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Ein Blick aus dem Fenster elektrisiert. Der Tag erstrahlt in goldenem Rot. Ich hüpfe in die Hosen und mache draussen 100 Fotos. Erst als wir in Harstadt angelegt haben, kann ich mich richtig anziehen. Erst jetzt sehe ich, dass erst sieben ist. Ich geniesse ein mildes Erwachen des Tages. Laut Plan wird auf acht Uhr die südgehende MS Kong Harald erwartet, aber schon eine halbe Stunde früher sieht man sie über ein pastellfarbenes, ruhiges Meer dahergleiten. Sie wird immer grösser und fährt in einem grossen Bogen in den Hafen ein. Ihre Grösse ist etwa mit jener unserer Nordkapp identisch und da sie gerade hinter uns anlegt, kann man von unserem Heck aus einmal zuschauen, wie so ein Riese vom ‚Bodenpersonal' in Empfang genommen, vertäut und gerade durch einen Schlauch mit frischem Wasser versorgt wird. Wir hingegen verabschieden uns im gleichen Atemzug wieder nordwärts.

Morgen in Harstad Harstad die Kong Harald am Horizont etwa gleich gross wie unsere Nordkapp Wolkenspiele

Es wäre heute schönes Wetter und fast schade, drinnen zu sein aber man muss sich warm anziehen, es ist nur etwa vier Grad. Wenn es etwas Interessantes zu sehen gibt, wird dies im Programm mit einem Fernrohrgucker angezeigt. Also muss man doch schauen, dass man auf der Backbordseite die im dreizehnten Jahrhundert erbaute Trondenes Kirche auch auf den Chip bekommt. Jetzt kommen schon Superlative. Sie sei die nördlichste mittelalterliche Steinkirche Norwegens. Also vom Schiff aus sieht man halt einfach ein weisses Haus, nicht mal einen Kirchturm oder so was.
Ich inspiziere, was es sonst noch zu sehen gibt und stosse auf Deck 6 im Spa auf eine Badenixe. Bei dieser Kälte! Mir läuft es gerade kalt den Rücken hinunter. Ich getraue mich, sie anzusprechen, denn ich möchte das unbedingt auch dokumentiert haben. Bereitwillig gibt sie ihr OK und ihr Mann soll doch auch gerade ein Foto von uns beiden machen. Vierzig Grad sei das Wasser und wer Lust auf ein Sprudelbad hat, kann einfach den Deckel öffnen und sich dem Vergnügen hingeben.
Übrigens hat man nun an der Kabinentür das Polarsirkel Sertifikat gefunden, wo mir Njord (hier heisst er nicht Neptun) bestätigt, dass ich am 25.09.2011 (schön, es wäre mein 19. Hochzeitstag gewesen) den Polarsirkelen in Hestmannøy passierte. Mit unterschrieben hat Kapitän Lars Kalås und um zehn Uhr ist Polarkreistaufe angesagt. Aha - also doch! Natürlich sind alle Passagiere auf Deck 7 versammelt. Zuerst wird der Gewinner des Wettbewerbs aufgerufen, der mit seiner Schätzung die Zeit der Überquerung des Polarkreises am nächsten getroffen hat. Er erhält ein Präsent und soll von Neptun als Erster getauft werden. Letzterer muss zuerst herbeigerufen werden, auf dass er zur Tat schreiten kann.
Zuerst wird feierlich einen Sermon verlesen, der etwa so tönt: "Liebe Landkrabben, Ich, Neptun, Herrscher über das Polarmeer, bin jetzt aus der kalten, dunklen Tiefe meines Reichs emporgestiegen, um euch zu neugeborenen Mitgliedern meiner mächtigen Familie zu machen. Dies geschieht, weil ihr den Polarkreis auf 66 Grad, 33 Minuten Nördlicher Breite überquert habt. Möge Glück und Freude Euch über alle Meere begleiten."
Ein grosser Kübel voll Wasser mit Eiswürfeln steht bereit und persönlich leert nun der Hüter der Meere jedem eine Schöpfkelle voll Eiswürfel in den Kragen. Wer es gewagt hat, bekommt anschliessend ein wärmendes Schnäpschen. Klar, dass ich unter solchen Umständen nicht hintan stehen kann! Jetzt rinnt es mir aber wirklich eiskalt den Rücken hinunter. Auch Lykke-Lise hat es gewagt und ist nun richtig polarkreisgeeicht. Noch eine halbe Stunde später beim Umziehen purzeln in der Kabine Eiswürfel aus meinen Kleidern.

Spa auf Deck 6 Neptun herbei... mit Eiswürfeln getauft auch Lykke-Lise frisch getauft

Nach einer wärmenden Dusche (ist mir immer noch lieber als so ein Multi-Task-Sprudelbad) und Haare waschen richte ich mich wieder gemütlich in der Loge auf Deck 7 ein und lasse mich durch den wunderschönen Gisund navigieren. Die Inseln oder das Land auf beiden Seiten sind jetzt ziemlich bewaldet und die herbstliche Färbung leuchtet heute in der Sonne. Man betreibt hier sogar etwas Landwirtschaft und die Felsen sind gar nicht so kahl wie auch schon. Warum eigentlich fahren wir jetzt durch einen Sund und nicht Fjord? Ein Fjord hat meistens ein Ende und ein Sund ist ein durchgehendes Gewässer, wie hier der Gisund. Unter einer Brücke hindurch fuhren wir hinein und ein paar Kilometer später wieder unter einer andern hinaus und überqueren vielleicht den nächsten Fjord und verschwinden wieder in einem andern Sund….
Ich melde mich nun doch noch vor Anmeldeschluss um 14 Uhr für den Ausflug zum Nordkap an. Es kann doch nicht sein, dass ich daheim sagen muss, dass ich dann doch gar nicht dort gewesen sei. Man muss nämlich noch ein gutes Stück mit dem Bus über eine Insel fahren, um zu diesem nördlichsten Punkt zu gelangen. Der schützende Hafen liegt nämlich diesseits auf der südlichen Seite der Insel Magerøya im Magerøyasund. Bis jetzt haben sich nur Silvia und Lydia angemeldet
Am frühen Nachmittag landen wir in Tromsø, der grössten Stadt Nordnorwegens, der Pforte zum Eismeer. Polaria, die Eismeerkathedrale und eventuell einen Blick vom Hausberg Stortsteinen mit der Fjellheisen-Seilbahn wäre sicher interessant. Bei Johann liegt immer ein recht guter Situations- oder Stadtplan für den aktuellen Aufenthaltsort auf und da die Objekte unserer Begierde gut zu Fuss erreichbar scheinen, haben wir beschlossen, in den vier Stunden Aufenthalt auf eigene Faust auf Entdeckungsreise zu gehen. Weil die Eismeerkathedrale auf der andern Seite der Brücke erst um 16 Uhr geöffnet ist, beginnen wir mit Polaria, dem Erlebniszentrum zum Thema Arktis etc. Es ist wirklich nur ein Katzensprung und wir treffen ziemlich gleichzeitig mit dem Bus hier ein und eben hat ein Film begonnen über Spitzbergen, was mich auch immer sehr interessiert und man fühlt sich fast wie im I-Max. Anschliessend ist gerade Zeit für die Seehundfütterung und wir könnten eben auch von der Führung profitieren, denn man gibt sich mit den Erklärungen auch auf Deutsch Mühe. Es sind entschieden zu viele Leute da und wir wollen eigentlich weiter. In einer Nische entdecken wir aber noch eine kleine Diashow mit Impressionen über Nordlichter und fasziniert bleiben wir dort hängen. Wie toll wäre es, wenn wir eins sehen könnten, aber die Konstellationen in dieser Jahreszeit sind nicht gerade ideal.
Auf dem Weg zurück zur Busstation kommen wir an der hölzernen Domkirche vorbei, die zufällig geöffnet ist und in die wir natürlich auch einen Blick hineinwerfen. Aber eigentlich wollen wir auf der andern Seite der gut einen Kilometer langen Brücke über den Sund die Eismeerkathedrale sehen. Wir haben Glück, es kommt eben der richtige Bus angefahren und es lohnt sich, einen kurzen Spurt hinzulegen.

Brücke über den Sund bei Finnsenes Domkirche in Tromsø in der Holzkirche Eismeerkathedrale interessante Architektur

Die Architektur von Jan Inge Hovik begeistert mich. Viele schmale, hohe Platten, fast wie eine Handorgel zu einem Art Zelt zusammengeschoben, stilisieren Eisplatten und das Ganze soll das Polarlicht, Eis und lange Dunkelheit symbolisieren. Das grosse bunte Glasfenster, die ‚Widerkehr Jesu' sei mit 140 m2 eines der grössten Glasgemälde Europas (wieder Superlativ!)
Am meisten aber fasziniert mich die Ansicht von aussen. Mit jedem Schritt, den man von Osten her der Kirche entlangschreitet, verändert sich das Bild ihrer Form wirklich fast wie der Balg einer Ziehharmonika.
Für die Bergbahn reicht es nun doch nicht mehr. Wir wollen nämlich zu Fuss über die Brücke zurück. Eine glorreiche Idee, nur weil man einmal über eine solch hohe und lange Brücke gegangen sein will, was sich noch ziemlich atemberaubend anlässt, gemessen an dem doch recht dichten Verkehr, der neben einem durchbraust. Für Fussgänger sind aber doch auf jeder Seite je ein Trottoir angebracht und ein hoher, vergitterter Zaun dazu. Aber man hat dafür eine gute Aussicht ausser auf die ganze nordisch anmutende Stadt, auch auf den Meeresarm unter uns, die Häfen links und rechts und auf der gegenüberliegenden Seite entdecke ich eine grosse Skisprungschanze.

draussen die Brücke über den Sund zu Fuss darüber Russische Fischerboote Tromsø im Spiegelnden Hafen Wahrzeichen Tromsøs

Es dauert schon lange, bis man um Viertel nach acht jeweils zum Nachtessen kommt. Dafür müssen wir das Feld am Schluss nicht räumen, wie die andern, die ihren Kaffee oben in der Bar genehmigen müssen. Auch heute sitzen wir wieder bis am Schluss gemütlich beisammen und achten uns nicht auf die Durchsagen am Lautsprecher. Hier im Esssaal versteht man davon eh nichts. Draussen aber auf dem Gang bekommen wir doch gerade noch mit, fast wie ein letzter Aufruf an alle, die es noch nicht gehört haben, dass man auf Deck 7 ein Nordlicht sichte, das kommt und geht….
Bis ich oben bin, ist es nun halt gegangen. Ich höre gerade wie jemand sagt: it's over! Und Lykke-Lise und ich hätten soo gern eins gesehen. Doch dank den Bildern, die wir heute Nachmittag gesehen haben, kann man zwar schon sehen, dass da etwas war, zwar ganz blass, wie ein Strahl vom Himmel und wie in einem Winkel zu den Wolken, die halt auch noch da sind. Immerhin scheinen Sterne und ich bin richtig enttäuscht.


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