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Befremdend werden wir am Morgen beim Frühstückstisch begrüsst, weil
kurz vorher ein fremder junger Mann aus unserem Zimmer gekommen ist. Dabei ist alles gar
nicht so wie es aussieht! Um drei Uhr nachts kamen nämlich zwei Gestalten mit einer
Stirnlampe leise in unser Zimmer und verschwanden hinter einer Wolldecke, welche zu
Füssen unserer Matratzen an der Wand hing. Beim Nachschauen stellte sich heraus,
dass diese Decke wirklich als Türe zu einem weiteren Raum diente, der weder ein
Fenster noch Licht hatte, wo man aber auf drei oder vier Matratzen noch weitere
Gäste beherbergen konnte. Wir haben wenigstens in unserem 'kalten' Raum dank
geöffnetem Fenster, durch welches man allerdings nur auf eine etwa einen Meter
entfernte Felswand sehen kann, wohl am besten von allen geschlafen.
Zur Morgentoilette kann man sich draussen am Brunnen oder unten im Waschraum in die
Warteschlange einfädeln und wenn's pressiert, darf man sich nicht darob stören
lassen, wenn die Tür vom WC neben den sich waschenden Kameraden nicht zugemacht
werden kann.
Tee und Neskaffee kann man sich im Aufenthaltsraum in der obersten Etage mit dem heissen
Wasser, das aus der Küche heraufgebracht wird, selber zubereiten.
Also gestärkt sind wir so ziemlich punkt Acht Uhr wieder bereit und marschieren im
Frühtau zu Berge über Weiden hinunter, zuerst zu jenem Schober, den wir gestern
vom Signal de Soi aus auch auf einer zu umrundenden Arête gesehen haben, dann durch
den Wald und um noch mehr Felsnasen herum, auch immer wieder über die demontierbaren
Brücklein, wegen denen wir diese Tour im letzten Frühsommer nicht
durchführen konnten, weil sie wegen den Lawinen und dem vielen Wasser, das dann auf
allen Seiten der Dents herunter kommt, noch nicht wieder montiert waren.
Wir sind nun nach etwa 600 Metern Abstieg am tiefsten Punkt angelangt und wiederum nach einer Felsnase sieht und hört man hinten im Talkessel einen grossen Wasserfall der Saufla rauschen. Noch ist uns nicht bewusst, dass jener von der Sonne beschienene Pfad am gegenüberliegenden Hang nicht die Fortsetzung unseres Weges ist, denn für uns nun beginnt der Aufstieg. Zuerst hinauf über den grossen Wasserfall und von dort soll doch tatsächlich unser Weg irgendwo durch die Felsen hinauf über den Pas d'Encel führen.
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Ungläubig mustern wir den von hier aus unbezwingbar scheinenden Berg. Schroff erheben sich senkrechte Felswände über unseren Köpfen. In einem grossen Zickzack scheint der Weg über eine Weide, auf welcher Sterndolden, Eisenhut und Schwalbenschwanzenzian blühen, Anlauf zu nehmen, um dann zum Teil geführt von hilfreichen Ketten in der Direttissima steil in einem schmalen Einschnitt zwischen hohen Felstürmen hindurch zu verschwinden. Wie Gämsen klettern wir immer höher und höher, im wahrsten Sinne des Wortes der Sonne entgegen, denn diese empfängt uns nun nach dem kleinen Übergang und wie das Aufschlagen einer neuen Seite in einem Buch, eröffnet sich uns wieder ein ganz anderes Panorama.
Jenseits des runden Talkessels Susanfe, in welchem von Staumauern gesammelte Wasser
zweckst Stromerzeugung abgezapft und in langen Stollen dem Lac d'Emosson und Salanfe
zugeführt werden, winken uns vom Mont Ruan und dem Tour Sallière die weissen
Gletscher zu. Ein von aller Welt abgeschiedenes Tal, kein Lärm weit und breit
stört uns bei unserer ausgedehnten Mittagsrast und Siesta, wo man von
Bläulingen umschwärmt wird, welche uns gar von unserem Picknick ein
Häppchen abbetteln. Trotz intensivem Absuchen mit dem Feldstecher, hat niemand das
Glück, irgendein Alpentier zu erspähen. Höchstens die lauten Pfiffe der
Murmeltiere signalisieren uns, dass wir sie in ihrer alpinen Ruhezone zu stören
wagen.
Um halb drei haben wir unser heutiges Ziel, die Cabane de Susanfe, die auf 2102 Metern
liegt, bewacht von ein paar Dreitausendern wie die Kirche und der Dom des Tour Salliere.
Es ist eine SAC-Hütte und wir wussten nicht, dass gemäss Hausordnung Hunde im
Haus nichts zu suchen haben. Was passiert nun mit Ria? Sie hat insofern Glück, dass
die Hüttenwartin einen eigenen Hund und deshalb Verständnis hat und man findet
ein Plätzchen in einem kleinen Nebengebäude, welches als Lager und ebenso auch
Unterkunft der Wirtin dient. Was, wenn Ria nun dort die ganze Nacht keine Ruhe gibt, wie
letztes Jahr in unserer ersten Unterkunft, als sie auch nicht in die Zimmer durfte?
Wäre nicht so toll, denn man hat heute sechzig Gäste zum Übernachten. Da
scheint nicht nur in der Küche, sondern auch in den Dortoirs Organisation
angebracht. Da hier kein Strom und deshalb auch kein Licht zur Verfügung steht (man
kann also auch kein Handy und kein Fotoakku aufladen) präpariert man sein Nestchen
mit Vorteil, solange noch die Sonne zum Fenster herein scheint. Für unsere Gruppe
ist im hintern 20er-Schlafraum die untere Etage der 10 Kajütenbetten reserviert.
Knud kam gestern bei der Pyjamaverteilung einen Moment zu spät, um sein Lager auch
im kalten Raum einzurichten. Deshalb sind Lisbeth und ich jetzt darauf bedacht, uns die
drei ersten Matratzen beim Fenster unter den Nagel zu reissen und Knud muss dann zwischen
uns schlafen. Es hat hier sogar Duvets, und zwar recht grosse, aber die Matratzen sind
umso schmäler. Man wird wohl bei kaum 60 cm auf Kommando die Seitenlage ändern
müssen. Neben mir haben noch Hans und Annigna ihr Wigwam vorbereitet. In der oberen
Etage tönt es dann holländisch und sorgsam wird noch vor dem Ins-Bett-Gehen das
Fenster verriegelt. Das kann ja heiter werden.
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Zuerst aber müssen die vielen Leute verköstigt werden. Auch heute gibt es
kein aufwändiges und kompliziertes Menü aber die feine Suppe und die Spaghetti
schmecken gut, nachdem man so den ganzen Tag an der frischen Höhenluft war und der
Dôle dazu, ein Chanteauvieux ist auch nicht von schlechten Eltern und in Anbetracht
dessen, was uns heute Nacht noch wartet, vielleicht eine gute Vorsorge. Herbert zieht es
auf jeden Fall vor, in der Nähe von Ria zu pennen. Er hat dort im Lagerschuppen
einen winzigen Verschlag entdeckt, wo er eine Matratze für sich alleine zur
Verfügung hat und darüber wird er wohl noch beneidet. Obwohl die
Weltabgeschiedenheit hier oben vielleicht das Erlebnis eines so einmaligen Sternenhimmels
verspricht, wie man dies nur im Gebirge erleben kann, halte ich mich trotzdem zurück
mit Trinken. Das WC ist nämlich etwa 50 Meter vom Haus entfernt.
Weil Lisbeth direkt beim Fenster liegt, bekommt sie den Auftrag, Der Hüter der
frischen Luft zu sein. Mit dem Duvet kann man sich ja genügend zudecken und zum
Glück getrauen sich die Holländer nicht mehr, das Fenster zu schliessen.
Trotzdem wird es immer heisser unter der Decke. Auf so engem Raum, soviel Decke. Wohin
damit? Leider ist Hans neben mir einer der Leidtragenden, die einen Kampf mit gar zwei
Decken auszutragen hatten. Gottseidank ist endlich Morgen!
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