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Heute ist um acht Uhr Abfahrt. Wolken wallen noch tief über dem Irazù, den
man vom Zimmer aus sieht und der unser heutiges Ausflugsziel ist. Im morgendlichen
Verkehrsstrom wälzen wir uns Richtung Cartago. Sogar ein Stück auf einer
Mautstrasse, welche die riesigen Werbeplakate säumen und auf der wir sogar einem
Velofahrer begegnen.
Wir fahren vorbei an einer unfertigen Kirche enormen Ausmasses. Seit vierhundert Jahren
wurden an dieser Stelle Kirchen und Kathedralen erbaut, welche aber immer das gleiche
Schicksal ereilte - sie wurden Opfer von Erdbeben. Zuletzt war es eine grosse Kathedrale,
der das Beben von 1910 zum Verhängnis wurde. Vielleicht war es doch eher der
umwerfenden costa-ricanischen Baukunst zuzuschreiben als der Strafe Gottes, wegen des
Pfarrherrn, der anstatt seinen Bruder zu verheiraten, mit dessen Braut durchbrannte, wie
man dies erzählt. Jedenfalls will man diese Kirche nun nicht ein sechstes Mal wieder
aufbauen.
Dafür hat man gar nicht weit davon entfernt die Basilica de Nuestra Señora de
los Angeles, der Schutzpatronin des Landes, eine Wallfahrtskirche erbaut. Ähnlich
wie in Lourdes, fand ein Mädchen auf einem Felsen eine kleine Madonna und nahm sie
heim. Am nächsten Tag aber war dieselbe Figur wieder dort und keine mehr daheim.
Weil sie folglich dort sein wollte, baute man eine Kirche um die Madonna und ihren Felsen
herum. Das Wasser aus dem Quell hinter der Kirche soll Wunder bewirken. Dies bezeugen
hunderte Votivgaben in Form von aller Art von Körperteilen für wundersame
Heilungen und man füllt kannisterweise Heiliges Wasser vom Quell beim Felsen ab.
Sogar der Papst war mal hier zu Besuch oder verteilt wohl nur das Plakat vor dem Portal
seinen päpstlichen Segen? Gerade beginnt eine Messe und eine ganze Familie rutscht
auf den Knien den ganzen Gang bis zum Altar nach vorn und so wollen wir nicht länger
stören und wenden uns dem nächsten Event zu.
Marlis hat den Wunsch geäussert, einen Markt zu sehen und so hält Ernesto direkt vor der Markthalle. Die Marktleute beginnen erst, ihre Ware vor den Rampen auszupacken, aber im Innern der Halle tauchen wir ein in eine wundersame Welt. Fleisch, Gemüse und Obst zu Hauf. In kleineren oder grösseren Ständen probieren alle alles an den Mann oder die Frau zu bringen und wir sind fasziniert von den Farben, Gerüchen und Geräuschen, die den Raum erfüllen. Ich will die Gelegenheit benützen, einmal zu einer natürlich gereiften Banane zu kommen. Eine einzelne Banane! Der Verkäufer sieht mir die fremde Banausin gerade an und will sie mir schenken. Anstatt zu diskutieren holt er noch zwei verschiedene Sorten von Passionsfrüchten die er halbiert und Marlis auch gerade die Hälfte zum Probieren reicht. Dann sollen wir noch wissen, wie die Cas schmecken, die aussehen wie eine Nuss, aber eine saftige, süsssäuerliche Zitrusfrucht ist. Zu guter Letzt bringt er uns noch ein Papierserviettchen, damit wir unsere triefend-klebrigen Hände abtrocknen können. Natürlich müssen wir von ihm und seinem üppigen Gemüsestand ein Foto haben. Wir sind glücklich über all diese herrlichen Fotosujets und Marlis kommt ganz in Fahrt mit ihrer neuen Kamera. Ihre Opfer freuen sich sichtlich darüber, dass ihnen Marlis jedesmal das Bild zeigt, welches sie von ihnen gemacht hat. Viel zu schnell ist die uns zugestandene halbe Stunde um, wir hätten es hier noch lange aushalten können.
Ernesto hat es geschafft hier in diesem Treiben eine halbe Stunde ausharren zu können, er musste nur ein paar Meter weiter fahren. Aber nun nehmen wir den Berg in Angriff. Es scheint, dass sich die Wolken am Vulkan langsam verziehen, denn zwischendurch sieht man auf seinem Gipfel einige rot/weisse Sendermaste. Neben Unheil, welches der Berg schon angerichtet hat, scheint er aber auch Segen zu verteilen. Fruchtbare Erde und soweit das Auge reicht wird Gemüse angepflanzt. Die Strasse windet sich durch gepflegtes Ackerland immer weiter hinauf. Plötzlich steht Ernesto für einen Fototermin auf die Bremse. Neben modernen Landwirtschaftsmaschinen, kann man nämlich auch Ochsenkarren oder wie hier ein Pferd mit einem Pflug sehen, mit welchem die Bauern zwischen den Furchen die Kartoffelstauden anhäufen. Weiter kommt man den Berg hinan, bis fast auf 3000 Meter, wo immer noch ehrwürdige, alte Bäume stehen, zwischen denen alle nur möglichen Landstücke mit Zwiebeln, Kartoffel- und Kabisplätzen angepflanzt sind.
Die oberste Spitze um die Krater des Irazù ist Nationalparkgebiet und es scheint, der Berg mit seinen 3432 Metern Höhe kenne keine Baumgrenze. Die Strasse führt bis ganz hinauf, wo wir für dreiviertel Stunden Vulkan- und Kraterfeeling auskosten können. Um die Situation klar zu machen, zeigt einem für den Fall einer Eruption eine Evakuationstafel die Fluchtwege auf und auf gepflastertem Weg gelangt man vom Parkplatz aus zwischen zwei mit Asche zugeschütteten Nebenkratern zum Lookout für einen Blick an einer senkrechten Felswand hinunter in den Hauptkrater. Bilder und Postkarten zeigen hier unten einen See, aber von dem ist nichts zu sehen. Ob er verdampft ist, weil es langsam wieder warm wird von unten? Wie ein friedlicher See, bewachsen mit ein paar dürren Grasbüscheln liegen auch die beiden Nebenkrater da. Vielleicht tanzen wir ja wirklich auf einem Vulkan! Man erzählt uns, dass sein Schlot eingestürzt und seither der Nachbarvulkan wieder zum Leben erwacht sei. Von dort bläst auch ein eisiger Wind Rauch- und Nebelwolken herüber.
Es ist Mittagessenszeit geworden und hoch über Cartago kehren wir auf dem
Rückweg im Restaurant 1910 ein. 1910 war das schlimme Erdbeben, das die ganze Stadt
dem Erdboden gleich machte und Fototapeten in der ganzen Gaststube machen einem das ganze
Ausmass bewusst. Für uns stehen im Sääli schon die Kaffeetassen je unter
einem hölzernen Filtersackhalter für nachher bereit.
Zuerst gibt es aber Olla de carne, das heisst Fleischpfanne und ist eine Art Siedfleisch
mit diversen Gemüsen aus dieser Gemüsegegend: Yukka oder Manjok, Kartoffel,
Rüebli, Maiskolben, Kochbanane und chayote, diese costa-ricanischen Kohlräbli.
Dazu gibt's Reis, mit welchem man die Flüssigkeit, in welcher das Gemüse
schwimmt, auftunkt.
Am Tisch wird für den traditionellen Kaffee das Pulver in seinem Filterständer
mit heissem Wasser aufgebrüht und wenn's unten nicht mehr tropft, ist der Kaffee
tinkbereit. Dazu gibt's eine Art Fasnachtsküechli, natürlich handgemacht mit
Melasse übergossen.
Eigentlich sollte uns die Weiterfahrt über die Strasse durch den Nationalpark
Braulio Carillo in der Nähe des Vulkans Barva vorbei nach Guapiles führen, aber
dank dem Regen der letzten Tage besteht dort Erdrutschgefahr und um dieses Risiko zu
umgehen, nehmen wir Strasse 230 östlich über Pacayas, Santa Cruz und Turrialba.
Auf einer kurvenreichen, engen Strasse durchfahren wir hügeliges und wieder eher
karges Landwirtschaftsland, welches man vielleicht bei uns im Tessin antreffen
könnte. Irgendwo gibt's eine Schweiz, vielleicht ein Weiler, den einmal Schweizer
gegründet haben.
Noch sind es keine drei Stunden, seit wir auf fast 3500 Meter Höhe gestartet sind
und bereits nähern wir uns der Karibikebene. Eine massive Höhendifferenz und
Gerda leidet. Stephan weiss einen Landgasthof mit weiter Aussicht, wo wir uns einen
Kaffee und Gerda sich ein Stündchen Ruhe gönnen kann. Es ist wieder trüber
geworden und niesliger Nebelregen begleitet uns bis Siquirres, wo das Land nun wieder
flach und weit wird. Wir befinden uns nun nördlich der Gebirge und Vulkane. Hier
sieht man die grossen Zuckerrohr- und Bananen-Plantagen und auf der sehr frequentierten
Querverbindungsstrecke zwischen Karibik und Pazifik erreichen wir auf unserem heutigen
grossen Umweg unser Hotel in Guapiles erst nach Einbruch der Dunkelheit.
Das Suerre ist ein schönes Viersternehotel, das bei einheimischen
Geschäftsleuten sehr beliebt ist und es besticht mit riesigem Schwimmbad. Mit seinen
50x25m sei es WM-tauglich, so dass die Elite hier auch trainieren kann. Es auch
auzuprobieren, verschiebe ich lieber auf morgen, es war heute ein langer und
ereignisreicher Tag.
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