zum vorherigen Tag | 26.September | zum nächsten Tag |
Ein Blick aus dem Fenster elektrisiert. Der Tag erstrahlt in goldenem Rot. Ich hüpfe in die Hosen und mache draussen 100 Fotos. Erst als wir in Harstadt angelegt haben, kann ich mich richtig anziehen. Erst jetzt sehe ich, dass erst sieben ist. Ich geniesse ein mildes Erwachen des Tages. Laut Plan wird auf acht Uhr die südgehende MS Kong Harald erwartet, aber schon eine halbe Stunde früher sieht man sie über ein pastellfarbenes, ruhiges Meer dahergleiten. Sie wird immer grösser und fährt in einem grossen Bogen in den Hafen ein. Ihre Grösse ist etwa mit jener unserer Nordkapp identisch und da sie gerade hinter uns anlegt, kann man von unserem Heck aus einmal zuschauen, wie so ein Riese vom ‚Bodenpersonal' in Empfang genommen, vertäut und gerade durch einen Schlauch mit frischem Wasser versorgt wird. Wir hingegen verabschieden uns im gleichen Atemzug wieder nordwärts.
Es wäre heute schönes Wetter und fast schade, drinnen zu sein aber man muss
sich warm anziehen, es ist nur etwa vier Grad. Wenn es etwas Interessantes zu sehen gibt,
wird dies im Programm mit einem Fernrohrgucker angezeigt. Also muss man doch schauen,
dass man auf der Backbordseite die im dreizehnten Jahrhundert erbaute Trondenes Kirche
auch auf den Chip bekommt. Jetzt kommen schon Superlative. Sie sei die nördlichste
mittelalterliche Steinkirche Norwegens. Also vom Schiff aus sieht man halt einfach ein
weisses Haus, nicht mal einen Kirchturm oder so was.
Ich inspiziere, was es sonst noch zu sehen gibt und stosse auf Deck 6 im Spa auf eine
Badenixe. Bei dieser Kälte! Mir läuft es gerade kalt den Rücken hinunter.
Ich getraue mich, sie anzusprechen, denn ich möchte das unbedingt auch dokumentiert
haben. Bereitwillig gibt sie ihr OK und ihr Mann soll doch auch gerade ein Foto von uns
beiden machen. Vierzig Grad sei das Wasser und wer Lust auf ein Sprudelbad hat, kann
einfach den Deckel öffnen und sich dem Vergnügen hingeben.
Übrigens hat man nun an der Kabinentür das Polarsirkel Sertifikat gefunden, wo
mir Njord (hier heisst er nicht Neptun) bestätigt, dass ich am 25.09.2011
(schön, es wäre mein 19. Hochzeitstag gewesen) den Polarsirkelen in
Hestmannøy passierte. Mit unterschrieben hat Kapitän Lars Kalås und um
zehn Uhr ist Polarkreistaufe angesagt. Aha - also doch! Natürlich sind alle
Passagiere auf Deck 7 versammelt. Zuerst wird der Gewinner des Wettbewerbs aufgerufen,
der mit seiner Schätzung die Zeit der Überquerung des Polarkreises am
nächsten getroffen hat. Er erhält ein Präsent und soll von Neptun als
Erster getauft werden. Letzterer muss zuerst herbeigerufen werden, auf dass er zur Tat
schreiten kann.
Zuerst wird feierlich einen Sermon verlesen, der etwa so tönt: "Liebe Landkrabben,
Ich, Neptun, Herrscher über das Polarmeer, bin jetzt aus der kalten, dunklen Tiefe
meines Reichs emporgestiegen, um euch zu neugeborenen Mitgliedern meiner mächtigen
Familie zu machen. Dies geschieht, weil ihr den Polarkreis auf 66 Grad, 33 Minuten
Nördlicher Breite überquert habt. Möge Glück und Freude Euch
über alle Meere begleiten."
Ein grosser Kübel voll Wasser mit Eiswürfeln steht bereit und persönlich
leert nun der Hüter der Meere jedem eine Schöpfkelle voll Eiswürfel in den
Kragen. Wer es gewagt hat, bekommt anschliessend ein wärmendes Schnäpschen.
Klar, dass ich unter solchen Umständen nicht hintan stehen kann! Jetzt rinnt es mir
aber wirklich eiskalt den Rücken hinunter. Auch Lykke-Lise hat es gewagt und ist nun
richtig polarkreisgeeicht. Noch eine halbe Stunde später beim Umziehen purzeln in
der Kabine Eiswürfel aus meinen Kleidern.
|
Nach einer wärmenden Dusche (ist mir immer noch lieber als so ein
Multi-Task-Sprudelbad) und Haare waschen richte ich mich wieder gemütlich in der
Loge auf Deck 7 ein und lasse mich durch den wunderschönen Gisund navigieren. Die
Inseln oder das Land auf beiden Seiten sind jetzt ziemlich bewaldet und die herbstliche
Färbung leuchtet heute in der Sonne. Man betreibt hier sogar etwas Landwirtschaft
und die Felsen sind gar nicht so kahl wie auch schon. Warum eigentlich fahren wir jetzt
durch einen Sund und nicht Fjord? Ein Fjord hat meistens ein Ende und ein Sund ist ein
durchgehendes Gewässer, wie hier der Gisund. Unter einer Brücke hindurch fuhren
wir hinein und ein paar Kilometer später wieder unter einer andern hinaus und
überqueren vielleicht den nächsten Fjord und verschwinden wieder in einem
andern Sund….
Ich melde mich nun doch noch vor Anmeldeschluss um 14 Uhr für den Ausflug zum
Nordkap an. Es kann doch nicht sein, dass ich daheim sagen muss, dass ich dann doch gar
nicht dort gewesen sei. Man muss nämlich noch ein gutes Stück mit dem Bus
über eine Insel fahren, um zu diesem nördlichsten Punkt zu gelangen. Der
schützende Hafen liegt nämlich diesseits auf der südlichen Seite der Insel
Magerøya im Magerøyasund. Bis jetzt haben sich nur Silvia und Lydia
angemeldet
Am frühen Nachmittag landen wir in Tromsø, der grössten Stadt
Nordnorwegens, der Pforte zum Eismeer. Polaria, die Eismeerkathedrale und eventuell
einen Blick vom Hausberg Stortsteinen mit der Fjellheisen-Seilbahn wäre sicher
interessant. Bei Johann liegt immer ein recht guter Situations- oder Stadtplan für
den aktuellen Aufenthaltsort auf und da die Objekte unserer Begierde gut zu Fuss
erreichbar scheinen, haben wir beschlossen, in den vier Stunden Aufenthalt auf eigene
Faust auf Entdeckungsreise zu gehen. Weil die Eismeerkathedrale auf der andern Seite der
Brücke erst um 16 Uhr geöffnet ist, beginnen wir mit Polaria, dem
Erlebniszentrum zum Thema Arktis etc. Es ist wirklich nur ein Katzensprung und wir
treffen ziemlich gleichzeitig mit dem Bus hier ein und eben hat ein Film begonnen
über Spitzbergen, was mich auch immer sehr interessiert und man fühlt sich fast
wie im I-Max. Anschliessend ist gerade Zeit für die Seehundfütterung und wir
könnten eben auch von der Führung profitieren, denn man gibt sich mit den
Erklärungen auch auf Deutsch Mühe. Es sind entschieden zu viele Leute da und
wir wollen eigentlich weiter. In einer Nische entdecken wir aber noch eine kleine Diashow
mit Impressionen über Nordlichter und fasziniert bleiben wir dort hängen. Wie
toll wäre es, wenn wir eins sehen könnten, aber die Konstellationen in dieser
Jahreszeit sind nicht gerade ideal.
Auf dem Weg zurück zur Busstation kommen wir an der hölzernen Domkirche vorbei,
die zufällig geöffnet ist und in die wir natürlich auch einen Blick
hineinwerfen. Aber eigentlich wollen wir auf der andern Seite der gut einen Kilometer
langen Brücke über den Sund die Eismeerkathedrale sehen. Wir haben Glück,
es kommt eben der richtige Bus angefahren und es lohnt sich, einen kurzen Spurt
hinzulegen.
Die Architektur von Jan Inge Hovik begeistert mich. Viele schmale, hohe Platten, fast
wie eine Handorgel zu einem Art Zelt zusammengeschoben, stilisieren Eisplatten und das
Ganze soll das Polarlicht, Eis und lange Dunkelheit symbolisieren. Das grosse bunte
Glasfenster, die ‚Widerkehr Jesu' sei mit 140 m2 eines der grössten
Glasgemälde Europas (wieder Superlativ!)
Am meisten aber fasziniert mich die Ansicht von aussen. Mit jedem Schritt, den man von
Osten her der Kirche entlangschreitet, verändert sich das Bild ihrer Form wirklich
fast wie der Balg einer Ziehharmonika.
Für die Bergbahn reicht es nun doch nicht mehr. Wir wollen nämlich zu Fuss
über die Brücke zurück. Eine glorreiche Idee, nur weil man einmal
über eine solch hohe und lange Brücke gegangen sein will, was sich noch
ziemlich atemberaubend anlässt, gemessen an dem doch recht dichten Verkehr, der
neben einem durchbraust. Für Fussgänger sind aber doch auf jeder Seite je ein
Trottoir angebracht und ein hoher, vergitterter Zaun dazu. Aber man hat dafür eine
gute Aussicht ausser auf die ganze nordisch anmutende Stadt, auch auf den Meeresarm unter
uns, die Häfen links und rechts und auf der gegenüberliegenden Seite entdecke
ich eine grosse Skisprungschanze.
Es dauert schon lange, bis man um Viertel nach acht jeweils zum Nachtessen kommt.
Dafür müssen wir das Feld am Schluss nicht räumen, wie die andern, die
ihren Kaffee oben in der Bar genehmigen müssen. Auch heute sitzen wir wieder bis am
Schluss gemütlich beisammen und achten uns nicht auf die Durchsagen am Lautsprecher.
Hier im Esssaal versteht man davon eh nichts. Draussen aber auf dem Gang bekommen wir
doch gerade noch mit, fast wie ein letzter Aufruf an alle, die es noch nicht gehört
haben, dass man auf Deck 7 ein Nordlicht sichte, das kommt und geht….
Bis ich oben bin, ist es nun halt gegangen. Ich höre gerade wie jemand sagt: it's
over! Und Lykke-Lise und ich hätten soo gern eins gesehen. Doch dank den Bildern,
die wir heute Nachmittag gesehen haben, kann man zwar schon sehen, dass da etwas war,
zwar ganz blass, wie ein Strahl vom Himmel und wie in einem Winkel zu den Wolken, die
halt auch noch da sind. Immerhin scheinen Sterne und ich bin richtig enttäuscht.
zum vorherigen Tag | 26.September | zum nächsten Tag |