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Auf den fakultativen Ausflug heute haben sich glaub alle angemeldet. Es geht auf der Küstenstrasse südwärts. In granitigem Gelände schlängelt sich diese manchmal hoch über dem Meer den Buchten und Berghängen entlang. Hier soll es sogar noch Gänsegeier geben. In den bizarr ausgehöhlten, lufterodierten Felsen (Lufterosion gefällt mir, vor allem weil ich mir nichts darunter vorstellen kann), finden sie wohl noch sicheren Unterschlupf. Der Grund, warum sie vom Aussterben bedroht sind oder waren, ist nicht unbedingt die Zivilisation und der Jagdtrieb der Südländer, sondern vielmehr, weil man hier noch bis in die sechziger Jahre die Malariamücke mit DDT bekämpft hat.

Im Gebiet der Gänsegeier hoch über dem Meer Pillendreher Mistkäfer in Aktion stille Buchten

Der Blick auf das Meer und die Küste ist fantastisch und Werner hält auch mal für einen Fotostopp an. Nicht nur die Landschaft oder die abgefackelte Vegetation, sondern regelrechten Mist muss ich mit meiner Kamera festhalten. Ein Heer von grossen, schwarzen Mistkäfern tummelt sich in einem zerschlissenen, hier deponierten Abfallsack. Ich habe noch nie Pillendreher live in Aktion gesehen. Wie s'Bisiwetter rollen sie im Rückwärtsgang Kugeln von Mist, die schnell mal grösser sind als sie selber, vom Fundort weg in Sicherheit.
Geier sind allerdings keine auszumachen. Ein paar Kilometer weiter gibt's abermals einen Stopp. Hier stink's wenigstens nicht, dafür hat es ausser Meeresbuchten, noch schöne Disteln zu fotografieren. Erst jetzt realisiere ich den Grund für den Halt. Nicht nur Geierwatching!
Hier würden sie einem nur so um die Ohren fliegen, denn es seien hier wieder solche angesiedelt worden. Nur heute lässt sich keiner blicken. Dafür hat Werner einen Campingtisch aus dem Stauraum geholt und hantiert schon mit Weinflaschen, während Helen Nüsschen auspackt. Alles bereit für einen Apéro auf freier Wildbahn am Morgen früh!

Apéro am Morgen Prost Käthy Ursi Isabella strahlt wieder

Schon bald haben wir Bosa erreicht. Ein richtig malerisches Städtchen, an einen kleinen Hügel gelehnt, überwacht von einem alten Castell.
Über eine schöne Bogenbrücke gelangen wir vom Parkplatz zuerst auf die andere Seite eines träge dahinfliessenden Flusses. Die Uferstrasse säumt auch hier eine Allee aus hohen Dattelpalmen. Einst war es eine Gerberstadt und auf der andern Seite des Flusses will man heute aus den einst stinkenden Fabrikgemäuern ein Touristenzentrum machen. Für viele gilt Bosa als die schönste Stadt Sardiniens. Detlef führt uns zuerst zur Trattoria Sanassa, wo wir in einer Stunde zum Mittagessen erwartet werden. Ein Blick in die Kirche darf natürlich nicht fehlen. Als Besonderheit bestaunen wir in einem Seitenaltar eine Maria mit einem goldenen Schiff. Eine Maria der guten Winde oder bel aria, wie sie Seefahrer-Nationen verehren. Auch Buones Aires trägt deshalb diesen Namen.
Durch enge Gässchen, wo von hüben nach drüben bunte Wäscheleinen flattern, geht's hinauf Richtung Castello. Hier halten unter ihrer Haustüre Frauen ihre Stickereien feil. Es sind fein gearbeitete Deckeli von Filetstickerei, wie sie im Engadin auch für die rustikalen Vorhänge gearbeitet werden. Also jedenfalls nicht Klöppelarbeiten, wie Detlef das schon im Bus erzählt hat. Das Grundgerüst ist ein über ein Stäbchen mit dem Fischerknoten geknüpftes Netz. Darin werden dann die Motive mit einer Nadel eingewebt. Marlis kann nicht widerstehen. Aber eigentlich schön, so kommt der Ertrag wirklich vollumfänglich der Stickerin zugute.

über die Brücke... ...nach Bosa feine Handarbeit Bosa

Bald sind wir auf der Höhe angelangt, wo man einen wunderbaren Blick bis zum Meer hat. Dach an Dächlein, eins höher, das andere etwas tiefer, eng aneinandergedrängt, breitet sich die Stadt der blauen Schlange des Flusses entlang aus. Die Fassaden in farbiger Abwechslung von gelb, grün, rosa bis lila, dazu das alles in herrlichem Sonnenschein unter wolkenlos blauem Himmel, erfreuen nicht nur das Auge, es schürt geradewegs die Ferienstimmung. Über Treppchen und gröberes Kopfsteinpflaster geht's durch verwinkelte, enge Gässlein an den vielen malerischen Häusern vorbei, wieder hinunter. Edith hat unten gewartet. Schade, sie hat den schönen Ausblick verpasst, aber gut, wenn ich an den Weg denke, wo eher Bergschuhe als Stadtpumps angebracht wären.
Pünktlich sind alle in der schönen Trattoria, einem herrlich alten, gewölbten Keller zur angekündigten "Weinverkostung" eingetroffen. Als Aperitif müssen wir den hauseigenen, berühmten Malvasia probieren. So einen guten Schluck aus dem eigenen Rebberg. Auch das typisch sardische Essen stammt in diesem Familienbetrieb zum grossen Teil aus eigenen Erzeugnissen.

holprige Gassen hier wirkt der Bijoutier in der Trattoria Sanassa Erich

Gesättigt und zufrieden entlässt man uns wieder. Im Hinterland erwartet eine Nuraghe unseren Besuch. Schon zwei oder dreimal hat uns Detlef auf Steinhaufen, welche einstmals eine Art runde Wehrtürme sein mussten, aufmerksam gemacht. Nuraghen gibt's nur auf Sardinien und sind etwa dreieinhalbtausend Jahre alte archäologische Baudenkmäler. Auf unserer Fahrt über eine fruchtbare Hochebene, wo auch wieder viele Korkeichen gehegt werden, sieht man verschiedene solche Nuraghen. Eigentlich ist das Geheimnis dieser Fluchtburgen, Kultstätten oder vielleicht auch Häuptlingssitzen nicht enträtselt.

am stillen Fluss Bosa Nuraghen überall Rundhütte der Nuragher

Der Bus hält bei der Nuraghe Santu Antine im Tal der Nuragher, einer weiten Ebene mit mehreren erloschenen Vulkankegeln. Es soll eine der grössten, von weit über 7000 Nuraghen auf Sardinien sein. Ausserhalb der grossen dreieckigen Ringmauer, welche den dreistöckigen Nuraghenturm einschliesst, fand man Überreste von 20 Rundhütten. Eine solche Rundhütte wurde wieder aufgebaut. Dabei habe ich wieder nicht richtig zugehört, ob der Bauer nebenan seine "Pineta" mit dem spitzen Schilfdach, welche er als Vorratsspeicher benützt, selber aufgebaut, oder sich ein noch mehr oder weniger erhaltenes Überbleibsel aus uralten Zeiten zunutze macht. Auf jeden Fall ist diese Art von Speicher hierzulande noch gang und gäbe.

Nuraghe Santu Antine Standfeste Kuppel in der Ringmauer Tal der Nuragher

Der ganze Komplex der Nuraghe ist aus mächtigen Steinen aus schwarzem Basalt errichtet. Mich erstaunt immer wieder, wie man mit so grossen Steinbrocken, ohne Mörtel so sagenhafte Kuppeln machen kann oder konnte und das vor mehr als dreitausend Jahren. Darüber sind zwei Stockwerk hohe, mehrere Meter dicke Mauern eingestürzt und der Kuppelraum hält immer noch. Auch die dreieckigen Gänge innerhalb der Ringmauer sind begehbar. Eine innere Wendeltreppe führt in den ersten und Teile vom zweiten Stock, von wo man eine herrliche Aussicht über das ganze Tal geniesst.
Beim Kiosk wird nochmals in Erwägung gezogen, ob man die Art der Jahrtausende alten Brotstempel, mit welchen man die eigenen Laibe bezeichnete, ehe man sie in den Dorfbackofen brachte, als Änisbrötlimodel gebrauchen könnte, oder ob vielleicht doch der Fingerring als Schmuck noch spezieller ist.

Detlef im Element Pineta, Speicher der Bauern i glaub, i nimm en

Langsam geht es nun schon gegen Abend und das Licht wird wärmer und unsere Heimreise weiter durchs herbstlich dürre Hinterland, vorbei an zwei Stauseen und vielen weiteren Nuraghen. Hier finden die Bauern auch ein Auskommen mit dem Anbau von Artischocken. Die gut bewässerten Felder heben sich mit ihrem satten Grün von dem herbstlich dürren Gelb, der mit seinen Schafen bestückten Weiten kontrastreich ab.

trockenes Hinterland Artischocken

Am Schluss nochmals durch die Canonau Trauben und daheim reicht es vor dem Nachtessen gerade knapp, sich im Supermarkt vis-à-vis vom Hotel mit etwas Mineralwasser einzudecken. Die Verkäuferin hat zwar nicht Freude, dass ich die 48 Cents mit einer Fünfzigernote bezahlen will. Aber leider habe ich es wirklich nicht anders und so kann ich wenigstens die 50 cts, welche mir Eugen heute für den Nuraghe-Prospekt ausgelegt hat, wieder zurückgeben. Ich könnte ja sonst nicht mal schlafen.
Für Detlef ist jetzt Feierabend. Er hat seinen Job gemacht und kann heim nach Sassari. In Ajaccio werden wir dann wider einen Reiseleiter bekommen für die Korsische Etappe.
Am Morgen mussten wir wieder den Menüwunsch fürs Nachtessen ankreuzen und da haben wir zum Dessert Käse bestellt obwohl es gar nicht auf der Karte stand. Gespannt erwarten wir den letzten Gang und oh Wunder - wir sind die Einzigen, die mit einem Käseplättchen beglückt werden! Der Gast ist König!!! Oder ist ihnen etwa bekannt, dass Ursi ‚König' heisst?
Obwohl wir deshalb auch heute wiederum überaus satt sind, nehmen Marlis und ich die letzte Gelegenheit wahr, in die Stadt zu marschieren, um nochmals eine solch göttliche Creme Catalane zu essen. Wir finden die Trattoria sogar auf Anhieb - jedoch die Tür ist verrammelt. Ja nu, dann haben wir halt wenigstens einen Verdauungsspaziergang gemacht und den Grappa können wir auf dem Heimweg irgendwo nehmen. Irgendwo bietet sich schon auf dem Marktplatz an, wo wir uns an ein einladend herumstehendes Bistrotischchen setzen. Noch herrscht Scheiaweia auf dem Platz. In einer Ecke flimmert ein Bildschirm und eine Gruppe junger Leute verfolgt die Übertragung eines Matches. In der Nähe hat sich ein sardischer Künstler installiert, der verschiedene schwarz/weiss-Helgen anbietet. Für was braucht der dort eine Lötlampe? Neugierig gehe ich zu ihm hin und er demonstriert mir bereitwillig, wie er seine Bilder von Nuraghen und Olivenbäumen mit Naturfarben aus Myrthen und den dicken, fleischigen Schalen der Baumnüsse und Bodenwichse macht. Aus einer wolkigen Fläche von dunkler Farbe, arbeitet er mit einer Klinge flink die Konturen von Steinen, Baumstämmen, Ästen und andern Gegenstände heraus. Dann legt er auf einer freien Fläche eine Münze auf das Blatt und hält das Ganze über die Flamme des Bunsenbrenners. Rings um die Münze nimmt nun das Blatt wegen dem Wachs einen leicht bräunlichen Schimmer an, so dass das Ganze aussieht, wie eine von Nebeln verschleierte Sonne.
So werde ich stolze Besitzerin eines echt sardischen Bio-Gemäldes. An einem andern Tischchen feilt einer an etwas herum. Er macht Medaillons. Beim genauer Hinsehen entdeckt man, dass diese Anhänger alle aus Münzen gefertigt sind. Sogar eine ausgesägte Helvetia von einem Schweizer Zweifränkler, glänzt im Schein der Strassenlaternen auf einem schwarzen Samtbett. In einem Ordner hat er die verschiedensten Münzen. Er zeigt uns andere Schweizermünzen, sogar noch silbrige Fünfliber. Für die Helvetia will er 35 Euro, aber es war ja nett, dass wir mit ihm ein paar Worte wechseln konnten, sogar in allen Sprachen. Eigentlich hätte ich gerne noch die Helvetia fotografiert, aber ich habe den Mumm nicht gehabt, zu fragen. Marlis hat eine Idee. Sie hat eine kleine Münze, welche sie als Spezialanfertigung in einer Münzpräge-Werkstatt gemacht hat. Die will sie ihm als Talisman geben. Eine solche hat er nämlich garantiert nicht. Also gehen wir nochmals zurück und übergeben ihm feierlich ein kleines Geschenk aus der Schweiz. Er freut sich ganz offensichtlich und lässt sich bereitwillig zusammen mit der Spenderin fotografieren. Jetzt getraue ich mich auch zu fragen, ob ich die Helvetia auch so festhalten könne, was er mir gerne gestattet. Jedoch da scheitern alle Bemühungen. Das Blitzlicht überstrahlt und ohne Blitz kann ich den Apparat nicht ruhig genug halten.

der Talisman-Mann Helvetia-Medaillon Sardisches Bio-Gemälde aus Walnuss, Myrthe und Bodenwichse


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