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Auch heute kommen wir mit drei Stunden Verspätung in Würzburg an. Ich
habe schlecht geschlafen und immer wenn ich wach war, stand eine Schleusenwand vor
dem Fenster. Einmal war es ein Scheppern, das mich weckte und als ich meine
Wundernase füttern musste, sah ich wie Männer allerlei Gerümpel, wie
leer Flaschen und Dosen etc. in grossen Plastiksäcken zum Entsorgen vom Schiff
wegschafften.
Während dem Morgenessen legten wir nun in Würzburg an und schon fahren
die Shuttlebusse vor, die uns zur Stadtbesichtigung abholen kommen. ‚Altstadt
und Bischöfliche Residenz' steht für den Vormittag auf dem Programm. Es
ist ja noch früh und die Residenz, öffnet erst um 9, also führt uns
unser Guide, ein junger Student mit viel spontanem Humor zuerst mal Richtung
Altstadt, zum Rathaus, natürlich vorbei am Dom. Er führt uns in ein
lauschiges Gärtchen in einem Kreuzgang, wo man die Grabstädte des Walther
von der Vogelweide bestaunen kann. Sollte man wissen, dass es ein Minnesänger
oder Dichter war? Vielleicht eher wegen seinem Namen kommen nicht nur Verliebte
heute noch hier vorbei, man legt eher weniger Vogelfutter in die dafür
vorgesehenen Vertiefungen als frische Blumen auf seinen Stein und hofft auf
Linderung von Liebeskummer oder -kümmernissen. Auch von der am Dom angebauten
Grabeskapelle sollen Wunder ausgehen. Man hat von hier den direkten Blick auf das
Herrschaftshaus, wo der Bischof schon seit zweihundert Jahren wohnt. Ich kann
natürlich nicht verkneifen, unserm aufgeweckten Führer meine
ehrfürchtige Bewunderung auszusprechen. Sicher hat das hohe Alter des Bischofs
mit den Wundern aus der Grabeskapelle zu tun. Man stelle sich vor - mehr als
zweihundertjährig!
Um 9 Uhr kommen wir nun bereits zur Residenz des fürstbischöflichen
Domizils zurück, wo man ein Auge voll von all dem Prunk mitnehmen kann, nur
nicht auf dem Chip! Die gewaltigen Fresken im Treppenhaus brächte man ja
sowieso nicht drauf. Das Spiegelkabinett macht wohl am meisten Eindruck. Kurz vor
Ende des Krieges wurden grosse Teile dieses Palasts zerstört und durch einen
Brand schmolzen Gold und Scheiben dahin. Man hatte die Spiegel nicht zur Sicherheit
entfernen können. Eine einzige Scherbe hat überlebt, nach welcher man die
Techniken zum Verzieren der Glasscheiben neu entdeckte und erlernte und an der man
vergleichen konnte. Man brauchte Jahre und mehr als zwei Kilogramm Blattgold
für die neuen Stuckaturen. Jetzt strahlt wieder alles in Gold.
Sitz von kirchlichen Oberhäuptern - Würzburg als Sitz vom
Fürstbischof und sonstigen Domherren und man hört, dass im 17.
Jahrhundert in Würzburg pro Jahr bis zu dreihundert Hexen verbrannt wurden,
Hexen beiderlei Geschlechts, aus allen Altersgruppen und aus allen
gesellschaftlichen Schichten. Und abermals, es sind nicht mal hundert Jahre her,
spielte Würzburg ebenfalls eine wichtige Rolle bei der sogenannte
Euthanasie-Aktion bei der mehr als 100'000 Psychiatrie-Patienten und behinderte
Menschen durch SS-Ärzte und -Pflegekräfte systematisch ermordet wurden.
Zwar diesmal kein Kirchenoberhaupt, aber ein Professor für Psychiatrie und
Neurologie an der Universität Würzburg war Obergutachter und hatte
grossen Einfluss über die "Euthanasie"-Zentrale und die "Vernichtung
lebensunwerten Lebens".
Noch ganz erschlagen ob all dem Gesehenen und Erfahrenen, bleibt uns noch etwas
Zeit, um ein bisschen im Hofgarten mit seinen Sandsteinfiguren und schmiedeeisernen
Toren zu lustwandeln, bevor uns der Shuttle wieder abholt, damit wir rechtzeitig
zum Mittagessen erscheinen können.
Roter Knurrhahn steht auf dem Menüplan. Wie hiess jetzt wieder dieser
kastrierte Güggel dort an dem historischen Dinner in Salzburg? Ich mag mich
nicht erinnern, nur noch, dass es halt eben eine Pouletbrust war und solches reizt
mich im Moment nicht. Leider hat es heute keinen Fisch zur Auswahl, also bestelle
ich mir halt das Vegetarische. Ruedi und Ruth haben aber Lust, bekommen jedoch
statt Güggel einen Fisch. René, der als Einziger gewusst hätte,
dass der rote Knurrhahn ein Fisch ist, hat gemeint, wir würden mit dem
Güggel Sprüche machen, sonst hätte er uns ja schon aufklären
können. Also in Zukunft nicht unbedingt Kapaun, aber doch mal einen roten
Knurrhahn, nur damit er auch probiert wäre. Dafür reserviere ich mir
für heute Abend zum Chef Dinner das rosa gebratene Lammcarree mit Ratatouille
und Kartoffelgratin.
Die Schraube macht Sorgen und es wird eine Menge organisiert. Viele schiffen hier in Würzburg aus, weil ihre Ferien zu Ende sind, neue werden ankommen. Diese müssen dann bereits um drei Uhr mit dem Schiff abfahren, zurück nach Karlstadt, während alle, die das Ausflugspaket gebucht haben, bald nach dem Essen vom Bus abgeholt werden. Man wird immer vor jedem Landgang daran erinnert, das Audio-Set mitzunehmen. Nur heute nützt es uns nicht viel, denn wie man bei Ankunft in Rothenburg ob der Tauber konstatiert, stecken die roten Sendergeräte noch bei Ursula auf dem Schiff in der Ladestation. Für die Gruppe, der wir zugeteilt sind, ist das aber weiter nicht schlimm, unser Leiter hat ein Organ, das in nichts hinter seinem Umfang zurücksteht. Vielleicht weil ich mich nun dafür in die Nähe der Informationen heranpirschen will, achte ich wieder mal nicht wohin ich trete und strauchle über einen Randstein. Die reflexartigen Bestrebungen, mich aufzufangen, nützen nichts, ich purzle rücklings neben einem Baum in ein Dornengestrüpp, welches mich wenigsten etwas federnd auffängt. Allein der Gedanke, es könnte es jemand gesehen haben, bringt mich noch schneller als ich gefallen bin, wieder auf die Beine. Aber natürlich haben es alle gesehen und auch Daniel, der Führer will helfend herbeieilen. Doch er meint, so schnell, wie ich wieder aufgestanden sei, habe es mir wohl nichts gemacht. Tatsächlich spüre ich überhaupt nichts, jedoch eine Frau meint, sie habe es gerade beobachtet und warnt mich, dass das vielleicht morgen dann komme. (Tatsächlich spüre ich erst 24 Stunden später vorn auf dem Brustkorb eine Rippe, die nicht so tut wie sonst, irgendwie gestaucht und das noch während drei Wochen). Mit Daniel, der fast breiter als lang ist, haben wir einen kurzweiligen Stadtführer, fast wie damals, als ich bei meinem letzten Besuch hier mit dem Nachtwächter auf seinem Rundgang war. Auch er zeigt uns das Einmannloch im Nachttor und unwillkürlich muss man den Vergleich anstellen und bedauernd konstatieren, dass Daniel im Mittelalter wohl keine Chance gehabt hätte, bei allzu später Stunde noch in die Stadt zu gelangen. Er würde mit Sicherheit stecken bleiben. Nach getaner Arbeit überlässt uns Daniel noch etwas unserem Schicksal. Das Plönlein haben wir noch nicht gesehen und so spaziere ich mit René noch die Schmiedgasse hinunter und lassen uns im Café Diller drei Original-Schneeballträume einpacken, eine "mit Zimt Zucker", eine "Kokos-Milchschoggi" und eine "mit Marzipan-Schoggi". Dann suchen wir uns noch einen Aufgang auf die Stadtmauer von wegen Überblick.
Beim Warten auf den Bus probieren wir auf verschiedene Arten, einem dieser
Schneebälle zu Leibe zu rücken. Erst jetzt beim Kosten kommt mir wieder
in den Sinn, dass ich das letzte Mal zum Schluss gekommen bin, dass um diese
"Leckerei" zuviel Tamtam gemacht würde und ich eigentlich keine mehr
hätte kaufen müssen.
In Würzburg haben wir noch ein Stündchen Aufenthalt, Zeit um auf der
alten Mainbrücke einen schönen Nepomuck und an einer Fassade einen
Mosaik-Christophorus zu entdecken. Inzwischen sind nun auch die neuen Passagiere
angekommen, welche zuerst noch den Stadrundgang gemacht haben und zusammen fahren
wir nun mit dem Bus weiter nach Karlstadt, wo wir hoffen, unser vorausgefahrenes
Schiff wieder entern zu können. Gerade erst biegt es um die letzte
Flussbiegung und mit einigen Kapriolen kann auch der Landesteg mit dem Kran an Land
gesetzt werden. Es ist schon eine seltene Gelegenheit, dass man das Schiff
daherkommen sieht, auf welchem man eigentlich hätte sein sollen. Aber gut,
haben sie diesen Vorsprung nützen können, denn bis morgen müssen wir
nicht wie vorgesehen bis Wertheim, sondern bis Wörth in die Werft kommen. Das
sind statt hundert sogar 150 Kilometer und dies mit kaputtem Motor! Wenigstens
geht's nun wieder Main abwärts. Würzburg war zwar nicht der Scheitelpunkt
auf dem Wasserweg Rhein-Main-Donau, dieser liegt weiter als Bamberg und
Nürnberg auf 406 Metern im fränkischen Jura und von Würzburg aus
müssen noch gut 250 Höhenmeter in Schleusen mit bis zu 25 Metern
Hubhöhe überwunden werden.
Nun können wir uns aber wieder verwöhnen lassen. Seit Mittag konnten wir uns ja auf's Chef-Dinner freuen. Mir schmeckt das Carpaccio vom argentinischen Weiderind und die Lammkotlettchen ausgezeichnet und für René kommt als Vorspeise auch ungefragt was Vegetarisches. Nur sein warmes Küchlein von Callebaut Schokolade mit Kirschen und Erdbeer-Eis. muss ich mit ihm teilen - er das Eis und ich sein Schoggichöpfli auch noch. Dafür gibt's heute zum Schluss noch einen Marillen.
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