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Ich erwache erst wegen dem Licht, das Edith angezündet hat. Sie ist schon
geduscht und bald ausstiegsbereit. Im Gang ist bereits Scheiaweia. Die wollen die
Leute sobald wie möglich aus den Kabinen haben, damit sie diese wieder
für die neuen Passagiere herrichten können. Also nehmen wir unser
Wärlein gerade mit und holen uns im Selbstbedienungsrestaurant unsern
Frühstückskaffee in der Plastiktasse.
Draussen wird's langsam hell und zehn Minuten nach sieben Uhr ertönt wieder
die Hymne aus dem Lautsprecher. Wir haben angelegt. Obwohl der Himmel eher bedeckt
ist, ist es für den frühen Morgen doch angenehm warm. Eigentlich
hätte ich noch gerne von oben dem rollenden Auszug aus dem Schiffsbauch
zugesehen, aber sie hetzen alle Passagiere von Bord. Bald kommt auch Werner mit
unserem Bus. Jetzt fehlt nur noch der Reiseleiter. Ein junges Paar aus der Schweiz
ist auch mit der Fähre angekommen und will die Insel per Töff unsicher
machen. Wartend plaudert man mit denen, bis man auch von diesem Platz verwiesen
wird. Irgendwann klappt endlich die Verbindung mit dem bestellten Reiseleiter und
dabei stellt sich heraus, dass wir ja gar nicht wie wir gemeint haben, im Hafen von
Olbja, wo er wartet, sondern im Golfo d'Aránci gelandet sind. Zuerst steht
für uns eine Fahrt entlang der Costa Smeralda auf dem Programm. Also
beschliesst man, sich in Porto Rotondo zu treffen. Das sei dann eine erste
Gelegenheit für einen Kaffee.
Detlef, ein Schwabe, glaub von Ravensburg, ist sicher die halbe Nacht von Sassari
quer durch die Insel gefahren, um uns hier in Empfang zu nehmen und verabschiedet
sich für die nächsten drei Tage von seiner Frau. Von wegen Kaffee! Es ist
doch noch viel zu früh. Keine Menschenseele ist zu sehen. Wir machen einen
kleinen Rundgang durch ein malerisches, hübsches Dorfzentrum. Boutiquen,
Bistros - alles geschlossen. Nicht nur weil Sonntag ist. Die Feriensaison ist zu
Ende. Nur zwei Monate im Jahr ist hier was los. Ruhig und verlassen liegt auch der
Hafen da. Eng an eng schaukeln die verschiedensten Typen von Booten angebunden am
Quai. Viele sind zum Verkauf angeschrieben. Die Saison ist vorbei, im Frühling
kauft man sich dann eine neue Yacht. Diese dann aber bestimmt grösser als jene
vom Nachbarn. Vielleicht sogar so einen zwei- oder dreimastigen Segler, von denen
je einer in einem separaten Hafenbecken als Fotosujet herhalten muss. Während
Detlef von dem berühmten Architekten erzählt, welcher den ganzen Badeort
geplant und realisiert hat, beginne ich langsam zu begreifen, dass ich doch eine
riesige Bildungslücke betreffend Costa Smeralda habe und so ganz ohne
Ehrfurcht und Respekt durch dieses begehrte Urlaubsziel der internationalen
HighSociety geschlendert bin. Auf dem ganzen Rundgang durch Hafen und
Städtchen ist uns fast niemand begegnet. Man kommt sich fast als
Störenfried vor in dem ausgestorbenen Ort. Vor einer Tür liegen Scherben
von zerbrochenem Geschirr. Wie passt das zu diesem gediegenen Ort? Wir stehen vor
der Kirchentür! Diese ist so dezent und unauffällig in die
Architekturplanung integriert, dass man achtlos daran vorbeigehen würde. Aber
anscheinend hat man hier geheiratet und verstreute Reiskörner und die Scherben
zeugen von hiesigem Brauchtum.
Während wir über die Panoramica Küstenstrasse Richtung Porto Cervo
mit seinen eleganten Geschäften und mondänen Szenetreffs fahren,
erzählt uns Detlef über die Gallura, die Costa Smeralda und Karim Aga
Khan IV, dem sagenhaft reichen Unternehmer und geistlichem Oberhaupt der
Ismailiten. Wie der ein Konsortium gegründet hat, welches den heute
weltberühmten (nur ich wusste nichts davon) Küstenstreifen von den
Schafhirten abgekauft und touristisch erschlossen hat. Durch den Einfluss des
Konsortiums konnten bis heute Bausünden, Umweltzerstörung und
Massentourismus verhindert werden. Kreti und Pleti will man hier nicht. Wer hier im
Hotel buchen will, muss Rang und Namen haben, sonst ist ‚leider
ausgebucht'.
Rötliche Granitfelsen faszinieren mich und bald öffnet sich der Blick
weit über Buchten, Inselchen und das im Morgenlicht gleissende Meer. Werner
hält für einen Fotostopp an. Eigentlich ist diese Ecke auch berühmt,
weil man von hier aus das Meer in einer schillernden smaragdgrünen Farbe
bewundern kann, nur leider gerade heute nicht. Das Wasser spiegelt die graue Farbe
der Wolken wider und Porto Rotondo erscheint so grau und nichtssagend, wie das bis
anhin in meinen Vorstellungen, falls ich mir solche hätte machen müssen,
gewesen wäre.
Werner fährt extra eine Anliegerstrasse bis zum ziemlich abgelegenen, sehr
exklusiven Hotel Romazzino, auf welches wir wohl lüsterne Blicke werfen
sollten.
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Wir erreichen Porto Cervo. Das scheint nun das Non Plus Ultra zu sein. Wir werden
gewarnt, uns ja nicht in Versuchung führen zu lassen und auch nur ein kleines
Zweiglein vielleicht eines am Strassenrand wachsenden Erbeerbaums zu zupfen. Es sei
alles Viedo überwacht. Ein Foto von einem schönen Exemplar dieser
Macchia-Pflanze erlaube ich mir jedoch trotzdem zu stehlen. Eine Stunde wird uns
gewährt, Zeit für einen Kaffe, auf der oberen Terrasse, ganz gediegen,
oder etwas billiger unten in den Arkaden und einen Blick in den Hafen mit seinen
exklusiven Luxusyachten. Aber Nomen est Omen, dazu reicht es mir nicht, Ich muss
auf den Hafen, also geselle ich mich zu jenen, die unter den Arkaden einen
Capuccino bestellt haben. Und was muss man hier an einem so mondänen Ort, wo
von einem ehrfurchtsvolles Staunen, diskretes Lustwandeln und höchstens im
Flüsterton sich unterhalten erwartet wird, über sich ergehen lassen?
Integriert, halb im Café mit fast durchsichtiger oder jedenfalls
durchhörbarer Tür? - Ein viereckiges, in den Boden gelassenes
Türkenklo, wo man nie weiss, in welcher Richtung man sich jetzt auf diese zwei
gerillten Etageren links und rechts eines stinkenden Lochs stellen muss!!!
Eine aparte Boutique mit schönen Sachen ist offen und reizt natürlich
enorm zum ‚Ineluege'. Ich decke mich nur mit einer Karte ein, wo wenigstens
das Meer so schön smaragdgrün abgebildet ist und hoffe, dass Dieter, der
am Sonntag Geburtstag hat, wenigstens gebührend staunen wird, dass er eine
Karte von der Costa Smeralda erhält.
Ein Stopp noch bei der Kirche Stella Maris, was Seestern bedeutet, sei ein Muss
wegen einer neapolitanischen Orgel aus dem 16. Jahrhundert, einem deutschen,
barocken Altarkreuz und einer Madonna Dolorosa, welche El Greco zugeschrieben
werde. Aber sie haben gerade Messe und man muss sich halt mit Föteli von der
Aussenseite und der Umgebung begnügen, welche allerdings sehr malerische
Sujets liefert.
Während wir uns nun mehr dem eher felsigen Landesinnern zuwenden, berichtet
Detlef von der sogenannten Macchia mit seinen Pflanzen wie Myrte, Zistrosen und
Erdbeerbäumen und deren Duft und verschiedenen Farben durchs ganze Jahr, so
dass ich gerade Lust habe, mal den Süden im Frühling zu sehen und zu
riechen, wie Napoleon, der seine Insel am Duft erkannt haben wollte. Nur wird dies
in den klimatisierten Bussen wohl schwer möglich sein.
Detlef behauptet, dass die felsige Landschaft, welche mit immer skurrileren Formen
aufwartet, Granit sei. Die Lufterosion, was immer man sich darunter vorstellen
soll, führt dazu, dass die Steine von Löchern durchsetzt und von unten
ausgehöhlt werden, dass manchmal am Schluss nur noch eine Kruste wie eine
Eierschale übrigbleibt. Dabei stellte ich mir unter Granit eine der
härtesten Gesteinsarten vor.
Bald haben tälerausfüllende Korkeichenwälder die Macchia
abgelöst. Dunkelbraun fallen die bis auf zwei bis drei Meter ab Boden
entblössten Baumstämme auf. Die Natur verhilft ihnen zu nachwachsenden,
neuen Kleidern. Die geernteten Klamotten türmen sich auf den Arealen der
Korkfabriken, eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten dieser Gegend.
Tempio Pausania ist ein grösserer Ort, wo sich die Möglichkeit zur
Mittagsverpflegung anbietet. Allerdings ist man hier überhaupt nicht auf
Tourismus eingestellt. Detlef meldet uns vorsorglich telefonisch an und zwar, dass
man nicht überfordert ist, gleich an zwei verschiedenen Orten verteilt. Am
ersten Ort ist aber schon alles besetzt. Es werde zwar gleich frei, dabei sind sie
noch voll am Essen. Ein Teil findet im zweiten Lokal einen Platz und wir folgen
Detlef mit dem Rest weiter durchs kleine Städtchen. Hier kann man in einer
Boutique alles Mögliche korkige kaufen, sogar ein ganz gediegenes Kleid - aus
Kork!
In einem, der aus Granitstein gebauten Häusern, finden wir in einem kleinen
Grotto gnädigst Platz. Es ist zwar auch noch eine Gesellschaft angemeldet,
aber etwas widerwillig werden Tische für zehn Leute zusammengerückt. Am
Schluss sind wir dann noch sieben, die wirklich ausgeharrt haben und sich etwas
Kleines bestellen. Risotto machen sie nur, wenn mindestens zwei davon bestellen.
Mit vier gemischten Salaten und drei Portionen Risotto und Pommes machen wir ihnen
die Bestellung ja nicht allzu kompliziert. Nur beim Risotto müssen wir
nachfragen, ob dies wirklich für alle drei reichen soll. Also ich glaube, ich
würde mit diesem Quantum spielend allein fertig. Dafür ist das
hauchdünne Fladenbrot, das Carasau, welches zum Salat gehört, sehr gut.
Mit der Rechnung wird das Personal gerade nochmals gestresst, zumal inzwischen die
Gesellschaft eingetroffen ist. Macht 84 Euro, inklusive Copertos! - Aber wir wollen
separat zahlen. Kurzentschlossen knallt die Serviertochter uns ihren Rechner auf
den Tisch und überlässt uns unserem Schicksal. Alle steuern ihren Beitrag
bei und wir sagen auch nichts, dass sie vergessen hat, den Wein zu verrechnen. Zehn
Euro für so ein Häppchen Reis ist ja eh gut bemessen.
Zum Glück kommt uns Detlef noch entgegen, um uns abzuholen. Bei einem Bistro,
wo Werner mit seiner Familie eingekehrt war, ist ein Rucksack liegen geblieben,
welchen sie uns nun aushändigen. Mal schauen, was Cornelia und Helen für
Augen machen, wenn sie ihre Tasche suchen.
Langsam wird das Gelände wieder etwas flacher und kultivierter. Braun herrscht
zwar vor, es ist Herbst und die Schafe finden höchstens noch magere,
dürre Halme. Man hält hier viele Milchschafe und Detlef empfiehlt uns
unbedingt, hier vom sehr vielfältigen Peccorino zu versuchen.
Richtung Sassari, allein auf weiter Flur und weitab von irgend einer Ortschaft,
fällt ein hoher, weiss/schwarzer Kirchturm ins Auge. Die Santissima
Trinitá di Saccargia aus dem 12. Jahrhundert sei die prächtigste Kirche
Sardiniens und wir halten an, sei's für die Besichtigung der Kirche, für
eine Kaffeepause oder sonstigen Boxenstopp. Die Benützung des WC's kostet
einen halben Euro, die Besichtigung der Kirche zwei. Das alte Fresko in der Apsis,
aber auch die Bauweise, wo mit verschiedenfarbigen Bausteinen besondere Effekte
erzielt wurden, sind sehr interessant.
Über eine weite Ebene durchfahren wir das grösste Anbaugebiet der
Cannonau-Trauben, bevor im Westen durch lange Palmenalleen der gleissende Horizont
des in der Abendsonne glänzenden Meeres sichtbar wird. Wir sind in Alghero
angekommen, wo wir für die nächsten drei Nächte im Hotel Rina unser
Biwak errichten werden. Vor dem Begrüssungsapéro an der Bar, reicht es
uns noch locker für einen kühlenden Schwumm im herrlichen, hoteleigenen
Pool. Das Thermometer zeigt immer noch 28 Grad an. Das Meer wäre mit einem
wunderbar feinen Sandstrand zwar in erreichbarer Nähe, aber die Wasserratten
scheuen glaub heute die Panade hinterher.
Die Küche ist umwerfend. Ausser einem reichhaltigen Vorspeisenbüffet von
dem man, würde man von allem kosten, allein schon genug gegessen hätte,
kann man aus Antipasti und Secondi auch noch Dessert auswählen. (Ich muss wohl
nicht erwähnen, dass ich nachher noch einen Grappa gebraucht habe).
Nur Isabella verpasst all dies. Sie ist schon in Porto Cervo nicht ausgestiegen,
weil ihr wegen einer Migräne schlecht war. Werner hat ihr ein Medikament
gegeben und sie verzieht sich ohne Znacht ins Bett. Das ist schon mühsam, wenn
man sich so krank fühlt und so lange einfach mitreisen muss.
Ein kleiner Verdauungsspaziergang an die Gestade des tintenschwarzen Meeres, in
welchem sich die Lichter der nahen Stadt spiegeln. So weit mögen wir aber
nicht mehr wandern, es war doch ein langer Tag heute und das Bett lockt mehr. Nur
bis zur noch geöffneten Korallenboutique an der Ecke, um einen kurzen Blick
hineinzuwerfen.
Wir hätten in unserem Zimmer neben dem breiten Doppelbett auch noch ein
drittes Bett, welches aber eher als Hängematte zu gebrauchen wäre.
Wenigstens liefert es uns ein zweites Leintuch, denn Edith warnt mich, dass ich
sonst ohne Möglichkeit, mich zudecken zu können, die Nacht verbringen
müsste.
Es reicht uns schon der Ärger, die ganze Nacht bis um sechs Uhr früh das
Bum Bum von der Disco aus dem Keller des Hotels mitanhören zu müssen.
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