Australien-Rundreise 2004 |
Donnerstag 22. Januar 2004 |
Um fünf ist heute Tagwache. Noch stehen alle Sterne am Himmel und eher schlaftrunken mache ich mich auf, um im Waschraum, der sich ebenfalls in einem Container befindet, Katzenwäsche zu machen.
Geduscht habe ich gestern abend und ich finde, gründliche und sorgfältige Einreibungen mit Sonnenschutz seien heute wichtiger. Um sieben ist schon wieder alles verladen und wir stechen in See, oder
vielmehr in die weiten, öden Ebenen des australischen Outbacks. Wir folgen weiter dem Oonadatta Track. Dicht auf den Felgen folgt uns eine gewaltige Staubwalze, sicher 100 Meter lang und bestimmt viele
Kilometer weit sichtbar.
Nun fahren wir schon gut eine Stunde hinein in den Morgen. Mitten in der Wüste ein Doppel-Totempfahl, reich bemalt. Mein Foto ist wieder mal nicht schnell genug schussbereit. Von hinten lüftet
sich das Geheimnis. Es sind zwei nebeneinander auf den Schwanz gestellte Flugzeuge. Dainguely-Kunst auch in der weiteren Umgebung. Eine aus rostigen Metallteilen zusammengesetzte sitzende Figur und eine
dreibeinige Pyramide mit einer glänzenden Kugel im Mittelpunkt. Dann kommt das erste Haus, das wir heute sehen, neben der Scheune der viereckige, blecherne Wassertank auf Stelzen. An dem hat der
Wüstenkünstler einen Träger angebracht, an welchen er in einem schrägen Winkel ein altes Auto gehängt hat. Nun steht
hier auch noch ein blechernes Pferd in der Wüste. Auf der andern Seite der Strasse beim Wohnhaus hängt, wie ein Willkommensschild, ein Auto in einem Rönrad.
Peter hält an. Gibt's einen Fotohalt oder ist was mit dem Bordcomputer, wie schon mal im Barossa Valley? Dort musste er auch den Motor abschalten und einen Moment warten, bis ihm der Computer wieder
grünes Licht gab. Fran und Peter hantieren etwas ausserhalb des Busses. Was wohl los ist? Dann nimmt Fran das Mikrofon und informiert uns, dass es Peter nicht gut gehe. Es sei besser, wenn er sich einen
Moment hinlege. Wir könnten uns schon etwas die Beine vertreten, sollen aber nicht alle 30 um ihn herumstehen und ihm besser ein bisschen Ruhe gönnen.
In diesem Fall könnte ich doch ein Stück zu Fuss zurückgehen, um
den Totempfahl besser ins Bild zu bekommen. Einen Blick zurück kann ich mir nicht verkneifen. Ich würde gut sehen, wenn es Peter wieder besser geht. Aber im Moment sieht es aus, als ob ein oranger
Seehund neben dem Bus am Boden läge.
Es ist noch sehr angenehm in dieser frühen Morgenstunde. Acht Uhr und die Sonne strahlt noch golden am Horizont und der meiste Teil
des Himmels ist mit Wolken bedeckt. Der Spaziergang tut nicht nur Geist und Seele gut, er regt auch meine Darmtätigkeit an. Was mach ich jetzt? Zurück zum Bus ohne Foto vom Totempfahl? Hier
wäre zwar gerade ein Gebüsch. Aber habe ich ein Papiernastuch dabei? Ein Blick in meinen Bauchkiosk hilft mir, rasch zu entscheiden - das Gebüsch! Doch ich hätte etwas besser hinsehen sollen.
Das vermeintliche Papiertaschentuch entpuppt sich als Plastiksack, fein säuberlich zusammengefaltet für Eventualitäten. Da sitze ich nun ja wieder mal richtig in der Scheisse. Mit Plastiksack geht's
nur gerade ein klein wenig besser als von Hand. Jetzt muss ich doch zurück zum Bus. In der Toilette hat's wenigstens Wasser und im Rucksack habe ich parfümierte Feuchttüchlein. Peter liegt immer
noch neben dem Bus und es geht ihm offensichtlich schlecht, er stöhnt sogar laut. Ich frage Ian, wass geschehe. Er erklärt mir, dass von Marree ein Arzt komme.
Ziemlich genau einer Stunde nach dem Halt erscheint eine Staubwolke am Horizont. Eine Krankenschwester steigt aus dem Landrover und kümmert sich um Peter. Sie gibt ihm eine Schmerzspritze. Das Herz ist
es wohl nicht, aber ich höre
irgendetwas von Kidney, also eine Nierenkollik oder so. Jetzt wird auch etwas konkreter, was weiter passiert. Via Funk und Telefon ist mächtig organisiert worden. Peter geht mit der Krankenschwester
zurück nach Marree, von dort wird er mit den Flying Doctors in ein Krankenhaus nach Adelaide geflogen. Als wir gestern die Geschichten ab Tonband gehört haben, hätten wir nie gedacht, dass wir
diese Engel heute brauchen. Von Marree kommt ein neuer Chauffeur, der uns wieder dorthin zurückbringt. Ein neuer Fahrer sei schon aus Alice Springs per Flugzeug unterwegs, damit wir unsere vorgesehene
Route weiter verfolgen können. Bis der Mann aus Marree kommt, sitzen wir also noch sicher eine Stunde hier fest.
Vorhin kam eine ganze Emu-Familie aus dem Busch und verschwand ebenso schnell wieder jenseits des grossen Pferdes, noch ehe ich ein Foto machen konnte. Ich frage Fran, ob ich ein bisschen querbuschein auf die
Suche nach Emus gehen dürfe. Sie informiert den Farmer, einen Aboriginal, bei dem sie telefoniert haben und der nun auch herumstehen hilft. Ob es wohl der Wüsten Dainguely ist? "Kein Problem" - und er
weist in Richtung Wassertank-Pferd. Ich bekomme eine halbe Stunde gut. Mit schussbereiter Kamera und Abenteuergefühl schleiche ich mich durch den Sand an. Hinter dem
Pferd erhebt sich eine sandige Düne und hinter dieser befindet sich ein mit Bäumen und Büschen umrahmtes Wasserloch. Doch sein Boden ist trocken und mit stoppligem Gras überwuchert. Im
Geäst drei schöne, weisse Kakadus, aber bis meine müde Kamera eingestellt ist, haben diese sich schon wieder in die Lüfte davongemacht. Auch vom Emu mit seiner Familie ist nichts zu sehen.
Vielleicht verstecken sie sich da vorn im ausgewaschenen Flussbett. Ganz offensichtlich gibt es Zeiten, da hier ein reissender Fluss die Wüste durchfliesst. Aber im Moment ist alles ausgetrocknet und staubig.
Auf der andern Seite des Creeks, so sagt man hier einem kleineren Fluss, ist der Boden immer mehr verwachsen mit dürrem Gestrüpp. Mein Ziel wäre dort drüben der Totempfahl. Ich
möchte aber sehen, wohin mein Fuss tritt, denn ich habe keine Lust, eine Schlange aus ihrem Versteck zu vertreiben. Also kehre ich zurück zum Creek, dort ist der Boden schön sandig und ich komme
fast bei den Skulpturen wieder auf die Strasse zurück. Nun muss ich natürlich diese Kunstwerke einfangen. Doch eigentlich wäre ein Tonband noch fast besser. Wie Tainguely, hat hier der
Künstler alte, rostige Auspuffe, Räder, Stangen und sonst alles mögliche zusammengefügt. Das ganze Gebilde träumt jetzt in der heissen Sonne dahin. Der Wind bewegt eine Stange,
welche als
Klöppel an eine Platte schlägt. Dong - dong - dong! Die absolut passende Begleitmusik in meinem Outback-Abenteuer-Film. Ich habe zwar kein Emu getroffen, aber ein bisschen konnte ich in dieser halben
Stunde ein Auge, eine Nase, ein Ohr und einen Schweisstropfen voll Outback hautnah erleben.
Noch bevor ich ganz beim Bus zurück bin, werde ich von einer Staubwolke eingehüllt. Unser Fahrer, der uns zurück nach Marree bringt, ist eingetroffen. Es ist eine Frau und das erste
Vergnügen, das sie hat, ist den Bus samt Anhänger auf der
Holperpiste zu wenden. Zudem sind die Bankette recht weich. Aber sie schafft es. Sie hat vor 25 Jahren einen Schulbus gefahren. Sie ist vielleicht ein bisschen aus der Übung, aber sie hat die Car-Lizenz. Nach
einer Stunde hat sie uns wieder nach Marree zurückgebracht und alle klatschen ihr Beifall. Wir entsteigen der angenehmen Temperatur des Busses in die Gluthitze des dahinschlummernden Nestchens. Gerade
eben startet das Flugzeug. Bye, bye Peter! Hoffentlich wird bald alles gut.
Alles verkriecht sich in die Kühle des Pubs oder den Innenhof des Hotels, der wenigstens ein bisschen Schatten spendet. Kim managt es, dass sie an der Theke unsern Lunch arrangieren kann. Dünne
Fladenbrote, die nach Lust und Laune mit Schinken, Salami, Käse, Tomaten, Gurken, Fleischsalat, Thonsalat oder Teigwarensalat gefüllt werden können. Dann kommt die Batterie mit all den Saucen
wie Ketchup, Mayonnaise und noch viele mir fremde Tubenflaschen. Ja, wir sind dankbar, dass wir in der Kühle essen können. Doch leider gibt es hier nur fünf oder sechs Barhocker und zwei oder
drei Stühle. Dafür gibt's Musik bis zur Bewusstlosigkeit. Vor dem Haus an der Strasse hat's etwa zwei Tische mit Bänken, doch niemand hält es hier lange aus. Gegenüber ist der Bahnhof,
wo die alte Commenwealth Lock noch immer in der Sonne dahinbrütet. Alles hängt mehr oder weniger herum. Noch mehr als zwei Stunden müssen wir irgendwie über die Runden bringen. Jemand
sagt, es sei 44 Grad. Ich versuche es noch mal im Hof. Dort spielen zwei Aborigines Billiard. Ein Stuhl ist noch frei. Ich setze mich mit einem kalten Sprite und dem Notizblock in den Schatten. Warum muss
denn diese verfluchte Musik in solch ohrenbetäubender Lautstärke nach hier draussen plärren? Ich halte es auch hier nicht allzu lange aus. Vielleicht doch auf den Bänken vor dem Haus. Da sagt
mir jemand, dass quer über der Strasse, fast beim Campingplatz ein Raum sei mit Schatten und dort sei es etwas kühler. Also gehe ich auf die Suche. Auf der andern Seite des Geleises sitzt Nel auf
einer Bank. "Ist dort der kühle Raum?" - "Nein, nur Internet!" - "Machst du Spass?" - "Nein!". Jetzt bin ich natürlich neugierig. Im schön gekühlten, klimatisierten Raum sitzen hinter etwa 10
Computern eifrig mailende Freaks. Ich buche natürlich auch gerade 20 Minuten für 2$. So kann ich unser Abenteuer brühwarm der andern Seite der Welt kundtun. Doch was höre ich da?
Schwyzerdütsch! Ah, tut das gut. Auch sie haben Outbackabenteuer hinter sich. Sie haben uns gestern noch bei Blinman gekreuzt und kurz darauf standen sie da mit einem Plattfuss. Und ihr Wagenheber
funktionierte nicht. Niemand mehr weit und breit. Wir waren die Letzten. Also mussten sie eine Rampe bauen, um alles wieder ins Lot zu bringen. Sie sind zu dritt und ihr Ziel ist auch Coober Pedy. Sie haben nicht
vorbestellt und eventuell suchen sie noch vorher eine Unterkunft. Nur, ob da noch etwas dazwischen ist, ist fraglich. Die Mahnung, jedenfalls genügend zu Trinken mitzunehmen ist nicht nötig, sie haben es
selbst erfahren. Sie hätten gestern 12 Liter getrunken.
Nun habe ich auch den "kühlen Raum" gefunden. Es ist der überdeckte Picknickplatz von Marree. Es hat eine gemauerte Grillstelle, ein paar verwitterte Stühle und diverse Informationstafeln
über den Ort. Marree, den Eisenbahnknotenpunkt, Telegrafenstation und die Stelle, wo Oonadatta- und Birdsville Track zusammenkommen. Wo heute eine Flugpiste und ein Pub, aber keine heiratsfähigen
Männer zu finden sind, dafür Internetanschluss.
Das Brummen eines Flugzeuges kündet das Ende des Wartens an. Happy landing, neuer Driver. Tim hat sich zur Verfügung gestellt, für uns einzuspringen. Er hat eigentlich Ferien, weil seine Frau ein
Baby bekommen hat. Er wird mit einem Applaus begrüsst. Zur Sicherheit noch einmal auftanken, eine Ehrenrunde durch den Ort, vielleicht 100 Meter im Quadrat und dann geht's zum zweiten Mal auf ins endlose
Outback, wo nach einer Stunde das erste Haus in Sicht kommt, eben jenes des Wüsten-Dainguely. Auch die Bahnlinie begleitet unsern Weg, jedoch scheint mir, dass ab und zu ein Teil der Schienen fehlt. Mit den
hölzernen Schwellen steht hie und da an der Bahnböschung ein Name. Ein Zeichen, dass hier in der Nähe irgendwo eine einsame Farm versteckt liegt.
Der grosse Eyre Salzsee erstreckt sich bald zu unserer Rechten. Viel kann man jedoch davon nicht sehen. Ebene ist Ebene und ein Ufer hat ein Salzsee eh nicht. Verkrustete weisse Tümpel links und rechts der
Strasse, Wasser gibt es im Moment auch nicht. Dazwischen wieder mageres Gras. Wir würden dem jedenfalls nicht Weideland sagen und doch war es in dieser Gegend, wo ein gewisser Sidney Kidman seine
unvorstellbaren Ländereien hatte. Er war der reichste Farmer weit und breit. Mit 340'000 Quadratkilometern, die er in der Gegend von Williams Creek besass, kann man sich vorstellen, dass er der König
des Outbacks genannt wurde. Er konnte sein Geld machen, weil er ein Talent hatte, sein Vieh immer zum besten Zeitpunkt auf den Markt zu bringen. Er nutze auch als Erster die Bahn für seine Tiertransporte
und auch die Telegrafenleitung war für ihn eine neuer Verbündeter. Er erlebte aber auch viele Rückschläge und hatte zeit Lebens in der Dürre den grössten Feind. Er verlor in der
Trockenperiode 1900-03 70'000 und 1927-30 sogar 120'000 Stück Vieh.
Williams Creek ist der erste Ort seit 160 Kilometern nach Marree, der auf der Karte eingezeichnet ist. Auch er besteht nur aus einem Pub, einem öffentlichen WC und noch sonst einem Heuschober. Im Garten
auf der andern Seite der Strasse ist demonstrativ eine Superrakete ausgestellt. Ich glaube, die ist hier irgendwo runtergekommen. Die Flugpiste mit einer Station für die Flying
Doctors und ein dazugehöriges Kommandogebäude runden die Ortschaft schon ab. Erst macht man einen kurzen Rundgang, um auch alles fotografisch gut zu dokumentieren. Nur die typische
Handbewegung, die hier alles sagen würde, sieht man auf dem Bild nicht so eindrücklich. Jedwelcher marschiert hier nämlich mit beiden Armen vor dem Gesicht hin- und herwedelnd vor sich hin. Zum
verrückt werden, diese aufsässigen Fliegen! Man öffnet tunlichst nicht den Mund, wenn man nicht Fliegen zum Apéro will.
Happy hour ist in einer Viertelstunde drinnen im Restaurant. Doch vorher muss man noch die Bar genügend bestaunt haben. Jedermann und jedefrau scheinen hier ihre Visitenkarte hinterlassen zu haben.
Hunderte von Adresskarten tapezieren die Wände. Oder man schenkte dem Wirt ein anderes persönliches Souvenir. Unzählige BH's, vom langen Hängen im rauchigen Raum ziemlich schmutzig
anzusehen, vielleicht aber auch vom Betatschen. Signierte, jede Grösse, vom Tiny mini bis zum Zweierzelt.
Eigentlich hätten wir hier zum Mittagessen sein müssen, aber da wurde alles bestens umorganisiert. Fran veranstaltet zur Auflockerung sogar ein Lotto. Man kann für ein Los geben, was man will,
jedoch sollte es wenigstens gelb sein. Die Ein- und Zwei-Dollarmünzen sind messingfarben. Wobei ein Dollar viel grösser ist als ein Zwei-Dollarstück. Der Erlös von stolzen 115 Dollars kommt
den Flying Doctors zugute. Kanada Hilda gewinnt ein T-Shirt, welches sie nach ihrer Grösse und Lieblingsfarbe sogar eintauschen kann.
Es drängt uns weiter, denn bald werden die Schatten länger und die Dunkelheit bricht herein. Gegen halb zehn nähern wir uns Coober Pedy.
Seit die Nacht hereinbrach, sieht man in der Ferne ausser den Sternen am Himmel die ersten Lichter. Seit 1100 Kilometern in Port Augusta unten am Meer auch die erste wirkliche Ortschaft mit Strassenlaternen und
Geschäften. Doch so viele Häuser sind es auch wieder nicht. Man wohnt hier hauptsächlich unter dem Boden. Auch wir werden vor einem unterirdischen Hotel ausgeladen und ich habe nur einen
Wunsch, möglichst bald in die Heja. Dass es eher aussieht, wie in den Katakomben ist doch egal. Eigentlich besteht das Hotel nur aus einem langen Kellergang, von welchem links und rechts je etwa 10 Nischen
hinter einem Vorhang vier bis sechs Kajütenbetten verbergen. Vor dem "Haus" befinden sich in einem überirdischen Gebäude die Dusch- und WC-Anlagen, wo fingerlange Kakerlaken herumhuschen.
Das ist auch der Grund, warum ich eine Liege in der oberen Region belege.