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Am Frühstückstisch haben wir Besuch. Zwei vorwitzige Vögel (es sind Calocitta formosa, auf Deutsch Langschwanzhäher - im Internet findet man alles) ergattern am Nebentisch einen Zuckerbeutel und machen sich damit davon. Bevor wir losfahren, muss sich Stephan noch einer Gruppe gestrandeter Schweizer annehmen, die mit Vögele-Reisen ihre Ferien gebucht, eine Woche Verlängerung hier im All inclusive angehängt haben und dann hängen gelassen worden sind, weil die nächste Reise, mit welcher sie eigentlich dann heimfliegen wollten, nicht zustande gekommen ist. Niemand kümmert sich um sie und sie haben keine Ahnung, was mit ihnen weiter passiert. Stephan rückt es ins Lot.
Und beim Bancomaten wirkt allein schon seine Gegenwart, der Bancomat tut lammfromm und er benützt nur Wörter, die ich auch verstehe und ich hätte meine 100 $ ganz ohne grosse Szene bekommen können. Aber nun nutzen Marlis und ich die schöne Morgenstunde für eine gemütliche Wanderung, allerdings einer ziemlich staubigen Strasse entlang, zurück zum Hotel. Unterwegs begutachten wir mal einen dieser Zähler aus nächster Nähe, welche überall für jeden Konsumenten den Strombezug aus dem Gewirr der Drähte herunterladen und registrieren. Bei einem Hotel lässt uns der Portier in den Hof eintreten, weil wir gwundrig in den angrenzenden Wald sperbern, wo wir Brüllaffen auf den Bäumen ausmachen konnten. Die Superkamera von Marlis wird auch heute wieder ausgetestet und sie erstaunt mich von neuem, wie sie eine Heuschrecke in Porträtgrösse von der Stromleitung herunterholt.
Daheim stürzen wir uns hinein ins Nichts Tun. Der Pool bringt's für mich nicht, ich hab was dagegen, in Reih und Glied einen Liegestuhl zu verteidigen, auf welchen man möglichst noch vor Sonnenaufgang sein Badetuch deponieren muss. Immerhin hat man gegen eine Karte ein Badetuch zugut, welches man nach Gebrauch wieder zurückgeben und dafür wieder gegen eine neue Karte eintauschen kann. Am Strand sind unter schattigen Bäumen auch Liegestühle verteilt und die stimmen mich schon ein ganz klein wenig versöhnlicher. Baden kann man im Meer nicht, da sind die Strömungen zu gefährlich, wenigstens für Nicht-Surfer und in den steinigen Lavaplatten, die sich hier ausbreiten, sowieso nicht zu empfehlen. Höchstens dem Wasser entlang etwas spazieren, den Rennschnecken zuschauen und all den vielen Wasservögeln, die sich hier am Strand ihr Futter suchen. Heiss ist es sowieso und gut, kann man sich auch zwischendurch all inclusive eine Bahama Mamma an der Bar holen.
Um halb sechs holt uns Chancho in einem kleinen, klapprigen Büsslein ab. Es ist
die Zeit, wo die Sonne untergeht und während wir immer weiter auf holprigen Strassen
Richtung Norden fahren, versinkt die Sonne glühend im Meer und zieht den gleissend
goldenen Himmel wie eine Schleppe hinter sich her. Wir sind in einer Bucht am Meer
angekommen und jetzt ist es Nacht, so schnell geht es hier.
Chancho hat bald herausgefunden, dass Bruno sein Englisch versteht und fortan wendet er
sich an ihn als Leader, der uns übersetzen muss. Uns prägt er ein, dass wir die
Chancho-Group sind und zusammen mit Julio, dem Fahrer und Nationalparkführer machen
wir uns mit Taschenlampen bewaffnet auf den Weg. Dieser führt uns auf schmalem Pfad
durch den Wald und über eine Klippe hinüber in die nächste Bucht. Gut ist
es Nacht und im Schein der Taschenlampe muss man schauen, wohin der Fuss tritt. So bleibt
es hoffentlich den meisten verborgen, dass wir zum Teil doch recht nah an einem Abgrund
vorbei balancieren. Ringsum ist dunkle Nacht.
Dann haben wir den Strand erreicht und wir müssen unsere Taschenlampen ausmachen.
Kein Licht darf die Schildkröten irritieren, die hier jede Nacht ankommen, ihre Eier
im Sand vergraben und dann wieder im Meer verschwinden. Ihre Nachkommen sind von nun an
völlig sich selbst überlassen. Die Wärme vom Sand wird das Ausbrüten
übernehmen und die erste Herausforderung an die kleinen Winzlinge wird sein, den Weg
zum Wasser zu finden, bevor Raubvögel kommen oder die Sonne sie versengt. Auch bei
den Zweibeinern war die Ernte eines solchen Nestes begehrt. Man sagt, es gebe noch etwa
35000 Baulas, also Lederschildkröten, von denen alljährlich etwa 900 hierher
zur Eiablage kommen, es sind aber auch Bastard-, Karett- und Grüne
Meeresschildkröten (Suppenschildkröten). Vor zwanzig Jahren hat man hier dem
Playa Grande entlang zu ihrem Schutz den Meeresnationalpark Las Baulas geschaffen und was
wir heute tun, darf nur zusammen mit einem Nationalparkwächter geschehen.
Während wir nun ganz ruhig hier warten müssen und sich unsere Augen langsam an
die Finsternis gewöhnen, sind Chancho und Julio in beide Richtungen
ausgeschwärmt, um zu rekognoszieren. Julio hat etwas gefunden und leise können
wir ihm nahe der Wasserlinie entlang folgen. Dann bedeutet er uns, anzuhalten und zeigt
in die Dunkelheit, wo ich mit Mühe eine noch dunkler als die Nacht aussehende Masse
sehe, sich langsam leicht bergan bewegend. Dann dürfen wie noch etwas weiter gehen
und nun kann man die Spur auf dem etwas helleren Sand gut erkennen, wo sie aus dem Meer
kommt und über den Strand Richtung Wald führt. Sie hat gut und gern die
Spurbreite der Waldenburgerbahn mit ihren 75cm!
Langsam und ruhig dürfen wir der Spur nun folgen und bald hören wir ganz in
der Nähe die Geräusche des spritzenden Sandes. Sie hat also zu graben begonnen.
Wir müssen nun auf die andere Seite, denn wir stehen auf ihrer Kopfseite und die
Gefahr, dass sie verunsichert oder erschreckt wird und dann wieder ins Meer
zurückkehrt, ohne die Eier abzulegen, ist immer noch gross. Inzwischen sind noch
zwei andere Gruppen dazugekommen, aber die Chancho-Group darf sich ganz in der Nähe
der grabenden Schildkröte auf den Boden setzen und im Schein einer roten
Taschenlampe zusehen, wie die beiden grossen Hinterflossen nun langsam beginnen, unter
ihrem Schwanz ein tiefes, rundes Loch zu graben. Zuerst wie eine Hand über den
Schwanz fahrend, um die sichere Position zu treffen, gräbt sie langsam und
abwechslungsweise immer tiefer. Jedes Mal bringt die Flosse nun, mit wie zu einer
Schaufel leicht gekrümmten "Fingern", den Sand sorgfältig nach oben. Der
Wärter hat inzwischen beim Geschehen zwei rote Lampen in den Sand gesteckt und damit
der Sand nicht immer wieder nachfliesst, giesst er sorgfältig Wasser in das
entstehende Loch. Rotes Licht sieht die Schildkröte nicht oder es irritiert sie
jedenfalls nicht. Das Loch ist nun bald armtief und die Bewegungen des Tieres werden
immer langsamer. Ich stelle mir vor, welch ungeheure Anstrengung diese Graberei hier an
Land sein muss, für sie, die sich sonst immer schwerelos im Wasser bewegt. Es sieht
so aus, als ob sie jetzt total erschöpft sei, sie bringt die grabende Flosse
überhaupt nicht mehr aus dem Loch. Aber jetzt hat sie mit der Eiablage begonnen und
kann von diesem Zeitpunkt nicht mehr damit aufhören, auch nicht, um zu fliehen.
Schnell schaufelt nun der Wärter von hinten mit der Hand den Sand noch mehr weg,
damit man ins gegrabene Loch hinein sehen kann und zündet nun mit einer weissen
Taschenlampe dort hinein. Jetzt dürfen wir schön der Reihe nach von den etwa
tischtennisgrossen Eiern, die nun nacheinander ins Loch purzeln, Fotos machen, aber ja
darauf achten, dass der Blitz sicher ausgeschaltet ist.
Dann geben wir den anderen den Platz frei und im Dunkeln geht es wieder unten, dem Wasser
entlang zurück. In den inzwischen vergangenen zwei Stunden sind noch etliche neue
Spuren dazu gekommen. Plötzlich winkt uns ein Wärter mit einer roten Lampe zu
sich. Er hat ein Nest entdeckt, aus welchem die Jungen herauszukrabbeln versuchen. Die
Nester sind mit einem Pfahl markiert und so wissen sie wohl, an welchen Orten die Eier
bald ausgebrütet sein müssen. Er hilft mit der Hand nach, ein bisschen den Sand
wegzuschieben und plötzlich wimmelt es von kleinen, handtellergrossen
Schildkrötchen im Sand. Er nimmt eins und setzt es im Schein des roten Lichts vor
unsere Füsse und sein Instinkt befiehlt dem Winzling, zum Meer zu gehen. Wie eine
Nadel vom Kompass richtet es sich, wie auf Knopfdruck in Richtung Meer aus. Ich denke,
sie helfen dieser Brut, es sind glaub nicht Leder-, sondern grüne
Meeresschildkrötchen, ihre erste Hürde bis ins Wasser unbeschadet hinter sich
zu bringen.
Wir versuchen, unsern Heimweg über die Klippen ebenfalls wieder unbeschadet hinter
uns zu bringen. Für Richard, der nicht so gut zu Fuss ist, ist es jedenfalls eine
abermalige Herausforderung, die ganze Wanderung im dunkeln Sand und dann wieder
zurück alles mit der Taschenlampe.
Im Büsschen gibt es zuerst mal einen kleinen Imbiss. Schinkenbrote oder Fruchtsalat?
Ob das auch von Stephan organisiert worden ist? Er hat schon den ganzen Abend an uns
gedacht und noch während wir wieder auf der Heimfahrt sind, klingelt abermals das
Telefon. Er interessiert sich, ob unsere Safari Erfolg gehabt habe und beneidet uns
gerade, denn Junge habe er bis jetzt noch nie ausschwärmen sehen.
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