Um halb elf Uhr holt uns Chancho wieder mit seinem Büsslein ab. Diesmal will er
uns die Geheimnisse in den Mangroven etwas näher bringen. Bei der grossen
Flussmündung nördlich von Tamarindo liegt sein Boot vor Anker bereit. Wir haben
alle gerade schön darauf Platz und ein Blachendach schützt uns vor der heissen
Mittagssonne. Der breite Fluss ist links und rechts von Mangroven gesäumt, deren
Wurzelwerk im Moment noch ziemlich hochbeinig erscheint, weil erst Ebbe war. Wegen
Untiefen und Sandbänken muss Chancho noch aufpassen und langsam gleiten wir dem Ufer
entlang, wo sein geübtes Auge im unterspülten Wurzelwerk bald die ersten
Krokodile entdeckt. Misstrauisch blinzeln ein paar schmale Spaltpupillen aus dem
halbdunkeln Dickicht hervor. Bald darauf deutet er oben ins dichte Gebüsch. Erst
beim zweiten Blick sieht man den gut getarnten Reiher, der bocksteif auf einem Ast auf
der Lauer steht. Er hat selber die Farbe seiner Umgebung und mit seiner Haltung kann man
ihn fast nicht von seinem ihn umgebenden Geäst unterscheiden. Es sei der
Yellow-crowned Night-Heron, oder wie ich ihn im Internet als Nyctanassa violacea oder auf
Deutsch als Krabbenreiher bestimmen kann. Chancho erzählt uns, dass der liebend gern
die jungen Schildkrötli frisst, wenn er sie auf dem Weg ins Meer erwischt und wir
beschliessen unisono, dass sich dieser Heron bei uns deswegen nicht gerade seine
Zuneigung erobert. Andere Reiher, die im Wasser waten, graue, weisse, solche mit nackten
Hälsen und wie mit einem Frack bekleidet sind, begegnen uns. Natürlich sehen
wir nicht immer, was Chancho sieht und wenn man es dann gesehen hätte und dann noch
ein Foto davon haben möchte, ist der Vogel längst wieder auf und davon. Den
Hoorspray aber haben wir gesehen und es gelingt uns sogar ein Bild, bevor er uns noch die
Spannweite seiner Flügel demonstriert und fast über unsere Köpfe hinweg
entflieht. Aufgeregt erzählt Chancho immer was von einem Hoorspray und deshalb weiss
ich nun aufgrund meines Führers über Vögel in Costa Rica, dass wir einen
Osprey, also einen Fischadler gesehen haben.
Nicht nur all die vielen Vögel zu sehen ist aufregend, mir gefällt auch das
Dahingleiten unter den Bäumen, deren Äste die Lianen wie Gardinen über den
Fluss hängen lassen. Immer weiter dringen wir auf dem Wasser in ein Labyrinth von
Mangroven und Bäumen ein, durch deren Blätterdach die Sonne manchmal kaum noch
durchzudringen vermag. An solch einem Schattenplätzchen stellt Chancho den Motor ab
und aus seiner mitgebrachten Kühlbox verteilt er einen allen willkommenen, frischen
Fruchtsalat. Jetzt, wo Ruhe eingekehrt ist, beginnt es an der lehmigen Uferböschung
wieder lebendig zu werden und überall getrauen sich die Krabben, aus ihren
Löchern hervorzukommen.
Bis wir von unserer Tour zurückkommen, hat die Flut den Wasserspiegel wieder
ziemlich angehoben und das Versteck der Krokodile ist bis zu den Mangrovenstämmen
überflutet.
Es reicht noch, sich im Hotel vor dem Hungertod zu retten, man soll ja nichts
auslassen, schliesslich ist es inclusive! Eigentlich möchte ich auch einmal im Meer
gebadet haben und es reizt mich unheimlich, auf die andere Seite des hier ins Meer
fliessenden Baches zu gelangen. Eine Sandbank grenzt hier eine kleine Lagune gegen das
Meer ab und sie lässt nur einen schmalen Durchfluss offen. Jetzt ist das Meer fast
voll und es scheint, als ob eine reissende Flut sich in Richtung Lagune ergiesst. In
dieser Richtung kann ja wohl nicht viel passieren und ich wage es. Es sind nur ein paar
Meter, die man schwimmen muss und es scheint viel gefährlicher, als es wirklich ist
und mein ‚Mut' wurde bewundert, denn beim Zurückkommen wird mir gar von
fremden Leuten dazu gratuliert.
Schon werden die Schatten wieder länger und während ich fasziniert den
überall im Sand herumrennenden, kleinen Schneckenhäuschen zusehen muss, schiebt
sich langsam ein Dreimaster dem Horizont entlang. Schade, er ist ein bisschen zu
spät, oder ich bin nicht ganz am richtigen Ort, dass es das perfekte Bild gäbe,
wie ich mir das vorstellen könnte - ein Segelschiff am Horizont vor dem
glühenden Ball der untergehenden Sonne.