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Schon bei der Ankunft gestern bei der Post haben wir die Wegweiser für die heutigen Möglichkeiten konsultiert. Nach Nufenen kommt man über die Bocchetta de Curciusa in sechs Stunden, über den Strec de Vignun in fünf und über den Bernardino-Pass in vier Stunden. Immer laut Wegweiser-Zeiten. Unsere Begierden und Gelüste sind in diesem Jahr ziemlich differenziert. Esti und Ruth liebäugeln eigentlich am ehesten mit dem Sechs-Stünder. Die haben natürlich noch kein Problem, diese Zeit auch einzuhalten. Marie-Louise will jetzt ihre Gelenke nicht noch mehr strapazieren und wäre eigentlich zufrieden, wenn sie einen extremen Abstieg nicht in Kauf nehmen müsste. Eine Möglichkeit, vorher auszusteigen und mit dem Postauto vom San Bernardino-Pass aus die steile Strecke zu umgehen, wäre mit der vierstündigen Tour gegeben. Ein Nachteil daran, ist, dass der Wanderweg manchmal ziemlich in der Nähe der Passstrasse verläuft.
Mehr als nur gestärkt durch ein äusserst reichhaltiges Morgenessen von Mama Schlummer, verabschieden sich Esti und Ruth als Erste. Sie nehmen nun tatsächlich die sechsstündige Tour über die Bocchetta de Curciusa in Angriff, dort, wo trotz wunderschönem Sommermorgen eine lange Nebelschwade über den Sattel schleicht.
Auch wir müssen den Einstieg in unsere Route unten im Dorf suchen. Er beginnt irgendwo in der Nähe des öffentlichen Brunnens der Mineralquelle San Bernardino. Esti und Ruth haben gestern ihre Trinkflaschen mit diesem schwefligen Wasser gefüllt und uns damit glustig machen wollen. Klaus hatte ziemlich Durst und die halbe Flasche gerade geleert. Hans will sich diese Gelegenheit auch nicht entgehen lassen und ersetzt sein Wasser hier mit diesem stinkenden Zeug. Beim zweiten Anlauf erwischen wir dann auch die richtige Brücke, welche uns für unseren Aufstieg über den Bach in einen Tannenwald führt. Vorbei an einem wunderschönen Wasserfall, wo ich mir gerade Esti so lebhaft planschend drin vorstellen könnte, geht es in angenehmer Morgenfrische bergauf, bis wir schon bald über der Waldgrenze angelangt sind. Während wir unter der den ganzen Bergübergang beherrschenden Höchstspannungsleitung auf die hinteren warten, kommt Klaus als Letzter angepustet und warnt uns davor, zuviel von dem Schwefelwasser zu trinken. Jenes von gestern hat bei ihm so gewirkt, dass er direkt um den schönen Morgenwald froh war. Und Hans hat all sein gutes Wasser ausgekippt! Er ist zwar zuversichtlich, dass sein Gedärme nicht gar so arg empfindlich sei.

Abmarsch 8 Uhr ins San Bernardino Esti und Ruths Route geht dort hinauf als wäre Esti am Schwimmen die erste Hürde ist geschafft überall Wasser

Im Anblick der mächtigen Stromleitungen entlang unserer ganzen Route und dazu einer eher noch gewittrigen Wolkenstimmung in der Ferne auf dieser Seite, werden Stimmen laut, ob man nicht doch das Val Vignun, welches von hier abzweigt, in Angriff nehmen wolle. Der Weg hinauf über grüne Alpweiden scheint nicht allzu steil zu sein. Beim Punkt 1850 bei Pian Lumbrif fällt unsere Entscheidung. Bis zum Hospiz auf dem San Bernardino-Pass sind es nur noch 1 ½ Stunden und in 2 ¾ wären wir schon in Hinterrhein. Was würden wir mit dem angebrochenen Tag nachher machen? Diesmal sagt nichts in mir Nein und ich schliesse mich heute gerne den Aufsteigern an. Versehen mit Handy und meiner kleinen Routenkarte verabschieden sich Marie-Louise und Lykke-Lise in Richtung Ospizio und uns empfängt bald darauf der herrlichste Bergfrühling. Enzian, Veilchen, Butterblumen und Vergissmeinnicht, endlich so, wie es sich Hans gewünscht hat. Sogar ein Büschel Edelweiss, zwar noch nicht ganz erblüht, lässt unsere Herzen höher schlagen. Kleinere Mulden sind noch braun, weil der Schnee vielleicht noch gestern hier lag. Heute jedoch sind sie übersät mit Soldanellen und überall gurgeln und sprudeln die Bäche. Sie nagen und fressen an den letzten Schneeresten, welchen die Sonne noch nicht der Garaus gemacht hat.
Bei einer Senke, durch welche sich ein Bächlein rankt und windet, bis es endlich irgendwo einen Abfluss gefunden hat, machen wir Mittagsrast. Zusammen mit Vreni muss ich hier auch einmal das prickelnde und pieksende Gefühl auskosten, wie es sich anfühlt, wenn man die dampfenden, nackten Füsse im eiskalten Wasser und dem noch danebenliegenden Schnee abkühlt.

Bergflora nach Hanses Geschmack sogar Edelweiss Stein-Mannli und Stein-Smily helfende Hände

Das Val Vignun ist langgezogen und eigentlich sanft führt der Weg von einem Übergang zum nächsten. Immer in der Erwartung, es sei nun der höchst Punkt erreicht, sieht man beim Steinmannli in einiger Entfernung wieder ein weiteres. In aufgeschwemmten Senken mänandriert der Bach, oder vor dem letzten Anstieg bildet er sogar einen kleinen See. Dort schwimmen zwei richtige Eisberge drin. In seinem klaren Wasser kann man jetzt genau sehen, wie von einem Eisberg nur ein kleiner Teil über die Wasseroberfläche hinaus ragt.
Beim Strec de Vignun haben wir nun mit 2373m wirklich den höchsten Punkt auf unserer Tour erreicht und man sieht vor sich eigentlich nur eine gähnende Tiefe. Gegenüber zwischen dem Guggernüll und dem Pizzo Tambo den Sattel, hinter welchem wir im nächsten Tal den Splügenpass vermuten.

Abkühlung für die Füsse Eisberge Anemone oder ist's die Küchenschelle am Strec de Vignun noch hat es Schneefelder

Wir begegnen noch eben verblühten Pelzanemonen, ganzen Polstern von Silberwurz, blauschimmernden Enzian-Böschungen und dann kommen wir in die blühenden Alpenrosen. Bald sieht man unten im Tal die Alp de Rog. Nahe bei der Sennhütte wimmelt es von Schafen. Beim genauer Hinschauen erkennt man, dass alle Tiere durch eine Passage getrieben werden, in welcher sie wohl eine Impfung oder dergleichen verpasst bekommen. An der Hütte vorbei führt der Pfad, über welchen Esti und Ruth kommen müssen. Ob sie wohl schon vorbei sind? Ein vergeblicher Kontrollanruf - ihr Handy ist noch nicht auf Empfangskurs.

...aber bald Alpenrosen Alp de Rog nach der Impfkampagne die Blumenwiese zum Dessert Esti und Ruth hatten steile Schneefelder zu queren

Das Tal hinaus zieht sich unser Weg eigentlich wider Erwarten hoch über dem Tobel dahin. Der Himmel verdüstert sich zusehends, Donnergrollen will uns einschüchtern und wir spüren sogar ein paar vereinzelte Regentropfen auf unseren Nasen. Nufenen ist nun in greifbare Nähe gerückt und aus dem letzten Waldstück tretend, durchquert man wie zum Dessert noch eine blühende Wiese mit hüfthohem Gras, weiss und rosa von Kerbel, Sauerampfer und Knöterich. Auf der ebenen Strecke dem Hinterrhein entlang verlängern wir unsere Schritte immer mehr. Es muss doch nicht sein, dass wir auf den letzten paar Metern noch nass werden. Es wäre ja nicht das erste Mal. Wir haben jedoch Glück. Auf der Brücke über den Rhein dringt Rufen zu uns herüber. Es ist kaum zu glauben, aber punktgenau zur gleichen Zeit nähern sich beim Zurückblicken unsere Nachhut und Marie-Louise mit Lykke-Lise aus den entgegengesetzten Seiten in gleichem Abstand dem Brücklein. Die beiden haben im Ospizio das Postauto bestiegen und spüren die atemberaubenden Kehrschlaufen des Abstieges nun nicht in ihren Knien. Unten haben sie den angenehmeren Weg entlang des Wassers wieder unter die Füsse genommen. Auch sie haben Edelweiss gefunden und sind mit ihrer Leistung durchaus zufrieden. Auch wir sind recht müde und froh, nun doch noch trocken bei Werner im Hotel Restaurant Rheinwald angekommen zu sein. Hoffentlich beruhigt sich in der Nacht der Verkehr auf der Autobahn etwas. Wegen einer Baustelle werden die Autos über die Aus- und wieder Einfahrt fast auf der Höhe unserer Zimmerfenster vorbeigeschleust.
Wir konnten es managen, dass wir trotz der einen Dusche, welche erst noch mit der einzigen Etagentoilette den gleichen Raum teilt, frisch gewaschen einer ablenkenden Runde Hornochsen frönen können. Vielleicht liegt ausser dem Wintergarten, welcher auf der Mittelterrasse im Entstehen ist, auch noch eine zweite Dusche beim Investieren des Benissimo-Gewinns drin.

am Bocchetta de Curciusa am Übergang juhui!! zu spät geschaltet nach em Räge schynt d'Sunne

Draussen sind Esti und Ruth jetzt auch angekommen. Auch ihnen hat es noch vor dem grossen Regen gereicht. Auch sie sind glücklich, aber müde. Ihre Anstrengung hat sie auf über 2400 Meter gebracht, ihnen Gämsen vorbeigeschickt und sie steile Schneefelder überqueren lassen. Eine verdiente Rast oben, noch fast im Schnee beim schönen Seelein auf dem Übergang der Bocchetta und dann das lange, lange Tal und das viele Wasser. Wenn man nicht frühzeitig genug die Rinnsale querte, musste man später die Schuhe ausziehen, um auf die andere Seite der Bäche zu gelangen.
Heute kann man à-la-carte wählen und wir lassen uns Werners Küche schmecken. Werner selber und Stefanie geniessen allerdings heute ihren freien Tag. Erst jetzt, während dem Nachtessen geht's draussen los. Es kracht und schüttet und am Schluss schickt auch gleich die Sonne ihre letzten Strahlen wieder ins Tal. Ein wunderschöner Regenbogen spannt sich über den Guggernüll. Weil ich nicht die blöden Baumaschinen als Vordergrund meiner Foto haben möchte, speede ich durch ganz Nufenen, um irgendwo einen besseren Blickwinkel zu erwischen, aber die Tücke eines Regenbogens demonstriert sich mir, als ob ich auf der Suche des Goldschatzes an seinem Ende wäre. Von jenem Blickwinkel aus, von welchem man ihn sieht, passt er einfach nicht in meinen Weitwinkel des Objektivs.

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