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Nun sehen wir doch noch die Lichter und die Skyline von Frankfurt, oder wie man
auch sagt Mainhattan. Diesmal aber bei erwachendem Tag. Es heisst beizeiten zum
Frühstück erscheinen, auf dass wir um halb acht mit Audioset bereit sind,
von den Führern zum Stadtrundgang abgeholt zu werden.
Zu Fuss ist es vom Landesteg nicht so weit und solange wir dem Mainufer entlang an
mit Kranen bestückten Baustellen vorbei marschieren, werden uns sicher 10
Museen auf der anderen Flussseite aufgezählt, die wir uns, vielleicht bei
unserem nächsten Frankfurtbesuch ansehen könnten. Und schon sind wir auf
dem Römerberg angekommen, wohl dem Vorzeigeplatz in Frankfurt. Das Rathaus mit
seinen drei Treppengiebelfassaden, der gegenüberliegenden, in den Achtzigern
wiederaufgebauten modernen Häuserzeile mit originalgetreuer historischer
Fachwerkfassade, dahinter der Dom und in der Mitte des Platzes der
Gerechtigkeitsbrunnen, geben schon ein paar Sujet her. Auf dass man beweisen kann,
dass man da war, befestigt man sein Handy an einer Teleskopstange und kann so ein
Selfie heim nach Tokyo mmslen.
Nachdenklich stimmt das bronzene Mahnmal am Boden, welches an die
Bücherverbrennung im Mai und Juni 1933 im nationalsozialistischen Deutschland
erinnert. Dass Heinrich Heine bereits 1820 seinen prophetischen Ausspruch gemacht
hat: "Das war ein Vorspiel nur, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende
auch Menschen", macht Hühnerhaut.
Überall Baustellen. Auf riesigen Fotos sieht man, was nach der Zerstörung
vom Krieg noch übrig geblieben ist und wie man dies nun wieder am Aufbauen
ist, so wie es einst war, denn alles war ja dem Erdboden gleichgemacht. Manchmal
wurden ganze Häuserzeilen wieder aufgebaut, aber doch nicht mehr gleich. Eng
zusammengebaut wie früher, aber jedes in seinem eigenen, modernen Stil. Auch
hier gibt es auf dem Trottoir Stolpersteine. Bonzene Bsetzisteine mit den Namen von
Menschen, die man hier aus ihren Häusern geholt und deportiert hat. Indem man
ihre Namen liest, verneigt man sich still vor ihnen.
Nun werden wir noch durch ein supermodernes Einkaufszenter geschleust. Zwar eigentlich eher wie eine moderne Markthalle mit Ständen mit viel frischem Gemüse, Fleisch und Wurstwaren und einfach, was so auf einem Markt geboten werden kann. My Zeil heisst es da und ich könnte mich hier noch lange genüsslich mit nur Schauen und Staunen vertun. Aber ich muss schauen, dass ich die Stimme des Führers in meinem Ohr nicht verliere. Wieder draussen sind wir den Glasfassaden und Hochhäusern wieder näher und freiwillig könnte man von hier noch auf den Tower, um die ganze Aussicht über die Stadt zu geniessen. Aber jemand sollte aufs WC und so führt man uns in ein Museum, aber nur in den Kreuzgang im Hof, wo eigentlich grosse Wandmalereien und Fresken zu bewundern wären. Nach der Erleichterung sind wir nun aber mit Verdacht entlassen, sofern man nicht wieder mit dem Führer zurück zum Schiff geht, wo er seinen Sender noch abgeben muss. René hat sich schon bei der letzten Kirche ausgeklinkt und ist wohl auf eigene Faust noch ein bisschen nach Fotosujets aus. Ich habe noch eine Postkarte erstanden und weil heute wirklich die letzte Gelegenheit ist, sie mit der Deutschen Marke, die mir René auf der Post geholt hat, auch noch wegzuschicken, will ich sie noch schreiben. Aber natürlich habe ich jetzt wieder die Liste mit den Adressen nicht bei mir. Also rase ich halt hinunter zum Schiff und dann nochmals hinauf in die Stadt, um einen Briefkasten zu finden. Ich schaffe das jedenfalls noch spielend und sogar mehr als eine Viertelstunde bevor es heute wieder Leinen los heisst.
Immerhin hat man das Oberdeck wieder hergerichtet, so dass man nun doch noch den Nachmittag an der Sonne geniessen kann. Unter der Sindlinger Schrägseilbrücke hindurch gibt's so natürlich auch bessere Perspektiven für ein Foto. Chemiewerke und andere Industrie ist hier wieder nahe am Fluss angesiedelt und über unsere Köpfe hinweg leiten die Flugzeuge die Landung auf dem Frankfurter Flughafen ein. Im Abstand von nicht mal 5 Minuten setzen Jumbo um Jumbo auf der nicht mal einen Kilometer entfernten Landepiste auf. Während diesem Schauspiel manövriert unser Schiff durch die Staustufe Eddersheim. Es ist eine etwas andere Schleuse. Wir sind in einen langen Seitenkanal gefahren. In einem kurzen Abstand folgt uns ein Lastschiff. Noch bevor dieses ganz im Schleusenkanal ist, geht hinter unserem Schiff ein Schleusentor zu und wir beginnen zu sinken. Über die Staustufe drüben fällt plötzlich viel mehr Wasser und sobald sich das Tor hinter dem Lastschiff auch noch geschlossen hat, muss das Wasser nun alles drüben über die Staustufe und jetzt rauscht und tost es über die ganze Breite der Wassersperre dort drüben. Noch ganz fasziniert über das Schauspiel, winkt mir ein Matrose unserer Besatzung zu und deutet nach vorn. Die nächste Brücke ist fällig und vor dieser hat man sich zu verneigen, will man keine Beule am Kopf. Wir begreifen nun, dass da nicht jeder Kapitän diese Verantwortung übernehmen will und deshalb ist offiziell auf dem Main oder immerhin zwischen Frankfurt und Würzburg das Oberdeck nicht zugänglich.
Nun passieren wir noch Flörsheim und Kostheim und schon sind wir wieder bei Mainz beim Kilometer 00 des Mains angekommen und schippern von nun an wieder Rhein aufwärts, hinter uns zwei schöne, weiss schäumende Streifen herziehend. Hätte es in Wörth nicht so gut geklappt, wäre unsere Reise mit dem Schiff wohl spätestens hier zu Ende gewesen.
Als Spektakel nach dem Nachtessen ist heute Crewshow angesagt. Die armen Kerle, sie
müssen. Im roten Schweizerkreuz-T-Shirt hat jeder von der Belegschaft
irgendeinen Gag einstudiert zwecks Animation. Da kommen Tarzan, spärlich oder
vielmehr nur mit einer Kartonschachtel bekleidet und Otto. Einige wissen, aus
Frottiertüchern lustige Figuren zusammenzuknüllen. Die Einen machen's
für den oberen Salon, die andern für den unteren. Nur von unserem
Eckenplätzchen aus kann ich von beidem fast nichts sehen und die Fotos
gelingen auch nicht. Den Song von Walther kann man immerhin übers Mikrofon
hören. Septian, der Barkeeper soll sich im Flaschenjounglieren geübt
haben und Vanessa erzählt eine Geschichte.
Ein paar Stühle vom oberen zum unteren Salon verteilt, markieren eine Kutsche.
Freiwillige müssen mithelfen und jeder bekommt eine Statistenrolle zugeteilt.
Da ist die Königin, die jedes Mal, wenn das Wort Königin fällt,
graziös königlich mit der Hand winken muss, während das linke Rad
der Kutsche aufstehen und einmal um seinen Stuhl herum kreisen muss, dasselbe
fürs rechte Rad, die Pferde etc. und natürlich der Kutscher. Die
Geschichte erzählt eine abenteuerliche Kutschenfahrt mit dem Königspaar
und da die Königin oft und viele Befehle zum Kutscher hinüber ruft, muss
dieser natürlich dauernd um seinen Stuhl kreisen. Vanessa hat im Lauf unserer
Reise insgeheim schon einen geeigneten Gast für diese Rolle ins Visier genommen
und der macht es nun auch mit Bravour. Von nun an kennt man ihn auf dem ganzen
Schiff nur noch als Kutscher. Eine andere Gruppe inszeniert die Glocken von Rom.
Ehrwürdig zur Musik marschieren sie im Morgenrock bekleidet daher. Beim Klang
der Glocke von Rom bringt eine kleine Verbeugung einen Mechanismus in Gang, bei
welchem sich der Morgenmantel vorn öffnet, eine grosse Suppenkelle aus einer
Armeeküche im Schwung von unten nach oben auf eine umgekehrte metallene
Teigschüssel anschlägt und so unter den Dahinschreitenden das reinste
Glockengeläute ausgelöst wird. Schade, auch hier keine brauchbare Foto in
meiner Ausbeute. Bei Country Roads, bei dem alle müssen, helfe ich auch noch
mit, aber bevor zum Schluss die Polonaise bei uns ankommen kann, haben wir bereits
das Weite gesucht.
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