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Gestern, kurz vor dem Nachtessen ist nun auch Ruth, eine Freundin von Esti,
eingetroffen. Sie war auf der Glattalp auch mit dabei, aber sie konnte sich im
Geschäft nicht früher loseisen. So ist unsere Gruppe mit 14 aufgestellten
WandererInnen, welche unten in Selma auf das 8Uhr 39 Postauto warten, heute rech
stattlich. Auch das Wetter ist wieder sagenhaft. Zum Ausgangspunkt in Santa Maria
kommen alle mit, um mindestens die Kirche und den fünfeckigen Turm zu
beschauen. Margrit, welcher der gestrige Aufstieg nun doch mehr als erwartet zu
schaffen gemacht hat, will lieber mit dem Posti wieder zurück und von Arvigo
mit dem Seilbähnli nach Braggio und uns dort im Lauf des Nachmittags wieder
erwarten. Auch Lykke-Lise schliesst sich ihr gerne an.
Santa Maria liegt am Ausgang des Calancatals auf fast 1000 Metern zusammen mit
Castaneda hoch oben auf einer Sonnenterrasse mit Blick bis Bellinzona und weit
hinauf ins Misox. Ein Blick in die Barockkirche, ist ein Leckerbissen für
sich. Sie hat eine prächtige Kassettendecke und eine hervorragende Akustik.
Man könnte jedenfalls meinen, unser Dona Nobis Pacem werde von einem
riesengrossen Chor gesungen.
Nachdem wir vom fünfeckigen Turm auch noch einen Blick hinunter auf den Kirchturm und die sonstige weite Welt getan haben, geht's los. Die ersten 200 Höhenmeter schaffen Marie-Louise und Esther spielend in einem eilends organisierten Freundschafts-Taxi, wir andern schwitzen schon die ersten Liter in der warmen Sonne heraus. Es lohnt sich, denn bald sind wir in Bald, dort wo die Strasse aufhört und die andern auch mit dem Freundschaftstaxi nicht weiterkamen. Wie aus einem kleinen Paradies schauen von hier oben viele Ferienhäuschen weit übers Tal. Überall blüht der gelbe Ginster und ganze Farnfelder breiten sich aus, bis man wieder ganz in den Wald hinein kommt. Es ist ein schöner Tannenwald, den wir durchstreifen. Noch leuchten in kleinen Lichtungen im Schein der Sonne die jungen Triebe in hellem Grün auf. Schon ist auch wieder eine Rast fällig, welche man im angenehmen Schatten hoher Tannen geniesst.
Keine zehn Minuten nach unserem Aufbruch haben wir auch schon den höchsten Punkt unserer Wanderung bei Sant Antonio de Bolada erreicht, eine einsame, neuerstellte Kapelle, wo man einen wunderbaren Blick über das ganze Calancatal geniessen kann. Auch auf der anderen Seite drüben am Hang des Piz di Claro sieht man die Alp der Esel und unsere ganze Wegstrecke vom Sonntag. Aber auch Braggio ist nicht mehr so weit entfernt. Knud meint sogar, mit dem Feldstecher Lykke-Lise bei den blauen Sonnenschirmen des winzigen Beizleins zu erkennen.
Nach gut einer Stunde haben auch wir das Bödeli erreicht, wo das Gras wieder
höher wächst und Lykke-Lise und Margrit beim Wegweiser im Schatten auf
uns warten. Dafür gibt's jetzt zuerst mal im winzigen
Kiosk-Lädeli-Restaurant für alle eine Glacé oder ein
kühlendes Getränk. Bei solch einem Grossandrang wird uns sogar das ganze
Restaurant-Mobiliar nach draussen unter die Sonnenschirme geschleppt.
Wir haben nun beschlossen, dass alle mit der Seilbahn nach Arvigo fahren um
dafür, wer Lust hat, dem Bach entlang, diesmal in der anderen Richtung, wieder
nach Selma zu kommen. Man hat uns nämlich empfohlen, nicht den direkten Weg
von Braggio nach Selma zu nehmen. Der sei doch ziemlich gefährlich und
letztes Jahr sei wieder jemand, sogar von den Einheimischen dort zu Tode
gestürzt.
Die Seilbahn hier funktioniert auch gleich wie jene in Selma, man kann sogar mit
der gleichen Mehrfahrtenkarte fahren wie dort und man kann sie auch hier aufladen,
was wir gerade noch ausprobieren wollen. Gierig frisst die Maschine unsere
Zwanzigernote, aber damit hat sich's auch schon. Sie speit keine Quittung und auch
keine Bestätigung für eine erfolgreiche Aufladung aus. Mittels der
Hilfe-Taste passiert auch nichts, also wählen wir die angegebene Handy-Nummer.
Noch mit dem Handy am Ohr erscheint der Retter, welcher uns unser Note wieder aus
dem gefrässigen Schlund birgt und damit das Prozedere wiederholt. Er macht
nichts anders als wir es gemacht haben und bei ihm funktioniert es nun. Opfer der
Tücke. Man behauptet nämlich, dass man mit der Selbstbedienung der
Seilbahn den Intelligenztest gefunden habe, um die Besucher für Landarenca
oder Braggio zu selektionieren.
Gerne gehe ich die schöne Strecke dem Fluss entlang, diesmal im Sonnenschein,
mit zurück nach Selma. Bis nämlich das Postauto in einer Stunde kommt,
sind wir bestimmt auch bald dort. Also trennen sich unsere Wege wieder. Lykke-Lise,
Margrit und noch ein paar andere warten lieber bei der spektakulären
Baustelle. Schon von der Seilbahn aus haben wir gesehen, dass die Brücke,
über welche wir noch heute Morgen gefahren sind, jetzt einfach im Bachbett
liegt. Der grosse Pressluftbagger, welcher das Werk vollbracht hat, steht noch
herum und die Armierungseisen schauen zum Teil armdick aus dem dort liegenden
Trümmerhaufen.
Es war ein heisser Tag heute und Esti und Ruths Schritte werden immer schneller.
Ein kühlendes Bad irgendwo in der sprudelnden Calancasca lockt sie
unwiderstehlich, bis sie bei der Brücke in Selma einen guten Einstieg hinunter
zum Bach finden. Bis Hans und ich auch dort angekommen sind, sieht man bereits Ruth
voller Wonne im eiskalten Wasser planschen. Die Postautopassagiere sind auch nicht
viel früher in Landarenca angekommen als wir, Margrit sogar etwas
lädiert. Sie ist bei der Baustelle über die Absperrung gestolpert und
gestürzt. Ihr Handgelenk ist ziemlich geschwollen. Hoffentlich ist nicht etwa
einer dieser kleinen Handwurzelknochen kaputt.
Zum Nachtessen hat sich unser Wirt heute mächtig ins Zeug gelegt. Es gibt
riesige Osso bucchi, manche sogar mit mehr Knochen als Fleisch. Vergeblich lauern
die vielen hundert Fliegen heute an der Decke auf das Entré mit dem frischen
Ziegenkäse. Es gibt Salat dazu und Risotto.
Die Brünnlein wollen heute nach dem Nachtessen nicht so richtig fliessen, auch
des Zigeuners Fiedel verhilft nicht zum feurigen Liedel. Herr Keller ist in der
Küche schon fertig und er zeigt uns seine neulich erstandene Trouvaille: ein
Kochbuch für Spezialitäten aus dem Calancatal, sogar im hiesigen Dialekt
geschrieben. Ich habe allerdings den Verdacht, dass er uns unsere drei
schwarzlockigen Zigeuner verscheuchen wollte.
Froh sind wir hingegen, dass er uns für unsere morgige Tour zu einer
endgültigen Entscheidung verhilft. Geplant wäre eigentlich, dass wir von
Valbella, ganz zuhinterst im Calancatal, wo die Strasse aufhört, der
Calancasca entlang bis zur Alp de Alögna wandern und dann durchs Val di Passit
über den Pass di Passit nach San Bernardino gelangen. Eine Bekannte von
Margrit hat schon Bedenken geäussert, dass dies wegen dem Schnee dieses Jahr
nicht so problemlos machbar sei. Aber Schnee haben wir nun heuer nicht gross
gefunden. Herr Keller erklärt uns jetzt aber, dass das Problem eigentlich die
Lawinenkegel seien. Eine ganz kritische Stelle sei etwa in der Mitte dieser
Wanderung. Da sucht sich der Bach unter der Schneemasse hindurch im Tobel seinen
Weg. Die Dicke der Schneebrücke, welche er übrig lässt, ist fast
nicht einsehbar und kann wegen der Tiefe der Schlucht sehr gefährlich sein. Da
müsste man einfach umkehren. Also ist unser Entschluss gefasst, dass wir
morgen zusammen mit Margrit und Esther mit dem Postauto nach San Bernardino fahren
und dann von dort den Passit in der entgegengesetzten Richtung angehen.
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