zum vorherigen Tag | 27.September | zum nächsten Tag |
Ich bin noch lange enttäuscht, dass ich das Nordlicht nicht gesehen habe. Es sei
gegen 12 nochmals gekommen und jetzt ist Nebel und Regen und man sieht wieder fast
nichts. Bis zum Nordpol wird man heute jedenfalls bestimmt nicht sehen.
Hammerfest, die nördlichste Stadt der Welt (Superlativ!) ist vorbei Wir legten von
5.15 bis 6.45 an. Man merkt jeweils nichts davon in der Nacht, so ruhig machen sie das.
Die Häfen, die wir anlaufen, werden immer malerischer. Havøysund setzt sich
mit einer grossen Brücke in Szene und die Form der Berge verändert sich wieder.
Mich faszinieren die schemenhaften Nebelbilder. An einer steilen, baumlosen Bergflanke,
bewachsen höchstens mit Moos und Flechten, welche eine gelb/rot/braune
Herbstfärbung angenommen haben, weiden Rentiere. Waren die weissen Pünktchen
gestern wohl solche, als einer gesagt hat, er sehe Eisbären? Ich muss nun doch
meinen Feldstecher holen und mit diesem ist die Herde viel grösser, denn viele sind
nämlich grau und aus der Distanz sieht man nur die Weissen als sich bewegende
Punkte.
Es gibt heute schon um halb Elf Mittagessen, denn um Viertel vor zwölf fahren
fünf Busse zum Nordkap. Eine richtige Völkerwanderung. Ich bin jetzt von uns
Frauen doch die Einzige, die heute mitfährt. Ich habe nämlich wieder
überhaupt nicht gecheckt, dass es zwei Varianten gibt. Diese, wie es scheint die
populäre und übermorgen auf der Rückfahrt, die längere Tour, mit
Frühstück am Nordkap inbegriffen.
Es ist neblig-trüb und regnerisch, aber es tut der wunderbaren Fahrt über 34 km
durch eine herbstlich gefärbte Tundra mit vielen Seen und Wässerchen und gar
noch weidenden Rentieren keinen Abbruch. Unser Busbegleiter ist aus Honingsvåg und
arbeitet normalerweise auf einem Fischerboot. Er erzählt von seiner Arbeit und von
den Rentieren, die nun sicher diese oder nächste Woche wieder etwas weiter in den
Süden aufs Festland ziehen und dabei an der engsten Stelle die 1,8 km über den
Magerøyasund schwimmen müssen.
Dass man in Honingsvåg letzte Woche wieder das erste Nordlicht dieser Saison
gesehen habe und das von gestern, das wir sicher gesehen hätten jetzt das zweite
war, muss er uns unter die Nase reiben, so dass ich mich gerade nochmals ärgern
kann.
|
Es gibt einen Fotostopp bei einem Samenzelt. Der Bauer steht in Tracht und mit seinem
Rentier bereit, um von und mit 200 Leuten gefilmt und gefötelt zu werden. Seine Frau
im Verkaufsladen bietet Waren und Souvenirs aus der eigenen Werkstatt feil. Nach zehn
Minuten ist für die beiden der Spuk wieder vorbei, die Leute wieder in ihre
fünf Busse verfrachtet, um fünf Minuten später wieder am Kap auf dem
Schieferfelsen auf den weltbekannten eisernen Globus losgelassen zu werden, wo das
Gerangel um eine Starfoto auf dem Sockel weitergeht. Man räumt uns hier anderthalb
Stunden Zeit ein. Nebel umwallen das Plateau und verhüllen geheimnisvoll die
nähere und weitere Umgebung. Ab und zu kann man bei einem Aufwallen der Schleier
etwas vom Meer, das 300 Meter unter uns liegt sehen oder eine kleine Landzunge, die halt
dann doch schon südlicher liegt, aber von dem spektakulären Ort, der sich ‚nur' noch 2'080 km
irgendwo nördlich vor uns befindet, würde man auch bei schönstem Wetter nicht mehr sehen als
jetzt. Keine Stange mit einer Fahne dran, keine Nabe und auch kein riesiges Kugellager mit
dem sich die Erde um ihre Achse hier am Nordpol drehen könnte - nichts!
In der Nordkaphalle ist es wärmer. Man könnte einen Kaffee trinken, einen
riesigen Souvenirladen besuchen, Post mit einem speziellen Stempel aufgeben oder in einem
unterirdischen Gang die schlichte, ökumenische Kapelle oder gar einen Thai-Tempel
mit einem dicken Buddha besuchen. Mit Ute, die auch dabei ist, mache ich aber einen
Besuch im Breitleinwandkino ab. Etwa im Stil wie gestern im Polaris, kann man sich hier
über das Nordkap und den Jahreslauf hier in der norwegische Region Finnmark
orientieren.
Nachher muss ich nochmals raus. Der Nebel ist nicht mehr ganz so dicht und die Leute
haben sich zum grössten Teil verzogen. Ute schafft es sogar, dass ich nach all
meiner vorherigen Lästerei doch selber auch noch für ein Foto auf den Sockel
steige. Schon gut, es ist ja bereits der 27. und mein nächstes Monatsbild wäre
fällig. Auch von dem Denkmal "Kinder der Welt", das mit Motiven von Kindern aus 7
verschiedenen Ländern geschmückt ist, gerät mir ein noch besseres Bild,
nachdem ich festgestellt habe, dass vorhin die Linse meiner Kamera in der Kälte
total angelaufen war und der Nebel noch nebliger aussah.
Ich geniesse auch die Rückfahrt wieder sehr. Anders als auf dem Schiff, hat man das
Gefühl auch etwas vom Land selber mit festem Boden unter den Füssen zu
spüren, obwohl es Einöde ist, aber mir gefällt sie ausserordentlich.
Im Hafen von Honingsvåg treffen wir gerade eine kleine Aufregung an. Die Nordkapp
liegt nicht schön brav wartend am Quai. Sie war auf Abwegen und ist eben wieder
dran, an den Landungssteg heranzufahren. Die meisten Leute waren von Bord und viele kamen
ganz entsetzt herangestürzt, als sie das Schiff ablegen sahen. Dabei musste man nur
eine Rettungsboje auf der Steuerbordseite, also rechts auswechseln und dazu musste die
Nordkapp eine halbe Pirouette drehen, damit man auf jene Seite herankommen konnte. Das
Tor für die Ein- und Ausfahrt und der Einstiegsteg sind auf backbord.
Beim ‚Heimkommen' wird man heute mit Kaffee und Kuchen erwartet oder besser
gesagt einer heissen Schokolade und Dänisch Plunder, aber ich halte mich jetzt
zurück und warte schön, bis es Nachtessen gibt. Das ist nämlich wieder
aussergewöhnlich, ein Buffet mit Fisch! Es gibt Meeresfrüchte und ich probiere
neben Crevetten, Krebse und Hummer. Lykke-Lise weiss, dass man zu jedem dieser Getiere
von der Art wie sie aussehen oder im Teller liegen, immer einen Grund ableiten kann, dazu
einen Aquavit zu trinken. Tatsächlich kommt bald die Serviererin mit einem ganzen
Tablett voll Aquavit für solche Notfälle. Fazit: ich werde in Zukunft glaub
doch bei Fisch und Flunder bleiben. Da weiss man wenigstens, wie man das essen muss, ohne
dass man Nussknacker und Grübelwerkzeug dazu braucht.
Wahrscheinlich gilt das heutige Dinner auch etwas als Abschiedsessen, denn viele
verlassen morgen in Kirkenes das Schiff. Auch Ute ist unter jenen, deren Ferien nun schon
vorbei sind.
Später treffe ich mich noch mit Lykke-Lise auf Deck 7. Wir möchten ja kein
allfälliges Nordlicht verpassen. Mit der Zeit sind fast alle unserer Frauen da und
aus unserem Nordlichtwatching wird ein richtiger Abschiedshöck für Ute. Der
Himmel ist nämlich wieder ganz bedeckt und den einen Stern am Himmel hat man nicht
lange gesehen.
zum vorherigen Tag | 27.September | zum nächsten Tag |