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Nach wochenlangem, nasskaltem Wetter hat sich das Blatt gestern gewendet und für die vor uns liegenden Tage verheissen die Wetterprognosen eitel Sonnenschein. Bestimmt, um bei unseren Dänischen Freunden, welche auch zur diesjährigen Sommerwanderung ins Calancatal extra von Kopenhagen eingeflogen sind, Eindruck zu schinden. Schulreise-Erinnerungen steigen auf beim Blick auf das sonnenbeschienene Rütli am Urnersee und fast ebenso spannend wie damals ist es immer noch, wenn das Kirchlein von Wassen endlich in seinen drei Variationen zu sehen ist.
Schon um die Mittagszeit warten wir in Bellinzona auf das Postauto, welches uns nach Lumino bringen wird. Margrit ist auch bereits heute mit uns gefahren. Sie will zwar die erste Etappe doch lieber noch auslassen. Sie fährt im Postauto weiter bis nach Grono und dann will sie das pariserische Hotel in Augio fast zuhinterst im Calancatal suchen, von welchem ihr Esti während der Zugfahrt vorgeschwärmt hat. Morgen in Landarenca wird sie dann wieder zu uns stossen.
Zusammen mit Hans und Annigna, Klaus und Marie-Louise, Knud und Lykke-Lise, Vreni, Esti und mir sind wir nun neun, die in der Funivia Pizzo di Claro in drei ausserfahrplanmässigen Sonderfahrten über blühende Kastanienwälder fast 1000 Meter zum Monti di Saurù emporschweben. Im kleinen Restauräntchen kann man sich mit einem kühlenden Getränk erfrischen und die Aussicht ins Valle Mesolcina und Richtung Bellinzona geniessen, soweit dies der sommerliche Dunst zulässt. Eine Wandersfrau kann gerade von unserer Extrafahrt profitieren. Sie war schon oben in der Capanna Brogoldone und kann nun mit hinunter reiten. Verblüfft erkennt Vreni ihre Freundin, welche in Lumino Ferien macht und mit welcher sie sich eigentlich nächste Woche treffen will. Man kann hingehen wo man will, immer trifft man jemanden, der einen kennt.
Auf der vorgesehenen Route erklimmt der Wanderweg die Steigung zur Brogoldone-Hütte der Tessiner-Bünder Grenze entlang in der Direttissima. Hölzerne Figuren, von Spezialisten mit der Motorsäge angefertigt, verführen uns aber dazu, den zwar etwas weiteren, dafür aber weniger steilen Skulpturen- und Naturlehrpfad einzuschlagen. Man geniesst die von Vogelstimmen begleitete Wanderung im Schatten des Waldes dem steilen Hang entlang. An 15 verschiedenen Skulpturen kann man die Fertigkeit, mit einer Motorsäge umzugehen, bestaunen. Da begegnen einem Eichhörnchen, Gämsen, Murmeltiere und ein Senn mit Käselaiben auf seinem Räf. Einer bereitet sogar in einem Kessel auf dem Feuer seinen Käse zu. Alles aus einem dicken Baumstamm ausgesägt.

in Bellinzona glänzende Sommerblumen in Lumino zur Seilbahnstation über Kastanienwälder empor auf dem Monti di Saurù

Laut Wegweiser erreicht man in einer guten Stunde die Alp Domas, von wo man hinunter nach Claro in der Tessiner Riviera, wie es dort heisst, eine wunderbare Aussicht hätte, wenn nicht so ein Dunst alles verschleiern würde. Mutig nehmen wir das letzte Drittel des Aufstiegs von hier aus in Angriff. Ich merke schon, dass ich dieses Jahr nicht gross trainiert bin. Das Bisschen Gross Tun von wegen von Schönenbuch bis Ammel zu marschieren, hat nicht so recht gegriffen. Also schicke ich halt meine Dampfwalze auf den Weg.
Die ersten Enziane lassen mich bald schon die Kamera zücken, aber der Schatten des Waldes, der mir doch so kommod vorkam, stört mich nun fast etwas. Ich will doch ein leuchtendes Enzian-Bild! Ja, Vreni hat recht - es hat bestimmt in diesen Tagen noch mehr an unserem Weg. Hans freut sich nämlich auch schon auf die Frühlings-Flora, welche uns hoffentlich dank des früheren Ferientermins in diesem Jahr erwartet.

von hier aus gehts auf Schusters Rappen Sennebueb eine Gams zum streicheln alles aus einem Baumstamm kein klarer Blick nach Claro

Endlich haben wir die Waldgrenze erreicht und gleichzeitig auch das lange, schmale Alpbödeli, auf dessen Nase die Schweizer- und Tessinerfahne zusammen in das dunstige Tal hinunter winken. Unsere heutige Unterkunft, die Capanna Brogoldone liegt geschützt von einer Felsarena in einer Mulde verborgen. Wir werden erwartet. Mit einem gelben Tennisball im Gras vor seiner Schnauze schauen zwei bettelnde Augen zu den ankommenden Gästen auf. Das muss nun jeder verstehen und unermüdlich fängt der schwarzweisse Border Collie den geworfenen Ball meist noch in der Luft auf. Er weiss genau, dass ich noch nicht an der Reihe war und weil man sich nun im Vorraum die Schuhe auszieht, wird mir nun der inzwischen speicheltriefende Ball vor die Füsse geworfen, weil ich zuerst noch von der schönen Hütte die ersten Fotos machen wollte. Im Gegensatz zu uns verleidet es ihm überhaupt nicht. Penetrant rollt der Ball in den Vorraum. Weil er selber ganz offensichtlich nicht hinein darf, legt er sich bettelnd auf dem Bauch vor die Schwelle, so dass man einfach gar nicht anders kann.

Alp Domas wir haben's bald die Brogoldone-Hütte schiess mers Balli er ist unermüdlich

Es ist eine geräumige Hütte und obwohl noch immer andere Wanderer eintrudeln, haben wir etwa 25 Lagerplätze für uns allein zur Verfügung. Man hat hier eine gute Lösung getroffen, indem man den Tages- und Nachtbereich getrennt hat. Um sieben Uhr gibt's drüben, wo in der Küche auf dem Holzherd eine Tessiner-Polenta kocht, im gemütlichen Essraum Znacht. Unser Tisch ist unübersehbar reserviert mit einem Plakat für: Knut und seine Freunde. Dieses Werbeplakat für den Film der knuddeligen Eisbären hat Hans extra zu diesem Zweck... im Rucksack hier heraufgetragen!
Die Polenta ist Frau Resinelli sehr gut geraten. Jeder bekommt einen grossen Schöpflöffel voll auf den Teller und obendrauf eine dicke Scheibe Gorgonzola, welcher sich auf dem heissen Brei langsam verflüssigt. - Herrlich!

Knud, nicht der Eisbär
mit der Motorsäge aus einem Stück SMSlen geht wir bezahlen die Zeche Heja am längsten Tag

Wegen seiner verborgenen Lage hat man in der Hütte auch keinen Empfang mit dem Handy. Frau Resinelli schickt uns die paar Stufen hinauf aufs Alp-Bödeli und von hier kann man den daheimgebliebenen Liebsten mit der Anzeige der vollen Leistung SMSlen oder die wohlbehaltene Ankunft in unserer ersten Etappenunterkunft mitteilen. Nur mit dem Sichtkontakt mit dem Talgrund hapert es. Auch die Sonne verabschiedet sich heute hinter goldgeränderten Wolken und noch ehe es ganz dunkel ist, haben sich an diesem längsten Tag im Jahr schon alle in die Heia verkrochen.

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