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Für Ute heisst es heute Morgen bereits um sechs Uhr das Zimmer zu räumen.
Ihren Koffer musste sie noch gestern spät vor dem Lift deponiert haben. Bis wir um
Viertel vor Eins Kirkenes wieder verlassen werden, müssen die Kabinen für neu
zusteigende Gäste wieder bereit sein.
Zum Frühstück sind wohl alle gleichzeitig gekommen und wir haben Glück,
dass Ute und ich zusammen überhaupt einen Platz finden. Sie hat unser Treffen sehr
genossen und ich will nicht vergessen, ihr auch eine Mitteilung zu machen, wenn mein
Reisebericht dann fertig sein wird. Dazu musste sie mir ihre E-Mail-Adresse geben. So
hätte dann ihre Mama doch auch noch etwas von der Reise, welche sie eigentlich
für sich gebucht hatte und dann im letzten Moment an Ute stellvertretend weitergeben
musste.
In Kirkenes gehen viele Leute zuerst von Bord, weil sie aufs Flugzeug müssen. Die
beiden Busse für die von uns diesmal gebuchte Fahrt an die Russische Grenze, fahren
eine Viertelstunde später. Wir finden noch Plätze im Bus für Deutsch und
Norwegisch, und unser Guide, Ernst Sneve versteht es, uns seine Heimat richtig nahe zu
bringen. Die Farben des Herbstes sind im Moment auf ihrem Höhepunkt. Irgendein
Reiseleiter im Süden hat gesagt, dass wir mit Glück hier oben den Herbst
antreffen werden, der dauere aber nur 36 Stunden und diese wunderbare Zeit hat genau auf
uns gewartet. Vielleicht als Entschädigung wegen dem Nordlicht. Trotz des rauen
arktischen Klimas sind die Hügel buschbewachsen und auf der Fahrt bis Storskog
fahren wir an Seen und Moorlandschaften und auch ganzen Birkenwäldern vorbei. Alles
ist in herbstlich bunte Farben getaucht und manchmal scheinen in der Ferne lodernde gelbe
Feuer zu brennen. Wenn, anstatt wie jetzt der Regen seinen feinen Schleier über
alles zieht, die Sonne scheinen würde, wäre es wohl so schön, dass es
nicht mehr auszuhalten wäre!!
Bevor wir zum Grenzposten kommen, wo ein kurzer Stopp eingeplant ist, warnt uns Ernst
eindringlich davor, ja nicht über die Grenze und erst recht nicht weiter als die
grosse Verbotstafel zu gehen, wir müssten sonst auf unsere Weiterreise auf der
Nordkapp verzichten und im grossen Einkaufscenter sollen wir auch aufpassen, dass wir uns
nicht verirren. Aber dort hat man schon gar keine Chance, hinein zu kommen, wenn zwei
Busse voller Touristen gleichzeitig ankommen. Man könnte Babuschkas und Mitbringsel
aus beiden Ländern erstehen und ich begnüge mich mit einem Bild vom malerischen
Schaufenster.
Margrit hingegen schockiert mich gerade mit ihrer Forderung, ein Foto von ihr zu machen,
wie sie hinter die Grenzlinie geht. Ihren Schalk sieht man nun auf dem Bild, aber meine
Nerven….
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Weiter fahren wir noch an einen andern Fjord nach Bjørnevatn, eine kleine Bergbaustadt. Die Gegend hier um die Barentsee ist äusserst reich an Bodenschätzen, darum war es im letzten Krieg auch so umkämpft und die Bevölkerung musste grausam leiden. Bei einem weiteren Stopp auf einem Rastplatz hoch über dem Fjord wird Ernst geheimnisvoll. Er verehrt nämlich jeder Frau einen magnetischen Stein und verspricht in die Hand jeder einen Diamant, die ihm diesen irgendwann wieder zurückbringt. Aber, er will dafür einen Kuss! Clever, wie der zu so vielen, freudigen Küssen kommt!
Er erzählt uns unterwegs viel über diese Gegend und ihre Leute, wie auch er als Kind im Krieg gelitten und nur überlebt hat, weil sie sich in einer Höhle versteckt hatten, während draussen alles total zerstört wurde. Jetzt schreitet die Zusammenarbeit mit den Russen voran, was hier in der Barentsee eine Rolle spielen wird. Arbeitskräfte werden hier gesucht und das Zusammenleben mit 51 Ländern und Kulturen funktioniere bestens und ohne Probleme und sie sind stolz darauf.
Von Bergen bis Kirkenes sind wir nun 2481 Kilometer gefahren. Unter den 1339
Nautischen Meilen können wir Landeratten uns weniger vorstellen. Jetzt beginnt die
Rückreise. Es ist so organisiert, dass man jene Häfen nun bei Tag anläuft,
von welchen man in der Nacht nichts gesehen hat. Nur die letzte Station Vadsø im
Varangerfjord wird ausgelassen, so dass es wieder stimmt - jeden Tag ein Postschiff in
jeder Richtung.
Deshalb fahren wir ziemlich weit über offeneres Meer bis Vardø, wo mir
riesige Kuppeln auffallen. Es sind wahrscheinlich Radaranlagen, denn Vardø war ein
wichtiger Stützpunkt in der Barentsee für das Frühwarnsystem der NATO im
kalten Krieg. Um an Land zu gehen ist es mir zu nass. Zu besichtigen wäre hier u.a.
die achteckige Festung Vardøhus. Marie-Louise und Lykke-Lise finden dort auch den
meistgehüteten Baum Norwegens. Bäume sind hier in dieser arktischen Gegend
Seltenheit und Soldaten würden diesen Vogelbeerbaum im Oktober sorgfältig
einpacken und im April wieder enthüllen.
Das Wetter bleibt den ganzen Tag düster und regnerisch. Abends um halb elf sind wir
an der Stelle, wo man normalerweise die Nordlys kreuzt. In Memoriam der beiden
Mitarbeiter wird nicht gehupt, man hat zu einer Manifestation aufgerufen und zusammen mit
der ganzen Belegschaft steht man mit Wunderkerzen an der Reeling. Damit alle gleichzeitig
leuchten, wird auf Befehl angezündet und so grüsst man still die anstelle der
Nordlys vorüberfahrende Nordnorge. Ein eindrückliches Erlebnis zum Ausklang des
Tages.
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