet jetzt fehlt der Glanz der Sonne darin! Nur ab und zu huscht ein vereinzelter Strahl aus einem Wolkenloch darüber. Vielleicht bringt eben gerade dies das Geheimnisvolle ins Bild!
Über die Schaabe, einen langgezogenen, engen Landstreifen zwischen Meer und Bodden erreichen wir Putgarten, wo wir mit der KapArkona-Bahn etwa einen Kilometer bis Vitt mitreiten können. Die etwas abseits gelegene Kapelle hält für mich einen wunderschönen, 1990 neugemalten Christophorus vom italienischen Künstler Gabriele Mucchi verborgen. Es ist mein 48. Christophorus in der Sammlung. Ich glaub ich kann jetzt dann bald einen Christophorus-Bildband herausgeben! Von hier gelangen wir nun zu Fuss nach Vitt, dem kleinen, unter Denkmalschutz stehenden Fischerdörfchen.

Sandbild von Seeräuber Störtebeker im Freilichttheater Ruedi Huber und Marlis Mohn und Kornblumen Kap-Arkona-Bahn

Auch hier wieder das etwas unangenehme Gefühl, dass man zusammen mit den jährlich Tausenden von Touristen den Leuten, die hier in kleinen, strohgedeckten Häuschen leben, ein bisschen ihre Intimität stört. Unten am Wasser bei der kleinen Strandkneipe kann man den Peilturm auf der 45 Meter hohen Kreide-Steilklippe sehen. Der Strand besteht hier aus schwarzen Steinen von kurioser Form und man wird direkt angehalten, nach den begehrenswerten Hühnergöttern zu suchen. Es bedeutet Glück, wenn man einen solchen, mit einem durchgehenden Loch versehenen Feuerstein findet. Vor den Häusern sieht man ganze Steinmannli mit solch aufgespiessten oder an Schnüren aufgereihten Göttern.

Christophoruskapelle in Vitt denkmalgeschütztes Vitt im Fischerhafen Feuersteine Rügener Kreideküste

Die gut halbstündige Wanderung hinüber zu den beiden Leuchttürmen tut gut. Die beiden Ehepaare, welche nicht so gut zu Fuss sind, sind mit der Bahn bis hier weitergefahren. Zur Besichtigung des hier in der Klippe versteckten Bunkers fehlt das Interesse und zur Ersteigung des neuen Leuchtturms die Zeit. Heiraten will auch niemand, denn das könnte man hier im alten Leuchtturm aus den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts. Tafeln mit Namen, Datum und zwei Ringen oder Herzen verziert, verewigen das Geschehen in einer bereits respektablen Terrasse am Boden vor dem Eingang. Ob wohl die Tafel entfernt wird, falls die Ewigkeit nicht so lange anhält?
Die Touristenbahn führt uns zum Parkplatz zurück und auch wieder über die Schaabe, gelangen wir ins Gebiet des Nationalparks Jasmund. Hier werden die weiten Kornfelder durch lichte Wälder abgelöst. Der grosse Bestand des Wildes muss hier durch die Jagd reguliert werden. Zum Mittagessen ist unser Car in einem einschlägigen Restaurant angemeldet, wo wir vom Chef persönlich mit dem Jagdhorn begrüsst werden. Die Menüauswahl besteht aus Wildspezialitäten und während wir aufs Essen warten, lernen wir vom Chef alles über die Jagd hier im Jasmund-Nationalpark, das Rot- und Schwarzwild, die Mufflons und gar die Bockshasen kennen.
Von hier ist es nicht mehr weit zum Königsstuhl, dem berühmtesten Kreidefelsvorsprung auf Rügen. Dagmar muss hier für alle Eintritt lösen, nur Bruno sucht mit seinem leeren Car das Weite, denn sie wollen hier 50 Euro zum Parkieren. Wir hingegen dürfen nun über einen kleinen Zugang auf die Plattform oder den Stuhl des Königs, um einen Blick über einen Teil des weissen Felsens zu werfen. Eigentlich wäre ein solcher vom Meer her in irgend einem Boot wohl viel imposanter. Ein berühmter Maler Caspar Friedrich hat einst ein Bild der Kreidefelsen hier gemalt, aber diese wie Haifischzähne anmutenden Spitzen hat sich das Meer schon lang geholt. Geblieben ist noch sein Bild zur Erinnerung. Damit man trotzdem noch etwas fürs Geld bekommt, werden wir in einer Diashow mit vielen schönen Bildern über alle Jahreszeiten im Jasmundpark etwas besänftigt.
Bevor wir unsere Rügen-Rundfahrt heute beenden, besuchen wir aber noch den Ferienort und Ostseebad Binz. Sagt man dem nun mondän oder touristisch - auf jeden Fall für mich ein abschreckendes Beispiel für einen Ort, um Ferien zu machen. Jedenfalls, was wir davon sehen! Da ist eine Hauptstrasse mit Strassenbeizlein, welche direkt am Strand eine kurze Fortsetzung in einem Pier findet, wo die Möven die Köpfe der Besucher umflattern und man auf Gummibooten oder Wasserskier sein Vergnügen haben kann.

alter und neuer Leuchtturm verewigt das Jagdhorn Perspektive der Kreidefelsen vom Königsstuhl Ostseebad Binz

Im Strandkorb, immer der Sonne zugewandt, kann man den ganzen Tag vor sich hinbraten, oder auch den Korb so ausrichten, dass man den Pier im Visier haben und überwachen kann, was dort vor sich geht. Tue ich aber dasselbe umgekehrt und nehme jene "Plättere" ins Visier meiner Kamera, scheint sie sich gerade darüber aufzuregen.
In einem Beizlein können wir ‚sechs Geeichten' jedenfalls nochmals "Zämehebe", denn inzwischen ist der Sommer mit dem Durst wieder zurückgekehrt.
Vielleicht besteht hier ja noch die Möglichkeit, zu einem T-Shirt zu kommen. Die eingepackten sind nun bereits alle verschwitzt und ich habe nur noch ein paar Langärmlige dabei. Das hat man davon, wenn man aus dem Winter kommt und bei solch kaltem Wetter den Koffer packen muss. Ich finde eine Jack Wolfskin-Bluse und erst noch eine Damen-Variante mit Busentasche. So schnell habe ich mich schon lange nicht mehr für etwas entschieden. Wir drängeln uns zum Zahlen vor und der freundliche Kunde vor mir wechselt mir sogar meine Hunderternote, weil der Verkäufer das nicht kann! Und dann ab, zum Einsteigeort!

am Strand Strandkorbidylle zämehebe Tüffelhus Grappa 903 Barrique

Daheim reicht es uns gerade noch knapp für einen Apéro im Tüffelhus. Die Serviertochter will schon den Grappa holen gehen, aber der kommt später dran. Ein Cüpli ist für den Moment passender, oder der schöne Weisse, für den sich Marlies entschliesst! Schade, dass wir uns gestern zu schnell fürs Buffet angemeldet haben. Die Auswahl ist heute zwar nicht kleiner, aber trotzdem ähnlich wie gestern. Einen guten Fisch, auf den man sich in diesen Ferien gefreut hat, kann man an einem Buffet vergessen. Gestern war er zwar gut, aber in einer Béchamelsauce und heute ist es Wels an einer Tomatensauce! Da ist es jetzt wirklich keine Frage, dass wir auch heute einen Grappa brauchen.
Ungefragt schenkt uns die Serviertochter heute einen goldenen Barrique ein. Der ist ja noch besser als jener gestern. Bevor sie uns das zweite Mal einschenken muss, fragen wir aber nach dem Preis. "Gleich wie gestern", aber sie gesteht, dass sie keinen anderen mehr hat. Deshalb hat sie wohl auch das Glas nicht bis zur Eichung eingefüllt.

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