Donnerstag, 10. Januar 2008
|
Wir sind heute recht früh startklar. Schon um 7.30 Uhr beginnen wir mit
unserer Buchtenfahrt, denn wir haben uns entschlossen, die Strasse wiederum der
Küste entlang und damit eine 6-Stunden-Fahrt in Kauf zu nehmen. Dafür
werden wir mit traumhaften Landschaften belohnt. In vielen Kurven schlängelt
sich die Strasse dem Meer entlang. Mal direkt am Wasser, mal hoch oben über
den Klippen, wo man einmal sogar White Island sehen kann. Whituare Bay, Whitianga
Bay, Waihau Bay - alles Namen in der Maori-Sprache. Eigentlich haben nur die
grossen Städte die Englischen Namen von den Siedlern bekommen. Oder das Cape
Runaway, welchem James Cook diesen Namen gab, weil die Kriegskanus der Maori so auf
Gewehrsalven reagierten. Oder die Slow Vehicle Bay, die muss wohl noch ziemlich
gross sein, denn ich habe jetzt schon zwei oder drei Wegweiser gesehen. Vergeblich
suche ich danach auf meiner gescheiten Karte, bis ich Renés befremdenden
Seitenblick registriere. So werden nämlich die Ausweichstellen zum
Überholen langsamer Fahrzeuge bezeichnet. Auch die One Lane Bridges sind eine
Neuseeländische Spezialität. Da sparen sie mit dem Brückenbau und
die Fahrbahn wird einfach auf eine Spur verengt. Auf der nicht
vortrittsberechtigten Seite ist eine weisse Stopplinie auf den Boden gemalt.
Manchmal wird man sogar mit einem "keep left" beim Weiterfahren an den Linksverkehr
erinnert. Viel Gegenverkehr herrscht jedenfalls heute nicht. Die ganze Halbinsel
ist sehr dünn besiedelt und mit Wald, davon auch grossen
Naturschutzwäldern bedeckt. Ortschaften verraten sich höchstens manchmal
an einem einzigen Haus, an welchem "Raukokore School" oder "Tokata Hall" oder
"Rotokautuku Store" angeschrieben ist.
Hier wirbt ein Café für Ice-Cream, Espresso und Honig. Da muss man
gerade reagieren, denn ein Cappuccino ist schon lange fällig. Über einer
malerischen Bucht in einem paradiesischen Garten, wo es statt Kies auf den Weglein,
alles Macadamia-Schalen hat, können wir unsern Gluscht stillen. Wir sind in
einer Macadamia Farm gelandet, und probieren natürlich auch gerade eine
Tüte von diesen Nüssen, welche an der Theke variantenreich angeboten
werden.
Um die Mittagszeit haben wir Te Araroa erreicht. Von hier führt eine
Nebenstrasse zum Leuchtturm am East Cap, dem östlichsten Zipfel von
Neuseeland. Ein Blick von dort über die Datumsgrenze ist dieser Abstecher von
20 km sicher wert. Es ist ja so schönes Wetter geworden. Die ungeteerte,
schmale Strasse führt ganz dem Meer entlang. Ein einsamer Strand, mit glatten,
flachen Felsplatten belegt, könnte einen fast zu einem Bad verleiten, aber
schauen ist doch noch schöner. Dürfen wir eigentlich auf ungeteerten
Strassen fahren? In den Richtlinien betreffend des Mietautos sind verschiedene
Strassen aufgeführt, welche man nicht nehmen darf, auch Strand- und
Schotterpisten seien verboten. East Cap ist jedenfalls nicht dabei und ich glaube
nicht, dass man diese ungeteerte Strasse als Schotterpiste bezeichnen kann.
Irgendwo in der Nähe eines Farmhauses endet die Strasse einfach. Von hier
steigt ein kleiner Pfad bergan und der Blick nach gestern, oben beim Leuchtturm,
muss mit 600 Stufen erarbeitet werden. Der Blick ist atemberaubend, vor allem aber
wegen dem Wind. Er heult in den Stäben des Balkons vom Lighthouse, welches
hier von der 150 Meter hohen Klippe sein Blinklicht vollautomatisch über 35
Kilometer auf den Pazifik hinausscheinen lässt. Heute braucht man keine
Leuchtturmwärter mehr. Auf einem Längengrad von 178°33' Ost befinden
wir uns auf dem alleräussersten Zipfel des Landes. Anderthalb lumpige Grad
weiter draussen im Meer, und wir wären von Gestern! Die Tafel, wo alles so
genau draufsteht, lesen wir mit einem gewissen feierlichen oder vielleicht
ehrfürchtigen Gefühl.
Bei der Retourfahrt halten wir an der schönsten Stelle für ein Foto von
der Klippe mitsamt dem Leuchtturm. Nur schnell, denn die Strasse ist hier wirklich
sehr eng. Die Warnung von René erreicht mich für den Bruchteil einer
Sekunde zu spät, eine heftige Böe reisst mir die Tür gewaltvoll aus
der Hand. So galant hätte ich es nicht gewollt. Beim Scharnier ist jetzt der
sogar dreifach gefalzte Abschluss mit einer Beule nach aussen verziert. Gerade so,
dass es beim Öffnen und Schliessen kratzt und quietscht. Die 350$ Selbstbehalt
sind also futsch. Das schöne Auteli! Deswegen lasse ich mir aber jetzt den Tag
nicht versauern. Futsch ist futsch.
Zurück bei Te Araroa halte ich Ausschau nach "Te Waha-o-Rerekohu", dem
grössten Pohutukawa oder Eisenholzbaum, wie er rot als Sehenswürdigkeit
in meiner Karte eingetragen ist. Ehrwürdig und mächtig steht er mit
weitausladenden Ästen direkt an der Strasse. Er muss schon über 350 Jahre
alt sein und Namen vieler Generationen werden mit dem Namen des Baumes auf einer
Gedenktafel in Verbindung gebracht. Prachtvoll muss er aussehen, wenn er um die
Weihnachtszeit über und über mit seinen purpurroten Blüten bedeckt
ist!
Auf der Weiterfahrt verdüstert sich das Blau des Himmels wieder und bald sieht
es regnerisch aus. In der Nähe von Tikitiki begleitet die Strasse ein gutes
Stück das breite Flussbett des mäandrierenden Waiapu Rivers. Der Wind hat
in keiner Weise nachgelassen. Jetzt jagt er durch die Gegend und wirbelt Sand und
Staub zu regelrechten Windhosen auf. Wir kommen uns fast vor, wie auf einer
Wüstenfahrt. Fast kein Verkehr weit und breit. Es reizt mich jetzt doch, mal
ein bisschen das Fahren auszuprobieren. Ist das Auto schon futsch, spielt es auch
keine Rolle mehr. Nach einem Angstgebet zum Himmel kann's los gehen. Kurven fahren
konnte ich noch nie, auch auf der linken Seite geht's nicht besser. Aber wenigstens
muss man nicht schalten, was mir bei meiner notorischen Schaltfaulheit richtig
entgegen kommt. Dafür ist jetzt René dran, das Gefühl auszukosten,
dass der linke Strassenrand einfach viel zu nah am Auto vorbeischrammt. Lange vor
Gisborne übergebe ich wieder, es könnte ja sein, dass Verkehr aufkommt...
Wir erreichen gegen halb sechs Gisborne bei diesigem, kühlen Wetter. Das
Zimmer im Emerald Hotel ist eine Wucht. Der reinste Tanzsaal und ein grosses
Badezimmer. Das Auto nimmt wieder der Valet in Empfang und versorgt es irgendwohin.
Als Erstes gibt's einen Inspektionsrundgang durch die nähere Umgebung. Direkt
an unserem Hotel vorbei fliesst Neuseelands kürzester Fluss. Der Turanganui
River, welcher ganze 1200 Meter lang sei. Gisborn ist ein kleines Städtchen
und wenn man zehn Minuten der Hauptstrasse entlangflaniert ist, hat man es gesehen.
Allerdings hat dieser Spaziergang einen makaberen Reiz. Am 23. Dezember, also noch
keine drei Wochen ist es her, dass Gisborne von einem Erdbeben der Stärke 6.8
erschüttert worden ist und dabei etwa drei Häuser eingestürzt sind.
Bei verschiedenen Gebäuden ist die Passage auf dem Trottoir mit massiven
Abschrankungen gesperrt. Risse und Beschädigungen an den Fassaden sind noch
gut sichtbar. Es gibt, oder vielmehr gab ein Bernina-Nähzenter. Auch hier
grosse Abschrankungen. Der Blick durch die Ladentür ist skurril. Man sieht im
Innern des Ladens den Himmel. Teile des Sortiments an Wolle sind hinter der
Schaufensterscheibe unter einer Blache aufgetürmt und Schubkarren stehen im
Viereck des ehemaligen Ladens umher. Auch unser Hotel hat was mit abbekommen. Ein
Gerüst musste an der Ostseite angebracht werden und im obersten Stock ist eine
Etage mit Brettern vernagelt. Auch im Innern blättert noch immer Putz ab und
im Treppenhaus hat es mehrere feine Risse in der Mauer.
Nachdem wir auf unserem Spaziergang vergeblich nach einer
Verpflegungsmöglichkeit Ausschau gehalten haben, kommen wir überein, dass
die Notfallvariante in Kraft zu setzen sei und geniessen unser schönes,
grosses Zimmer bei heiss überbrühten Maggi Supernoodels.
Donnerstag, 10. Januar 2008
|