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Mein erster, neugieriger Blick aus dem Fenster ist schon mal gut - der Himmel
ist blau und die Sonne beginnt langsam den beiden Häuschen auf der Lichtung
im kleinen Wäldchen einen leuchtenden Glanz zu verleihen. Am Fahnenmast
wiegt sich ein langer Dannebrogwimpel leise im Wind und heisst uns willkommen
auf Bornholm. Auch der Hase ist schon unterwegs und sucht sich sein
Frühstück in der Nähe des Gebüschs und der
Heckenrosensträucher.
Aus der Küche duftet es bereits von Kaffee und frischgebackenem Brot.
Unsere Gastgeber sind nicht erst gestern angekommen und haben alles bereit
gemacht und eingekauft, so dass wir uns an einen reich gedeckten
Frühstückstisch setzen können. Von verschiedenen Broten,
Käse und Konfitüren können wir uns bedienen und schlemmen. Ein
Ingwergelée, den niemand kennt, der es uns aber diese Woche antun wird,
ein Danablu und der dänische Käse, als Block, ähnlich wie unser
Racclettkekäse, dem wir mit einem Saiteninstrument zu Leibe zu rücken
versuchen. Auch Saft, frische Früchte und Joghurt stehen auf dem Tisch.
Auch etwas, das wichtig und auf der ganzen Welt echt schweizerisch angeschrieben
ist: Müsli.
Aber jetzt sind wir in Dänemark und wollen probieren, diese Traditionen
kennen zu lernen. Abgeleitet vom Bauern, der frühmorgens seine erste harte
Arbeit im Stall erledigte und dann hungrig sein "Morgenmad" genoss, haben wir
nun gespiesen. Dann folgt mittags "Frokost", welches meist kalt aufgetischt
wird, aus Fisch, (Hering), Fleisch und Käse etc. besteht und abends isst
man dann das "Middagsmad". Das ist warm und entspricht in etwa unserem
Mittagessen.
So frisch gestärkt sind wir also bereit, unserem weiteren Tatendrang
nachzugeben. Von Sven hat Knud nicht nur ein Auto bekommen, sondern auch gerade
noch zwei Velos in Ergänzung zu jenen von Knud und zuerst wird vor dem Haus
aus diesen Vehikeln für jede Beinlänge ein entsprechender Drahtesel
angepasst. Alle haben ihre Velohelme und zum Teil gar einen
windschlüpfrigen Dress mitgebracht. Knud hat einen Dreigänger auf
meine Wasserfallhöhe angepasst und mit Lykke-Lises Helm ausstaffiert,
probiere ich nun klopfenden Herzens aus, wie sich das Gefühl nach vierzig
velofreien Jahren anfühlt. Zugegeben, eine kleine Ausnahme vor 16 Jahren
war da, als ich mit Rysiu auf Föhr für einen oder zwei Tage ein Velo
mietete. Eine erste Proberunde auf dem Fåregårdsvej fällt noch
ganz passabel aus, allein beim Bremsen an den Rücktritt zu denken,
wäre vielleicht nützlich. Dann kann's also losgehen: Bornholm - wir
kommen!
Wer aber gedacht hat, eine Dänische Insel sei flach und eben, weil man ja
keine Berge kennt, irrt sich da ein bisschen. Knuds Sommerhaus liegt auf etwa
100 m.ü.M. und von der Strasse aus (und im Winter, wenn es keine
Blätter im Gartenwäldchen hat, auch vom oberen Zimmer, welches Hedi
und ich uns teilen), kann man Richtung Nordosten in gut zwei Kilometern
Entfernung das Meer sehen. Schon im ersten Kilometer auf unserem Weg bis Olsker
ist bereits ein kleines Tälchen zu überwinden, für mich steil
genug, um beim Wiederaufstieg abzusteigen und zu stossen. Wenigstens
tröstet mich die Tatsache, dass eine einheimische Frau hier auch absteigen
muss. Nur Herbert schafft das natürlich spielend, er macht es wie
seinerzeit Ria auf den Wanderungen. Er ist voraus und wenn wir nicht nachziehen,
kommt er zurück, um aufs neue den Weg zu pfaden. Wir kommen zur Rundkirche
in Olsker, einer ehemaligen Wehrkirche, die einen Besuch wert wäre. Aber
das machen wir später, vielleicht wäre der Sonntag eine
Möglichkeit. Zum Beginnen hat Knud für heute eine Tour ausgesucht, die
nicht allzu anstrengend sein sollte. Wir können meistens den sehr gut
angelegten Velowegen Richtung Westen folgen. Bald staunen wir über die
ausgedehnten Kornfelder, welche golden, reif und stramm auf ihre baldige Ernte
warten. Es ist auffallend, wie unversehrt hier die Felder stehen, nicht wie bei
uns, wo dieses Jahr Unwetter soviel Getreide niedergewalzt haben. Wir fahren
alles über Land, selten sieht man ein Gehöft und irgendwann kommen wir
zur Autostrasse, auf welcher man auf der westlichen Seite die Insel umrundet.
Dort folgen wir einem braunen Wegweiser, der mit einem Schleifenquadrat eine
Sehenswürdigkeit ankündet.
Bald begrüsst uns ein Kormoran, oder war es doch ein Pinguin? ;-) nahe bei
einem kleinen See in seinem Reich, den Ringebakkebruddene. Das war bis vor noch
nicht allzu langer Zeit ein Granitsteinbruch, der nun aber in ein Naturschutz und
Erholungsgebiet umgewandelt wurde. Ein Car bringt Touristen zum Ausgangspunkt
des Klippenwanderwegs und auch die senkrechten Wände des Steinbruchs
fordern Kletterer heraus. Nur am Himalaya, dem Felsen direkt über dem
aufgefüllten See ist Klettern verboten, wie wir auf der Infotafel erfahren
können. Wir stossen unser Velo vorbei an den Nevadaklippen und kosten dabei
den immer stärker und kälter werdenden Wind aus, der durch einen engen
hohen Spalt in der noch verbliebenen Granitmauer vom Meer her zu uns herauf
bläst. Wir sind also bereits auf der andern Seite der Insel, beim Vang Pier
angelangt, wo der Wind meine Ohren malträtiert und es nach Fisch riecht.
Hundert Meter weiter nördlich liegt verträumt das winzige
Fischerdörfchen Vang, auf dessen Hafenmauer ein kleiner Leuchtturm den
Fischern den Weg in den schützenden Hafen signalisiert.
Während mich die überdimensional grossen Hagebutten der hiesigen
Heckenrosen faszinieren, hat Herbert andere Sorgen. Irgendwas an seinem Lenker
ist nicht stabil und Knud versucht ihm zu helfen. Mit geübtem Kennerblick
erkennt Hans, dass ein passendes Werkzeug fehlt und mit Gesten, Händen und
Füssen schafft er es in kürzester Zeit, von einem Mann, der dort in
der Nähe vor seinem Haus steht, Hilfe zu erhalten.
Dann geht's weiter und bis wir langsam das ebene Plateau der Insel, das meist
auf 100 m.ü.M. seine weiten Kornfeldern ausdehnt, wieder erreichen, fahren
wir durch Wald und Heidegebiet mit Erlengebüsch und blühendem Erika.
Dazwischen immer die felsigen, flachen Granitinseln, auf welchen sich kein Gras
ansiedeln und auch keine Humusschicht bilden konnte. Ich übe mich wacker
abwechselnd im Aufsteigen, Zirkeln, Absteigen und Stossen des Velos. Geht es
wieder geradeaus, übe ich immer noch weiter und ich finde einfach nicht
mehr zu dem Gefühl zurück, das ich einst besass und dem ich mein Velo
über weite Strecken sogar freihändig anvertrauen konnte. Mein
Gleichgewicht ist nicht mehr, was es mal war und neben mir herzufahren ist fast
gefährlich.
Die wilden Kirschen sind überreif und der Boden ist übersät von
den kleinen, zuckersüssen Früchtchen. Besser in Naschhöhe sind
jedoch im Moment die gerade reifen Mirabellen, die goldgelb und manchmal auch
rötlich aus den Gebüschen am Waldrand leuchten und in uns den
Beeren-Sammeltrieb entfachen. Das wird unser Morgenmüesli noch
versüssend bereichern.
Wir sind wieder auf der 100 Meter-Höhengrenze bei den Getreidefeldern
angelangt und können gerade einem solchen Monstrum von Mähdrescher bei
seiner Arbeit zuschauen. Währenddem er selber noch eine acht bis zehn
Metern breite Strasse in das Kornfeld schneidet, wird bereits das fertig
gedroschene Korn aus seinem Tank über einen Ausleger auf einen nebenher
fahrenden Traktorcontainer abgefüllt. Während sich dieser nun
gefüllt entfernt, begibt sich ein Nächster schon wieder in dessen Spur
in die Startlöcher.
Kurz darauf führt uns der Weg am Heim eines der bekanntesten Künstler
Bornholms vorbei, dem Steinbildhauer Ole Christensen, von dessen Werken man nach
seinem Tod nun viele hier in seinem Garten bewundern kann.
Und schon sind wir wieder in Olsker angelangt, kurven frischvergnügt auf
der falschen Seite um die Verkehrsinsel (zum Glück hat es nicht mehr
Verkehr) und schon weist uns Knud in die Einfahrt des Gildesbovej Nummer 2. Auf
diese Haarnadelkurve bin ich irgendwie nicht gefasst, für eine
Rücktrittsbremsung steht mein Pedal ebenfalls in einem schlechten Winkel
und der Briefkasten kommt immer näher. Beim Skifahren half absitzen bei
solch verzweifelten Situationen manchmal, aber mit einem Drahtesel ist das
wesentlich komplizierter. Es scheppert laut und ich schäme mich noch
lauter, als mir Knud zum Aufstehen die Hand reichen muss. Immerhin habe ich den
Briefkasten nicht getroffen und mir ist auch nichts passiert.
Aber ich habe damit einen spektakulären Schlusspunkt markiert und zwar
hinter meine Velofahr-Karriere.
Inzwischen ist schon früher Nachmittag geworden und weil er uns eine echt
Dänische Frokost versprochen hat, übt sich Knud in einer Patience mit
geräuchertem Hering. Golden und schwarz glänzende Fische müssen
von ihren Gräten befreit werden. Ich möchte behilflich sein, aber weil
ich nicht richtig zugeschaut habe, realisiere ich zu spät, dass man den
Fisch nur entgräten, die Filets aber noch in der Haut belassen sollte. So
komme ich nun halt nur in den Genuss eines dilettantischen Heringfilets,
während die andern nach Anleitung ihre "Sol over Gudhjem" selber
zubereiten. Die Grundlage ist ein Stück Roggenbrot, dann werden im Teller
ein paar Radieschen kleingewürfelt, wobei das Klacken der Messer im Teller
zum Ritual gehört. Nun bekommt jeder einen schön glänzenden,
geräucherten und bereits entgräteten Hering, den man aufgeklappt mit
der Haut nach oben auf das Brot legt und mit dem flachen Messer leicht beklopft,
so dass man seine Haut nun problemlos zusammen mit Kopf und Schwanz vom Filet
wegnehmen kann. Nun kommen die gehackten Radieschen, etwas Zwiebelringe, Salz
und Pfeffer darauf und dann kann die Sonne aufgehen, ein flüssiges, rohes
Eigelb, welches man hier in kleinen Becherchen fixfertig kaufen kann, ohne sich
Sorgen wegen Salmonellen machen zu müssen. Dazu gehört natürlich
ein Bier und ebenso wichtig ein Dänischer Schnaps gleich daneben.
Die Begeisterung beim Mirabellenpflücken hat Knud zur Idee angespornt, uns
einen seiner Lieblingsplätze zu zeigen, wo man Blaubeeren finden kann, denn
es ist nicht weit von hier, wo Knud auf einem einsamen Bauernhof aufgewachsen
ist.
Also rüstet man sich für eine weitere Velofahrt und ich bin
glücklich, dass Lykke-Lise mich zusammen mit Hans und Annigna mit dem Auto
mitnimmt. Man verabredet sich bei den Rokkestenen, wo man sich treffen will. Es
ist ein Stück Naturschutzgebiet, das früher gemeinsames Weideland war,
wo jedermann sein Vieh weiden lassen konnte, wo wir ganz in der Nähe der
Wackelsteine unser Auto parkieren können. Heute wackelt der grosse, mehr
als 20 Tonnen schwere Stein nicht mehr, aber Knud mag sich noch daran erinnern.
Mit Gewalt und Vandalismus ist man dem aus der Eiszeit hier liegengebliebenen
Wanderstein zu Leibe gerückt. Auch hier kommt viel von dem Granit, welcher
vor Urzeiten durch eine Magmablase gebildet wurde, welche die Insel aus dem Meer
gehoben hat, an die Erdoberfläche und man findet in der Gegend noch mehr
solche Steinformationen. Überall wachsen aber kniehohe
Heidelbeersträucher, in welche wir uns nun wortwörtlich vertiefen. Die
Velofahrer haben's auch geschafft und zusammen haben wir in nicht allzu langer
Zeit über anderthalb Kilo Heidelbeeren gesammelt.
Lykke-Lise hat uns vor Zecken gewarnt, auf dass wir uns am Schluss gut absuchen,
denn hier verbreitet sich auch die Infektion mit Hirnhautentzündungen.
Irgendwie greift diese Vorstellung von beissenden und saugenden Vampiren immer
mehr ins Bewusstsein und Hans meint schlussendlich, dass es ihn überall
jucke und beisse. Er krempelt seine Hosenbeine herauf und es ist keine
Einbildung - zentimetergrosse Waldameisen klammern sich an seiner Haut fest - am
Bauch, am Rücken und sogar bis zum Hals hat es eine geschafft, bis wir im
Auto wieder auf der Heimfahrt sind. Die gute Idee, mit einem Kleiderroller
Hosenbeine und auch die Haut gründlich abzurollen, bringt wenigstens keine
Zecken an den Tag.
Daheim ist Zeit für die Middagsmad. Verschiedene Salate sind schnell
zubereitet und in zwei Fonduecaquelons sprudelt bald Rotwein und mit darin
eingetauchten, hauchdünnen Schweinsbratenscheiben beschliessen wir mit
einem Fondue Bacchus unseren heutigen, erlebnisreichen Tag.
Für die Bauern in der Gegend ist aber noch lange nicht Feierabend, man
hört in den entfernten Kornfeldern immer noch die Mähdrescher
arbeiten.
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