Fast ungeduldig habe ich nun dieses Jahr darauf gewartet, bis endlich Weihnachten
vorbei war und ich mit Packen beginnen konnte. Auf das Abenteuer habe ich mich
bereits vor vier Jahren eingelassen, kaum als ich aus Australien wieder daheim war.
Hilda aus Kanada, mit welcher ich in Kontakt geblieben bin, hätte gerne auch
noch den Westen von Australien und Neuseeland kennen gelernt und warf die Frage in
die Runde, wer Anfangs 2008 mitkommt, wenn sie wieder einen langen Urlaub einziehen
kann. Da war ich natürlich sofort dabei und konnte auch René, welcher
eben dann auf meiner Bildfläche erschienen war, animieren.
Schon Anfang letzten Januar besuchten wir deswegen die Ferienmesse in Bern, um
vorzusondieren. Da man diesen Teil von Australien im Januar wegen der Regenzeit
vergessen kann, wollten wir uns eher nur auf Neuseeland konzentrieren und fanden
ein Angebot, wo man per Mietauto das Land erkunden kann. Machbare Etappen sind
vorgegeben und die Unterkünfte reserviert. Um die Verpflegung muss man sich
selber kümmern, was für uns, rsp. René als Vegetarier, in diesem
Fall optimal ist. Bereits hier schieden sich nun schon die Geister, indem Hilda,
die dort in Kanada bestimmt hundert Kilometer zum Einkaufen oder Ausgehen
fährt, nicht selber fahren und suchen, sondern lieber den Komfort einer
Reiseführung geniessen wollte. Zudem fanden wir nur eine geführte
Gruppenreise mit AAT-Kings, welche in 25 Tagen die Nord- und die Südinsel
bereist. Der Floh sass nun aber schon in unserem Ohr und so buchten wir halt unsere
40-tägige Inselrundfahrt allein. Wir starten am 4. Januar in Auckland mit der
18-tägigen Nordinsel-Rundfahrt, fliegen dann nach Christchurch und fassen dort
einen zweiten Nissan für die 21-tägige Südinsel-Exkursion.
Ein Kollege von René hat uns das Tui-Reisebüro in Lörrach
empfohlen und Herr Jehle hat uns alles hervorragend organisiert. So haben wir vor
einer guten Woche bei ihm die letzten Unterlagen mit Tipps und Ratschlägen
für unterwegs, plus die Sitzplatzreservierung im ICE nach und von Frankfurt in
Empfang genommen.
Letzteres ist kein Luxus, denn wie es sich herausstellt, sind wir nicht die
Einzigen, die an diesem eher trüben Neujahrs-Nachmittag mit den Deutschen
Bundesbahnen unterwegs sind. In Mannheim, wo wir umsteigen müssen, herrscht
sogar mittleres Chaos. Hier wird der Zug, der vor einer halben Stunde hätte
fahren sollen, erst in wenigen Minuten erwartet. Ich stelle mich schon darauf ein,
in einer Wagenkupplung eingeklemmt, zwischen Gepäck und auf unseren Koffern
sitzend, die letzte halbe Stunde bis Frankfurt zuzubringen, denn bis unser
regulärer, sitzplatzreservierter Zug in einer Stunde kommt, wollen wir nicht
warten. Aber es ist wieder alles wunderbar. Der einfahrende weisse Riese ist leer
und wir können uns sogar richtig ausbreiten.
Die Verirrungen im Riesen-Flughafen Frankfurt sind nur minim, der Check-in-Schalter
schon geöffnet und in Betrieb und schon sind wir unser gröberes
Gepäck los. Das sehen wir bis Auckland nicht mehr. Diese Entscheidung ist
schnell getroffen. Nur noch die Windjacke in die Reisetasche gestopft, denn
Singapur liegt unter dem Äquator und soll tropisch sein. Die Zahnbürste
und Ersatzwäsche habe ich vorsorglich im Rucksack, um gewappnet zu sein, falls
das Gepäck, wie damals im Oman, nicht mit uns am Bestimmungsort eintreffen
sollte.
Passkontrolle und Body-Check. Vor dem Durchgang wird alles, was nicht niet- und
nagelfest ist, in viereckige Kistchen gelegt. Bauchkiosk, Rucksack, Portemonnaie
und sonstiger Tascheninhalt. René hat seinen Laptop dabei, samt
zusätzlicher Harddisk, damit wir genügend Speicherplatz für unsere
zu erwartenden Fotos haben. Hiefür hat er sich einen praktischen Pilotenkoffer
erstanden, welcher kabinentauglich sein soll. Den Computer muss er aber auspacken
und extra in eine Box legen. Vier angehäufte Container verschwinden hinter den
Plastikstreifen im Röntgentunnel.
Unbehelligt und lachend kann ich auf der andern Seite meinen Rucksack wieder in
Empfang nehmen, während René Hände hochhaltend, auch noch die
Absätze seiner Turnschuhe herzeigen muss. Sogar den Hosengurt muss er
öffnen und einen Moment lang meine ich, sie wollen noch mehr sehen. Aber den
Ausweis für sein neues Knie hat er ja dabei. Allerdings im Pass, welcher in
einer der Kisten noch unterwegs ist und bereits ein zweites Mal durch den Tunnel
gelotst wird. Diese Situation erinnert mich doch stark an jene, als ich zusammen
mit Werner nach Kalifornien flog. Endlich haben wir unsere Siebensachen wieder
eingesammelt, nur der Laptop wird sorgfältig von einer Security-Dame auf den
Armen durch den Sicherheitskorridor getragen und wir müssen ihr nun um sieben
Ecken in ein kleines Büro folgen. Behutsam wird dort der Compi jetzt von einem
Fachmann abgestaubt und die Staubpartikel in einer Maschine auf eventuellen
Sprengstoff analysiert.
Bald sind wir aber auch hier mit Verdacht entlassen und wir können die noch
verbleibende Zeit, bis wir uns am Gate B48 einfinden müssen, bei einem
beruhigenden Bier an der Snack-Bar vertrödeln. Zwanzig Minuten nach zehn Uhr
verlassen wir die bunt beleuchtete Piste auf Europäischem Boden und unsere
Boeing 777 der Singapore Airlines trägt uns unserem Abenteuer am andern Ende
der Welt entgegen.
Im Moment nützt uns unser Fensterplatz noch wenig, dafür kann man sich am
Bildschirm vor der Nase über die Flugroute und die aktuelle Position, die via
GPS übermittelt wird, orientieren. Jeder hat seinen persönlichen
Computer, über welchen man unzählige Filme, Musikangebote, Games, Puzzels
und weiss ich was alles für seine eigenen Bedürfnisse zur Ablenkung oder
Überbrückung des zwölfstündigen Fluges abrufen kann. Kleine
Necessaires mit Zahnbürste, einer Miniaturzahnpasta und einem Paar Socken
werden verteilt. Schade, dass unser Sitznachbar nicht davon Gebrauch macht. Seine
Schuhe liegen unter dem Vordersitz und seinen Füssen entströmen nicht
gerade Blütendüfte. Zum Glück muss er die Füsse, die er
abwechselnd auf die Oberschenkel legt, wenigstens beim Essen unter den Tisch
stellen. Zuerst werden die Spezialmenüs verteilt - Renés asiatisch
vegetarisches zuerst und die normal Sterblichen können nachher zwischen Fisch
und Vogel wählen. Dann gibt's bald Nachtruhe und es wird darauf geachtet, dass
alle Fensterläden geschlossen werden. Die Konzentration für mein Sudoku
ermüdet mich doch so, dass ich es sogar schaffe, ein bisschen zu dösen.
Es ist inzwischen halb vier geworden und ich schiebe das Rollo ein klein wenig
hoch. Tatsächlich liegt schon ein goldener Glanz auf der unendlichen Weite des
Horizonts. Der neue Tag, dem wir entgegen fliegen, bricht an. Schon eine halbe
Stunde später ist es draussen sonnig und hell und man hat eine klare Sicht auf
eine weite Wüste unter uns. Jetzt kann ich nicht mehr an mich halten, ich
öffne meinen Fensterladen und lasse mir das Schauspiel nicht nehmen. Von der
aufgehenden Sonne werfen die Dünen und Hügel lange Schatten und aus der
Höhe von 11 bis 12 Kilometern kann man ihre bizarre Struktur und den Verlauf
der ganzen Gebirgszüge erkennen. Ich klebe wieder an der Scheibe und mir ist
egal, ob sich die andern wegen der Helligkeit gestört fühlen. Ich habe
mich vorhin vom Fussschweiss auch gestört gefühlt.
Dann probiere ich doch auch etwas zu schlafen und es gelingt mir sogar, denn
plötzlich ist der kleine Flieger auf dem Display vor meiner Nase über
ganz Indien weitergerückt. Ich sehe gerade noch die Ostküste. Erst gegen
Singapur wird das Wetter wolkig und dann sogar bedeckt. Sieben Stunden müssen
wir die Uhr vorstellen. Es ist hier gerade fünf und elfdreiviertel Stunden
haben wir nun mehr oder weniger ruhig auf unserem Viertel von einem Quadratmeter
stillgesessen. Im riesigen Flughafengebäude kann man nun an Bewegung
nachholen. Bis man nur beim Bagage-Claim ist, muss man endlose Gänge
passieren. Auf 6 Laufbändern überholt man die Fussgänger zwischen
den Gates im Eiltempo. Alles ist nobel mit Spannteppichen ausgelegt. Massagesessel
mit Beinschienen stehen bereit, mit welchen man wohl die Durchblutung in den
unteren Extremitäten wieder etwas anzuregen versuchen kann. Alles ist noch
schön weihnächtlich dekoriert mit Weihnachtssternen, roten und goldenen
Kugeln im grünen Tannenreisig.
Für 6$ gelangt man mit Shuttels am günstigsten in die Stadt, zum Furama
City Hotel jedoch geht der nächste erst fast in einer Stunde. Also laden wir
unser Gepäck bei jenem Taxi ein, das an der Reihe ist und uns von einem
Dienstmann zugewiesen wird. Während der gut halbstündigen Fahrt
erklärt uns der freundliche Fahrer eine Menge über Singapur. Über
den Tunnel, mit der die Strasse im Expresstempo unter der Stadt durchführt,
das Riesenrad, welches für eine Fahrt ringsum 40 Minuten benötigt und pro
Kabine 36 Personen mitnimmt, aber erst in zwei Monaten fertig sein wird und macht
uns auch auf den riesigen Bauplatz aufmerksam, wo ein Las Vegas im Entstehen sei.
Um zu unserem Hotel zu gelangen, muss er aber mitten ins Gewühl der City
fahren. Damit er das überhaupt darf, hat er ein elektronisches Kästchen
auf dem Armaturenbrett, welches ihm automatisch bei jedem Einfahren in diesen
ERP-Bezirk (Electronic Road Pricing) zwei Dollars belastet oder abbucht, wie wir
dies mit dem Car an den Mautstellen auf den Autobahnen in Europa kennen gelernt
haben.
Meine Uhr hat schon fast zwei Uhr, aber hier ist eben erst Abend geworden und
obwohl wir ziemlich müde sind, machen wir uns auf den Weg, um im nahen
Chinatown was zu futtern zu finden. Nur etwa zwei Querstrassen vom Hotel entfernt,
befinden wir uns bereits im belebten chinesischen Markt, wo wir von Reinschmeissern
überfallen werden. Die bebilderten Menükarten, wo die Fleisch- und
Fischportionen besonders ansprechend drapiert sind, lassen uns jedoch zögern.
Wir sind auf der Suche nach vegetarischen Köstlichkeiten. Ob man hier
überhaupt so etwas findet? Es herrscht eine drückende Schwüle und am
Schluss wäre ich zufrieden mit einem kühlen Bier als Schlummertrunk. Eine
Frau schafft es, uns mit verschiedenen fleischlosen Menüs auf ihrer Karte zu
animieren, so dass wir bald in ihrer Garten- respektive Strassenwirtschaft hinter
ein paar feinen Frühlingsrollen sitzen. Ich geniesse zu meiner Ente ein
chinesisches Tiger Bier, aber auch den leichten Luftzug eines grossen Ventilators,
welcher die mit Tischen bestückte, halbe Strassenseite bestreicht.
Bis wir uns auf den Heimweg machen ist bald neun Uhr geworden und die
Markstände werden abgeräumt. Noch zwischen Tür und Angel ergattere
ich mir einen superflachen, schon lange gesuchten, idealen, neuen Bauchkiosk
für etwa zehn Franken.
Unter dem Eindruck verschiedener Schauergeschichten bezüglich
Verköstigung im asiatischen Food-Dschungel, kippen wir in der Hotelbar
vorsorglich noch einen Schnaps. Sogar René bestellt sich einen Whisky sour!
An der Rezeption wird für morgen 6 Uhr ein Taxi bestellt, dann der Wecker
gerichtet und man versinkt nach einem unendlich langen Tag für wenige Stunden
in die Bewusstlosigkeit.