Australien-Rundreise 2004 |
Mittwoch 14. und Donnerstag 15. Januar 2004 |
Ja, ich habe es gewagt! Ich habe gebucht. Da es jetzt Ruth doch nicht möglich ist, an der Australien Rundreise teilzunehmen, mache ich es halt allein. Der Floh sitzt jetzt schon im Ohr. Eigentlich, so dachte ich,
kann ich mir ein etwas spezielles Geschenk zum runden Geburtstag gönnen. Und wenn ich schon allein gehe und mir den Luxus des Einzelzimmerzuschlags leisten muss, könnte ich doch gerade so gut jene
Camping-Car-Rundreise im Einzelzelt machen. Dort ist man vielleicht drei- oder viermal im Hotel, ansonsten wird campiert. Der Fahrer ist auch der Koch und der Reiseleiter. Die Teilnehmer sind international und es
wird englisch gesprochen. Campiert habe ich zwar noch nie, aber ich denke mir, wenn ich in den SAC-Hütten zurechtkomme, wird dies wohl auch kein sonderliches Problem sein. Im Freien erlebt man einen Ort
viel intensiver. Es tönt, riecht, und fühlt sich schon ganz anders an.
Das waren meine überlegungen und allen habe ich es erzählt und alle haben mir die allerbesten Wünsche mit auf den Weg gegeben und manche habe nun auch offen gezeigt, dass sie mich leise
beneiden.
Das Tram hält um halb acht am Bahnhof. Jetzt schwappt doch eine riesige Welle von Herzklopfen über mich und steigt hinauf bis zum Hals. Selber schuld, jetzt muss ich zuerst mal mutterseelenallein
nach Sydney reisen. Niemand, den ich fragen kann und niemand, dem ich sorglos hintendrein trampeln kann. Allein! Nein, nicht ganz. Auf der Passerelle wartet Margrit Kohler und Lykke-Lise und sie lassen es sich
nicht nehmen und wollen wenigstens bis zum Flughafen mein Abschiedskomitee bilden! Sogar eine Rose will mir Lykke-Lise kaufen, aber das wäre doch jetzt wirklich schade darum. Der Zug hat sich noch nicht
in Bewegung gesetzt, werde ich beschenkt. Ein Glückskäfer auf einem Sprüngli-Praliné und ein filigraner goldener Engel. Als Schutzengel
gedacht. Der darf jetzt gerade an meiner Halskette mitreisen. Ach Lykke-Lise, Du bist ja selbst so ein Engel. Auch Esther und noch andere haben mir einen starken Schutzengel mitgegeben.
Margrit hat mir noch ein Buch gepostet, als Lektüre unterwegs. Meine Reise wird 22 Stunden dauern. Und last but not least kommt auch noch ein Geburtstagspäckli zum Vorschein. Dünn und schmal,
fast wie ein Buchzeichen. In dänischem Einpackpapier und ich verspreche, es erst am Geburtstag auszupacken. Gipfeli stehen auch bereit, falls die Minibar vorbeikommt.
Das Abschiedskomitee ist noch nicht komplett. Im Flughafen taucht auch Alice noch auf. Da muss aber ein Abschiedsfoto her.
So viel Wirbel, weil ich verreise. Beim Winken nach der Passkontrolle geht mein Herz wieder den Hals hinauf auf Wanderschaft. Ich muss zum Terminal E. Ich wusste gar nicht, dass man jetzt in Kloten auch so eine
unterirdische Super-Magnetbahn, die Skymetro hat, um zum Terminal mit den Fingerdocs zu gelangen. Endlich, um 12.30 Uhr rollt die Boeing 747 auf die Startpiste.
Ein Fensterplatz hat etwas Gutes und etwas Schlechtes. Das Gute: Solange es hell ist, habe ich eine wunderbare Aussicht. Aufgrund der GPS-Karte, welche ich mir auf meinen persönlichen Bildschirm einblenden
kann, erkenne ich schon bald unter mir den Balatonsee. Bald darauf eine undurchdringliche Nebelmasse, unter welcher sich das schwarze Meer verbirgt. An seiner Küste beginnen sich wieder Blumenkohlwolken
zu türmen und nachher lassen sie bald den Blick auf eine ganz verschneite Gebirgslandschaft frei. Meine Uhr hat jetzt drei und die Wolkenbank beginnt leicht zu erröten. Ich erinnere mich, dass ich mal in
einem Buch gelesen habe, dass jemand die Schneeberge am Horizont als den Mantelsaum Gottes bezeichnet hat. Genauso kommt mir dieses Bild jetzt vor, oder vielleicht noch eher wie der Unterrock, welcher aus
einem breiten Band aus St.Galler-Stickereien gewirkt ist. Die unverschneiten Täler und dunklen Wälder scheinen wie die Durchbrüche der weissen Spitzen zu sein, welche an einem wunderschön
rosaroten Seidentuch angenäht ist. Bevor seine Farbe ins Hellblau übergeht, wird sie aber noch von einem breiten, dunkelblauen Band abgegrenzt. Mein Ergötzen kann ich nicht lange auskosten, denn
schon wird der schwarze, samtene Vorhang gezogen und obwohl noch nicht mal vier Uhr ist, hat man jetzt gefälligst zu schlafen.
Zum Glück haben wir schon gespiesen und der Atem meines Sitznachbarn, der mich an eine Blumenvase erinnerte, deren Wasser seit einer Woche nicht gewechselt wurde, hat sich etwas neutralisiert. So habe
ich jetzt nicht mehr so sehr den Drang zu entfliehen, denn das ist das Schlechte am Fensterplatz: man muss immer zwei Fremde stören, wenn man aufstehen muss. Und ich Lappi habe noch zwei Halbliter Cola
und Fanta ausgetrunken, damit ich meinen Antikäfertrunk, den ich im Dutyfree erstanden habe, in Plastikflaschen abfüllen kann. Wegen der Kohlensäure rumort nun mein Bauch entsprechend.
Die Nacht dauert etwa drei Stunden, dann kommt die Stewardess mit einem heissen Waschlappen. Der kleine Flieger auf meinem Bildschirm vor der Nase hat sich nun schon recht nahe auf Singapur zu bewegt. Noch
etwa eine Stunde und der Sinkflug beginnt. Plötzlich wird man gewahr, dass etwa vier oder fünf Babys an Bord sind. Zuerst wimmern sie, je tiefer wir sinken, desto kräftiger wird ihr Gebrüll.
Sie dauern mich, sie leiden offensichtlich Qualen.
Es ist sieben Uhr und wir schweben auf eine noch beleuchtete Stadt hinunter.
Bis wir durchs Fingerdock den vornehmen, überall mit Teppichen ausgelegten Flughafen betreten, beginnt hier auch schon ein neuer Tag. Irgendwo am Ende einer Piste geht gleissend die Sonne auf und wird wohl
bald die Nässe des nächtlichen Regens auftrocknen. Laut Flugplan habe ich hier etwa drei Stunden Zeit zum Umsteigen. Ich bin nicht die einzige Schweizerin, die etwas ratlos vor der Abflugtafel steht.
Unser Weiterflug, der SQ219 ist nirgends aufgeführt. Am besten warte ich hier in der Gegend des E-Gates.
Endlich wird einem verraten, dass man sich zum Gate E23 begeben kann. Um halb neun wird dort die Türe geöffnet und dann beginnt sich eine fast endlos lange Schlange von Reisenden mit zum Teil
erstaunlich riesigem Handgepäck durch den "Body-Check" zu drängeln. Unglaublich, wie viele Personen so ein Jumbo fasst.
Alle bekommen ein Formular, wo man auf Treu und Ehr schwören muss, dass man keine Esswaren, keine Samen oder Pflanzenteile mitbringt. Fast hat man das Gefühl, dass sonst Todesstrafe droht. Und
ich schwöre es, unterschrieben und datiert.
Dann erhebt sich unsere Maschine bald wieder und zieht eine weite Schlaufe über den Hafen von Singapur, der übersät ist mit einer Menge von Schiffen, von denen man bei der Landung nur einzelne
Lichterpunkte sah, welche auf einem schwarzen Samtvorleger vor der hellerleuchteten Fläche der Stadt verstreut waren.
Bald verschwinden die verschiedenen Inseln und das Meer unter ausgestreuten Watteflocken. Dahinsegelnde Wolken unter mir und ein hellblauer Himmel über mir. Die dunkelblauen Flecken im türkisblauen
Meer interpretiere ich zuerst als Untiefen oder so was ähnliches wie Seegras, bis mir klar wird, dass die Kleckse immer die gleiche Form haben, wie die dahinsegelnden Wattebausche. Über einer Insel
wächst wieder eine kompakte Kumuluswolkenschicht fast auf unsere Höhe. Etwas weiter überragt schwarz und bedrohlich der riesige Krater eines Vulkans das strahlende kugelige Weiss.
Dann verlässt die Route Fest- oder Inselland und nur noch dunkles, endloses Blau unten und helles, blendendes Blau oben und wir hängen einfach in 10300m in der Luft. Man kann sich an nichts mehr
orientieren, ob man überhaupt vorwärts kommt. Nur das Dröhnen der Triebwerke in den Ohren und im Bauch das langsam unangenehm werdende Treiben der Kohlensäure des Sprites und des
Colas.
Dann - die Küste Australiens! Hallo - ich komme! Aber was ist schon mein Hallo im Vergleich, was mir dieser Erdteil als Begrüssung präsentiert. Als erstes ein sagenhaftes Bild eines Flusses mit
tausend Zuflüssen, die sich im gelben Sand als Hintergrund wie filigranes Astwerk zum schwarzen Stamm eines riesigen blattlosen Baumes vereinen. Und ich habe meinen Fotoapparat im Rucksack, eingeschlossen
im Gepäckfach und zwei fremde Passagiere die schlafen, dazwischen. Das gelbe Delta ist relativ scharf abgegrenzt von weiten Ebenen, die, maseriert aus einer Farbpalette von Rot- und Brauntönen,
ausgebreitet daliegen.
Die Zeichnungen erinnern mich an die Form von Eisblumen an einem Fenster. Feine Pfade, schnurgerade und kilometerlang erstaunen mich und machen mich gwundrig. Dann sieht es aus, also ob ein hundert Kilometer
langer Kamm über das frischgemalte Eisblumenbild gefahren wäre und dort unendlich lange, rote Kratzer hinterlassen hätte. Dann kommt Blau und Weiss ins Bild. Nicht mehr abstrakt und gerade, es
sind die runden Formen von Seen und verkursteten Salzflächen. Jetzt ist mir der Schlaf der äussern Nachbarin wurst. Ich hole meinen Foti und hoffe, dass ich wenigstens etwas von diesem Wunder mit
heim nehmen kann. Nach den Salzseen kommt Wüste. Die Sanddünen sind wie lange Rillen zu sehen.
Hat der Kamm vorhin von Süd nach Nord gekämmt, hat er es später von Ost nach West getan. Nackte Felsen tauchen aus einem Meer von rotem Sand auf. Aber es ist nicht der Ayers Rock. Dann eine
Strasse, ziemlich schnurgerade und eine Abzweigung, rechtwinklig dazu. Ich kann sogar Fahrzeuge darauf erkennen. Das ist bestimmt jene wichtige Abzweigung nach Osten, die wir auch nehmen müssen. Was
mich wundert, sind links und rechts der Strasse im Winkel von etwa 30° graslose Streifen, die auch wie die Zähne eines Kammes aussehen. Es sind bestimmt nicht Zufahrten zu Häusern. Vielleicht
komme ich dem Rätsel unten auf die Spur.
Haben bis jetzt einzelne Wolken tintenschwarze Kleckse auf das Kunstgemälde projiziert, verdichtet sich über New South Wales die weisse Schicht zu einer kompakten Decke.
Allein der Reflex der vielen Wasserlöcher, es sind meist viereckige Teiche, leuchten durch den Dunst in der langsam tiefer stehenden Sonne wie Gold oder ein spiegelnder Fluss wie ein glänzender Faden.
Ich bin so beeindruckt von diesem Empfang, den mir Australien bietet. Es würgt wieder fast auf der Brust. Ich nehme diese Pracht an, als wäre es das wunderbar farbige Einpackpapier zu meinem
Geburtstagsgeschenk. Das Geschenk, das man noch eingepackt betrachtet und würdigt, ehe man drangeht, es auszupacken.
Um sieben Uhr lande ich in Sydney im letzen Sonnenschein und werde von einem Taxi abgeholt. Ein zweiter Gast, der an einem andern Hotel abgeladen wird, ist auch am Samstag mit auf der Campingtour. Er ist aus
England. Obwohl er ausgesprochen deutlich spricht, verstehe ich höchstens der Spur nach einen Teil seiner Unterhaltung mit dem Chauffeur. Ich tue meine Hoffnung kund, wenigstens nur Einen anzutreffen,
der deutsch spricht und den ich fragen kann: "washetergseit". Da könne ich beruhigt sein, in meiner Gruppe seien etwa 15 Deutsche aus Frankfurt mit dabei, tröstet mich der Taxichauffeur.
Mein Hotel liegt am Darling Harbour und ein warmer Abendwind streicht mir zur Begrüssung in die Haare. Nach einer erfrischenden Dusche gehe ich mal in der nächsten Umgebung auf Futtersuche. Quer
über der Strasse finde ich in einer Pizzeria an einem Bistrotischchen einen Platz, fast auf dem Trottoir und bekomme einen Teller mit ausgezeichneten Tortellinis. Doch irgendwie bin ich viel zu müde, ich
schaffe kaum die Hälfte. Ich sehne mich nach dem Bett. Das Bier, welches ich dazu bestellt habe, trägt wohl auch das Seine dazu bei.