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Glänzend erstrahlt uns ein neuer Morgen und es scheint, als wolle uns der
behäbige Ost-Gipfel im frühen Sonnenschein mit dem Daumen-nach-oben-Zeichen zum
Abmarsch rings um die sieben Gipfel gratulieren. Bei solch wolkenlos blauem Himmel ist es
auch eine reine Freude im Frühtau zu Berge zu gehn. Moderat ist der Aufstieg
über Weiden und durch Wald und lange Zeit hat man immer wieder einen weiten Blick
über das tief unten liegende Rhonetal bis hin zum Genfersee.
Hinter der dritten Bergnase, die wir umrunden, kann ich genau jenes Bild auf meinen Chip
bannen, welches gestern in der Stube im Centre Sportif hing. Die sieben Gipfel der Dents
du Midi, beginnend mit dem Cime de l'Est (3'178 m ü. M.) dann die Kathedrale
(Cathédrale 3'160 m ü. M.), Eperon (3'114 m ü. M.), Dent Jaune (3'186 m
ü. M.), die beiden 'Finger' Doigt de Champéry (3'200 m ü. M.), Doigt de
Salanfe (3'210 m ü. M.), und die Haute Cime (mit 3'258 m ü. M. die höchste
Erhebung, aber am weitesten von uns entfernt).
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Der Weg quert hier einen steilen, steinigen Abhang. Auf schmalem Pfad, zum Teil mit
Ketten gesichert, stelle ich mir die Situation vom letzten Jahr vor. Bestimmt hatte es
hier in diesem Schattenloch noch Eis und Schnee und ich atme noch heute erleichtert auf,
dass wir diese Tour aufgeschoben haben.
Bessere Bedingungen als diese Woche könnten wir wohl kaum noch haben. Der Weg
führt uns hier in einem grossen Bogen über die Alp Chalin, hinauf zum Signal de
Soi, wo laut Wegweiser eine schöne Aussicht versprochen wird und wir beschliessen,
dort unsere Mittagsrast zu machen. Der kurze Abstecher von fünf Minuten bis ganz
hinauf zum Gipfel lohnt sich auf jeden Fall. Nicht nur wegen dem Gipfelkuss, solche
Gelegenheiten darf man ja nicht auslassen - es wurde nicht zu viel versprochen. Hinter
uns erheben sich majestätisch all die Zähne, Finger und Gipfel der Dents du
Midi und zu unseren Füssen schmiegen sich Champéry und weitere Dörfer
des Val d'Illiez zum Teil recht weit hinauf an den gegenüberliegenden Hang. Ein
Schwalbenschwanzpärchen umtanzt uns, während man sich hier staunend zum
besinnlichen Picknick niederlässt.
Den Geheimtipp für einen Abstecher hinüber zum Lac de Soi, hat uns gestern
Her Jordan gegeben und Pascal und Priska opfern die Hälfte der Mittagsrast um in
einer dreiviertelstündigen Zusatzschleife auf die Spurensuche Buddhas zu gehen. Es
sei ein fast mystischer Ort, wo sich Leute einfinden zum Meditieren und wo man auch
tibetische Gebetsfahnen vorfinden könne. Aus Steinen sind Mandalas gelegt worden und
eigentlich fehlt nur Buddha, wird uns später rapportiert.
Wir haben uns unterdessen auch auf den kurzen, steilen Abstieg hinunter auf den
Höhenweg gemacht, der uns mehr oder weniger den Höhenlinien zwischen 1900 und
2000 Metern bis zu den Lacs' d'Anthème führt. Darauf bedacht, gewissenhaft
die Stundenstops einzuhalten, damit man genügend Flüssigkeit nachtanken kann,
verschnaufen wir wieder mal an einem schönen Grasbord, wo man immer noch die
herrliche Aussicht übers ganze Val d'Illiez geniessen kann. Eh man wieder startklar
ist, muss man im vorhin überquerten Wässerlein einen Rucksack waschen, denn
Lisbeth hat den ihren in einem perfid versteckten, frischen Kuhfladen deponiert.
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Der Wanderweg führt uns heute den ganzen Tag wie dem Rand einer
Spitzenbordüre nach immer wieder um eine Felsnase herum, hier heissen sie
Arête oder Crête, dann in einem grossen Bogen in die eine Alp umschliessende
Arena, über welche sich nacheinander die aufragenden Doigts und Cimes der Dents du
Midi erheben. Bald haben wir für heute den letzten Berggrat, den oder die
Arète de Sélaire erreicht, welche sich über zwei Zähne von 2425
und 2760 bis hinauf zur Haute Cime auf 3257 erstreckt. Gwundrig erreicht man die letzte
Krümmung des Weges, wo sich uns die neue Perspektive eröffnet. Wieder eine
grosse, halbrunde Felsenarena, zu deren Füssen uns die Schweizerfahne der Cabane
d'Anthemoz zuwinkt und unweit davon sich aus dem dahinter liegenden grünen Bergsee
ein rauschender Wasserfall den Berghang hinunter stürzt.
Erst auf den zweiten Blick erkennt man wegen seiner grünen Farbe den idyllischen,
kleinen See in einer Mulde etwas hinter der sich in den Berghang hinein duckenden
Hütte. Ganz offensichtlich fegen da im Winter die Schneemassen über das leicht
geneigte Dach hinweg ins Tal hinunter.
Mit einem kühlen Getränk stossen wir auf der Terrasse auf die wunderschöne
erste und längste Etappe unserer Wanderung an. Hans informiert sich beim
Hüttenwart über unser Lager. Der hat für uns zwei Varianten im Angebot:
den einen Raum für acht Personen und leider für zwei einen kälteren
Verschlag. Spontan erkläre ich mich zusammen mit Lisbeth für den Eiskasten
einverstanden. Wir wissen so, dass wir dann in der Nacht das Fenster weit geöffnet
haben können. Wie sich herausstellt, ist unser Fenster überhaupt das Einzige,
welches diese Hütte in einem Schlafzimmer aufweist. Die andern Räume, in welche
jedenfalls ich einen Blick hineinwerfen konnte, sind so ziemlich von Wand zu Wand mit
Matratzen ausgelegt und Öffnungen haben diese nur indirekt in andere Räume des
Hauses, wie zum Beispiel den Aufenthalts- und Essraum, in dessen hinterer Ecke sich auch
ein kleines WC befindet. So muss man wenigstens in der Nacht nicht rings ums Haus herum,
hinunter in den Waschraum. Dieses Fenster allerdings entlässt seine Düfte und
gurgelnden Geräusche, die die Toilette von sich gibt, wenn jemand im untern WC
spült, direkt in unseren 'kalten' Raum, welcher wohl später als Erweiterung an
die Hütte angebaut worden ist.
Bevor wir uns aber hier häuslich installieren, will ich den zweiten See erkunden.
Der liegt unsichtbar von hier aus hinter einem weiteren kleinen Hügelchen. Lisbeth
und Priska begleiten mich, vorsorglich mit dem Handtuch versehen. Die Alpweiden hier sind
bevölkert von vielen Schafen. Ihr Bähh und Mähh echot von den schroffen,
steilen Felswänden und die weissen Kugeln spiegeln zusammen mit dem hier
überall blühenden Wollgras in einem dahindümpelnden Wässerchen um die
Wette. Versteckt hinter einer Moräne finden wir den zweiten See, nahe an der
Felswand und gespiesen wohl vom letzten Rest des Gletschers am hoch darüber
aufragenden Dent de la Chaux. Sein Wasser hat eine undurchsichtige, graue Farbe und
jetzt, wo ich beim Schreiben nachgeschaut habe, was Chaux heisst, wundert es mich nicht
mehr. Ein feines Pulver aus Kalk macht nämlich sein Wasser so trüb. Trotzdem
versuchen Priska und ich uns vorsichtig über das feine, schlüpfrige Ufer zu
einem kurzen, ziemlich kühlenden Bad zu kommen. Es ist eher ein Schlammbad und
ausser dem grauen Pulver wühlt man beim Versuch, sich auf allen Vieren durch das
glitschige Zeug mühsam wieder an Land zu ziehen, auch noch irgendeine schwarze
Pulvermischung auf, welche nur im ersten Moment aussieht wie die Überreste einer
Ölpest und wenigstens gut wieder abgespült werden kann.
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Des Argen noch nicht genug - von hier aus sehen wir nun plötzlich den Grund des penetranten Geruchs, der uns seit wir in die Nähe des Sees kamen, um die Nase gestrichen ist. Ein grosses, schwarzes, verendetes Schaf liegt insektenumschwirrt gegenüber auf der Moräne. Wir folgen dem Abfluss des Sees, welcher erstaunlicherweise als glasklares Wässerchen bald durch eine moorige Wiese mäandert. Immer wieder weitet es sich zu einem breiten Tümpel, in welchen wir fasziniert beobachten können, wie sich blubbernd durch den feinen Boden quellendes Wasser an der Oberfläche durch sich ausdehnende Ringe bemerkbar macht.
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Zum Znacht bereitet Fernand Jordan für all seine Gäste eine grosse Portion Spaghetti Bolognese zu, welche uns nach so einem Prachtstag draussen auf der Terrasse wunderbar schmeckt. Langsam verschwindet die Sonne gleissend hinter dem gegenüberliegenden Horizont und wirft ihre letzten Strahlen in das steinerne Halbrund hinter unserer Hütte und lässt die Haute Cime bald in einem warmen, goldenen Rot erstrahlen.
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