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Am Morgen ist Markt, direkt vor dem Hotel und deshalb kann uns Werner nicht hier in
Empfang nehmen und wir müssen die Koffer ein Stück weit zum Bus
kärrelen. Ich habe jedenfalls vorher noch einige Sujet von Lonza und Coppa und
sogar korsischem Emmentaler eingefangen und Kardamom-Kapseln und eine
Myrthemischung für Fleischsauce gekauft. Jemand hat noch warme
Öpfelchüechliberlinerli gepostet und verteilt sie an alle, während
wir auf die neue Reiseleiterin warten. Marianne begleitet uns heute und morgen und
führt uns nun zuallererst durch Napoleons Geburtsstadt. Vorbei an den
Fischern, welche die Netze flicken, am Fischmarkt wo niemand ausser Marlis und mir
reinschaut und den grossen Schwertfisch sieht.
Man will uns die Kirche, wo Napoleon getauft wurde, zeigen, aber sie ist geschlossen. Also erzählt Marianne eine
Menge vor der Kirche und ich verpasse natürlich wieder wichtige historische
Abhandlungen, weil ich nämlich entdeckt habe, wie Arbeiter dran sind, auf die
Palmen zu steigen, um sie so schön zurechtzuschneiden. Mit
Atemschutzgeräten, Sicherungsgurten und Steigeisen rücken sie den unteren
vergammelten Blättern zu Leibe. Mit der Kettensäge formen sie nun den
Stamm zurecht. Oben, wo die letzten Palmwedel heruntergesägt und die
Ansätze noch nicht verholzt sind, lässt man einen dicken Wulst stehen.
Der wird das nächste Mal dann abgespeckt. Dann geht's zum Geburtshaus von
Napoleon. Napoleon hier und Napoleon da, dabei haben die Korsen ihn ja gehasst. Am
Place Foch stellt es sich heraus, dass meine Nachtaufnahme von gestern mitnichten
eine Frauen- oder gar Engelsgestalt darstellt, sondern einen marmornen Napoleon, in
einer römischen Toga mit Lorbeerkranz ums Haupt.
Also adé Ajaccio. Wir nehmen nicht das Haupttal, durch welches man quer
durch die Insel nach Bastia gelangt. Eine Schmalspurbahn fährt zweimal am Tag
diese Strecke und braucht für die 200 km etwa vier Stunden.
Erst überwinden wir den Berg, welcher den Golf von Ajaccio vom Golfe de Sagone
abtrennt, wo zur Abwechslung zu den steinigen Stränden auch mal ein Sandstrand
zu finden ist. Aber niemand nimmt hier den Strand in Beschlag. Es darf auch niemand
Strand besitzen. Ob Sand- oder Felsstrand, es ist für alle zugänglich.
Jedoch um diese Jahreszeit ist niemand da. Dort wo der Sandstrand am schönsten
wäre, hat letzte Woche ein Brand gewütet. Zum Glück sei endlich der
erste Regen gekommen und habe die Feuerwehr erfolgreich unterstützt.
In Cargèse weiss Werner eine speditive Wirtschaft, welche gut zurande kommt
mit einem Ansturm von vollen Cars. So macht es jedenfalls den Anschein. Aus einer
grossen Auswahl kann man bestellen und flugs wird man bedient. Am Schluss gibt's
als Überraschung und unbestellt einen Myrtenlikör. Gläser und
Flasche werden einfach auf den Tisch gestellt und man kann sich bedienen. Sogar
Käthy probiert! Wir müssen aber zum Dessert doch noch die ‚creme
brulé' kosten. Sie ist wirklich, wie wir vermutet haben, eine mit dem
Flammenwerfer gebrannte ‚Catalane'. Fast - nicht ganz so gut wie vorgestern,
dafür schwimmt ein gelbes Bibbeli auf einer Papierblume oben drauf.
Weiter geht's übers Bergland Richtung Porto. In der Ferne schleichen sich
weisse Wolken aus den Buchten Richtung Festland. Das Gestein wird langsam
rötlich und nach einer Felsbiegung könnte man meinen, sich plötzlich
in den Skulpturen des Price Canyon zu befinden. Wir sind in der Calanche angelangt.
Der orange/rötliche Granit präsentiert sich in den bizarrsten
Formationen. Wie schon auf Sardinien, erstaunt mich die Art der Verwitterung.
Über das Stichwort Calanche bin ich nun in Wikipedia auf Tafoni als die
unterschiedliche Art der Verwitterung im Gegensatz zum Karst gestossen, den ich
diesen Sommer auf der Wanderung kennen gelernt habe: Als Tafoni bezeichnet man eine
Verwitterungsform. Tafone ist ein korsisches Wort und heisst durchlöchert,
ausgehöhlt. Ihre Entstehung steht im Zusammenhang mit der Bergfeuchte im
Gestein: Sickerwasser im Gestein verdunstet und setzt seine Lösungsfracht an
der Oberfläche ab. Nach und nach zersetzt sich der Stein von innen nach aussen
und es bilden sich kugel- bis nierenförmige Hohlräume im Gestein.
Wir dürfen aussteigen und einen Kilometer zu Fuss gehen. Wie in der
Neptunhöhle geht auch hier die Phantasie mit einem durch. Sass gestern noch
ein Löwe auf einem Berg, heute sind da Bischöfe und Beichtväter,
Herzen, Monster und was immer man sich ausdenken mag und warten darauf, von mir
fotografiert zu werden.
Bald sind wir unten in Porto und wenden uns dem Landesinneren zu. Eine schmale,
kurvenreiche Strasse windet sich immer höher hinauf, der Blick fällt
immer tiefer hinab in die Spelunkenschlucht. Da sind gute Nerven angesagt vor allem
für den Chauffeur. Enge Brücklein und Abhänge, welche einen das
Fürchten lehren. Zum Glück hat es fast keinen Verkehr. Kreuzen
könnte man vielleicht dort wo die Strasse in engen Kurven den Abhang wechselt.
Schmale Steinbrücken führen zwar hinüber, es fordert jedoch das
Gespür des Könners heraus, dass man genügend ausholt und dann im
richtigen Winkel, ohne seitlich die Steinmauer zu touchieren, passieren kann.
Werner erntet nicht nur einmal Applaus.
Bald sind wir von bizarrem Gebirge rundum umgeben. Eine wild romantische Gegend. Es
gibt hier sehr viele Kastanienbäume, von denen aber auch viele krank sind und
die ihre dürren Äste wie Spinnenbeine in die Luft strecken. Immer wieder
huschen Schweine oder Ziegen von der Strasse weg. Auch Rinder laufen überall
frei herum. Dank den Eicheln und Marronis fühlen sich die Wildschweine hier
sauwohl und man sieht Schweine in allen Variationen, da sich Wildschweine immer
mehr mit den freilebenden Hausschweinen kreuzen.
An einem Aussichtspunkt gibt's einen Fotostopp, wo es allerdings soviel Gegenlicht
hat, dass man nicht fötelen kann. Dafür stinkt es nach Kadaver. Bestimmt
ist irgend so eine dumme Kuh den Abgrund hinunter gestürzt und rottet jetzt
vor sich hin.
Nach Evisa, einem regelrechten Bergdorf, beginnt der Wald von Aïtone.
Schwarzkiefern mit wunderschön geraden Stämmen, aus welchen man Masten
für die Schiffe herstellte. Dann sind wir den Spelunken entronnen und vom Col
de Vergio, mit seiner überlebensgrossen Christusstatue, können wir auf
die andere Seite hinunter ins Niolo auf den Stausee sehen. Dort bei Calacuccia
gibt's Kaffeestopp und Marlis will ein Pietra, das korsische Kastanienbier
probieren. Leider ist das Fass gerade leer und so wird halt der Rest des Glases mit
normalem Bier aufgefüllt. Man hat auch den Krämerladen heimgesucht und es
wird berichtet, dass das Kastanienmehl sehr teuer sei, etwa 7 Euro.
Hier beginnt nach der tiefsten Schlucht, die wir vorhin durchfahren haben, die
wildeste auf Korsika, die Scala di Santa Regina. Eigentlich heisst das Treppe, es
ist aber schon eine Strasse. Zwar wahnsinnig eng und kurvenreich, eingehauen in
einer Felslandschaft, ob welcher ich wieder ausflippe. Ein Auto kommt uns entgegen.
Das Mami am Steuer hat Angst und Werner Geduld. Ich möchte jedenfalls nicht
mit ihr tauschen.
Endlich hat man die Berge wieder etwas hinter sich und kommt für ein
Stück auf die Hauptverbindungsstrasse von Ajaccio nach Bastia. Die Berge
werden flacher und im Abendlicht beginnt sich mit sanften Abstufungen Kette hinter
Kette zu verschieben. Olivenhaine wechseln mit Kulturland, Reben und Macchia ab.
Man wird müde und sehnt sich nach dem Ziel. Balagne heisst dieses
nördliche Gebiet der Insel und es heisst, dass sie die heiterste Landschaft
und die schönsten Dörfer Korsikas habe. Bei Lozaru sieht man wieder das
Meer und bald darauf, in der gleissenden Abendsonne, den Leuchtturm auf dem Felsen
bei l'Ile Rousse und unser Hotel direkt darunter, draussen auf der Insel beim
Fährhafen. Il Rousse ist auch ein Touristenziel und Badeort für Ferien,
aber bei weitem nichts was ich kenne von solchen Orten. Bescheiden und
gemütlich sieht's aus. Vielleicht haben sie ja ihre Souvenirshops nur
eingepackt, weil jetzt die Saison so ziemlich vorbei ist? Über eine Mole
gelangen wir in unser Hotel, und wir bekommen ein Zimmer, von dessen Balkon man
direkt ins Meer spucken kann. Ich habe gar keine Zeit das schöne Hotel
gebührend zu würdigen. Die Sonne ist am Untergehen und ich schmeisse
alles hin und verschwinde mit dem Foto auf den Felsen hinter dem Haus. Ich komme
gerade noch rechtzeitig zum Schauspiel, wie die Sonne im Meer versinkt. Die
Fähre, welche gerade neben dem Hotel am langen Pier lag, läuft aus und
langsam wird's dunkel, Zeit fürs Nachtessen.
Heute ist schon die letzte Übernachtung auf der Insel und man scheint sich
Mühe geben zu wollen, dass man die Ferien in allerbesten Erinnerung
behält. Am Hotel ist wirklich nichts auszusetzen. Auch das Nachtessen ist echt
Spitze. Für Edith zwar, stinkt halt auch die Lachsvorspeise zu fest nach
Fisch. Wenn sie nur nicht so gnüegele würde. Aber ich finde sie so gut,
dass ich nicht widerstehen kann und Edith meinen leeren Teller reiche und auch noch
die Hälfte der ihrigen vertilge. Marlis und Ursi helfen mir mit dem Rest. Am
Schluss müssen wir doch noch einen Verdauungsspaziergang machen und schauen im
Hafen den Fischern zu, wie sie ihre gefangenen Fische aus dem Netz schälen und
sich den lauernden Katzen erwehren müssen.
Zuhause noch einen letzten Schlummerbecher. Ein reines Pietra diesmal und einen
Grappa. Wenn jemand meint, ich könne nun ein Urteil über Kastanienbier
abgeben - tut mir leid, vielleicht schmeckt dieses nicht ganz so bitter. Eigentlich
habe ich Bier gar nicht so gern, aber sein Hopfen hilft mir eventuell beim
Einschlafen. Dabei wäre die Einschlafhilfe heute gar nicht so nötig. Das
leise Plätschern des Meeres direkt unter dem Fenster beruhigt viel mehr.
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