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Ein heller Morgen erstrahlt uns heute und jedes mit einem Pfund vom organisierten Brot zusätzlich im Rucksack, verabschieden wir uns von Campo mit seinen wandernden Häusern, der dienstbeflissenen Gastwirtin, aber auch von Marie-Louise, welche sich nun doch lieber einen etwas geruhsameren Tag einschieben will. Seit ihrer Infektion im Spital steht sie immer noch unter Antibiotika und diese zehren natürlich auch an den Kräften. Sie will uns übermorgen in Spruga wieder in der Zivilisation erwarten.
Der kleine Aufstieg, wieder über Cimalmotto, lässt sich nicht umgehen. Dafür können wir unsere Augen nochmals in den herrlichen Margriten- und Paradieslilien-Wiesen weiden lassen, welche in der Morgensonne so intensiv leuchten. Die zeitigen Türkenbundknospen im oberen Rank sind auch über Nacht noch nicht aufgegangen, dafür schafft Lisbeth büschelweise vier- bis sogar siebenblättrigen Klee herbei, welchen sie in die Lüftungslöchlein von Hansens Dächlikappe montiert. Unterhalb des Dorfes verschwindet der Wanderweg bald im Wald und für den Aufstieg bis auf die Alpe di Sfii können wir seinen kühlen Schatten geniessen. Auch unsere Handys sind auf der ganzen Wanderung meistens im Sende- und Empfangsschatten. Im Hotel gestern war jedenfalls auch Funkstille, dafür meldet sich unten im Tal bei der Überquerung des Baches in meinem Rucksack ein SMS an. Da die Mitteilung für mich doch noch von ziemlicher Bedeutung ist, würde ich gerne den Empfang bestätigen, aber bei der kleinen Verschnaufpause, welche wir eine halbe Stunde später einlegen, zeigt wieder nicht das klitzekleinste Klötzchen irgend einen Empfangsbereich an. Ich fühle mich wieder mal bestätigt in meinem Misstrauen, sich mit einem Handy in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Wenn's drauf und dran kommt, verweigert es doch ausgerechnet dann seinen Dienst, vor allem, wenn man so wie wir, weit weg von der Zivilisation unterwegs ist.
Wie als kleine Ruhepause vor dem Sturm, geniessen wir auf der Alpe Sfii eine kleine Rast inmitten von Alpenrosen und Enzianen, ehe wir den steilen Lawinenkegel, der auch hier einen Teil des Wanderweges zugeschüttet hat, in Angriff nehmen. Bis hinauf zum Passo della Cavegna haben Rinnen und Seitentäler dafür gesorgt, dass ihr heruntergerutschter Schnee den Wanderweg immer noch mit haushohen Schneemassen zudeckt. Wenigstens ist er im oberen Teil nicht mehr so steil - er war sogar mit Velos zu befahren. Man sieht wirklich die Spuren gut, welche die beiden Biker hinterlassen haben, denen wir gestern begegnet sind.
Oben, kurz vor dem Passübergang, in einer flachen Mulde, liegt der Lago della Cavegna, fast tintenschwarz mit türkis schimmernden Eisschollen und dann haben wir den höchsten Punkt mit 1978 Metern erreicht. Auf der anderen Seite, im Valle di Vergeletto, wartet uns nach einem kurzen Abstieg, auf welchem Hans ein paar steile Schneefelder lustvoll zum Schuhfahren auskostet, von der Alpe di Porcaresc aus, ein angenehmer Höhenweg bis zur Alpe d'Arena, unserem heutigen Etappenziel. Heute stimmt alles - das Wetter und auch meine Dampfwalze hat sich glaub so langsam an die Situation gewöhnt. Viele Wasser und Wässerchen sind zu überqueren und ab und zu kann man auch davon die Flasche wieder füllen, denn das Wandern in der Sonne gibt schon auch Durst.
Bereits hat man sich an den schön ausgebauten Weg gewöhnt, der mit seinen grossen Felsplatten auch für das Vieh gut begehbar ist, zweigt unser Pafd kurz vor dem erahnten Ziel unerwartet in einen steilen Kamin hinauf ab. Wann lerne ich endlich mal, die Karte richtig zu interpretieren? Hans ordnet an, oben den Rucksack zu deponieren und lockt uns dann waghalsig auf einen Felsvorsprung hinaus zum Gruppenfoto. Er selber kommt wieder ein Stück zurück, um die beste Perspektive für eine atemberaubende Aufnahme zu erhalten. Natürlich muss ich mit meiner Kamera auch dorthin zurück, nur schon, damit ich auch Hans auf einem Bild habe, um ihn oder mich am Schluss wieder auf ein gemeinsames Bild zu mogeln, wo alle Acht vom Bocca d'Arena herunter winken.
Jetzt geht es nur noch um die nächste Wegbiegung und wir sind an unserem Ziel angelangt. Hunde seien an der Leine zu führen, weil die Ziegen Angst hätten. Aber Rias Gegenwart macht überhaupt keinen Eindruck auf die ganzen Heerscharen von Geissen, welche "unsere" schöne Terrasse vor dem Haus belagern. Auf Steintischen und Bänken machen sie sich im Schatten des Hauses breit und denken gar nicht daran, das Feld zu räumen, bis wir sie handgreiflich und mit Besen dazu auffordern. Bevor man hier überhaupt ein paar Schritte gehen kann, muss erst mal der ganze Platz gekehrt sein.
Es hat sich einiges verändert, seit Hans das letzte Mal hier Obdach gefunden hat. Zum Kochen muss nicht erst ein Feuer im Herd gemacht werden, wir finden im Nebengebäude einen grosszügigen Aufenthaltsraum mit Cheminé und einer kleinen Küche mit Gasherd. Im Massenlager können wir uns unser Schlafplätzchen aussuchen und jedes kann für sich so viele Matratzen in Anspruch nehmen, wie es will. Ein Lager an Getränken, inklusive Wein, wäre auch vorhanden, dazu hätte Knud nicht extra einen schweren Liter Merlot heraufschleppen müssen.
Die Zutaten fürs Risotto aus den verschieden Rucksäcken werden gesammelt, gerüstet und auf kleiner Flamme köchelt bald eine Bouillon.
Heute feiert man in den nordischen Ländern Mittsommer. Der Abend vorher ist, wie an Weihnachten auch, die Zeit wo man mit vielen Bräuchen diesen Anlass feiert. Dazu gehört ein Feuer. Wunderbar, wie das passt mit dem Cheminé. In Dänemark ist das Fest recht populär und man singt und tanzt. Aber auch besinnliche Ansprachen werden von weisen Leuten gehalten. Da wir heute ja so abgeschieden und alleine sind, wollen wir diesem Fest und Brauch auch hier einen Raum geben. Knud hat per SMS (irgendwie hat er ein leistungsstärkeres Exemplar mit besseren Empfangsmöglichkeiten als ich) von seiner Jungmannschaft den Text für das Johannislied angefordert und auch bekommen und zusammen mit Herbert und Klaus knobeln sie auf der Terrasse draussen die deutsche Übersetzung dazu heraus. Dabei muss Knud im hohen Alter feststellen, dass er all die Zeit ein dänisches Wort immer falsch interpretiert hat. Etwa so, wie man irgendwann mal feststellt, dass es in Stille Nacht keinen Owi gibt, der lacht.
Der Senn in der Nachbarhütte ruft seinen Geissen und von überall kommen sie bimmelnd dahergerannt. Sie folgen ihm bis über den Bach und dann übernimmt sein Hund die Aufgabe, die Herde in den Wald hinauf zu treiben. Mitnichten haben sie Angst vor dem Hund, sie gehorchen ihm problemlos. Eine letzte, ungehorsame Ziege muss der Senn noch persönlich vom Leckstein wegjagen. Er meint, sonst würden sie die ganze Nacht herummeckern. Also ist dieser Alpaufzug nur wegen uns.
Das Risotto ist wunderbar herausgekommen und beim knisternden Cheminéfeuer schlagen wir uns den Bauch voll und mit dem heraufgebuckelten Merlot stossen wir auf das Johannisfest an.
Dann stimmen Knud und Lykke-Lise das Lied auf Dänisch an. Eigentlich sollte man doch jetzt die deutsche Übersetzung dazu singen können, aber die Melodie ist nicht so eingängig, dass man damit schon jonglieren könnte:
Wir lieben unser Land, aber an Mittsommer am meisten, |
Klaus ist die Ehre zugefallen, den Vortrag zu halten und er hat das Thema Zeit gewählt. Mit seinem Bild, dass alle Zeitgenossen der ganzen Menschheit auf einem Riesen-Kreuzfahrtschiff mitreiten, das auf einem runden See wie in einem Trichter durch den Sog immer schneller fährt, kann ich mir nun endlich mal ein Bild machen, warum das Jahr, welches das Schiff für eine Umrundung braucht, immer schneller vergeht, je älter man wird. Auch seinen althochdeutschen Meersburger Zauberspruch, tief aus dem Gedächtnis ausgegraben, gibt er zum Besten. Diesmal bin ich bereit und halte das auf meinem Chip fest, auch einfach, damit ich Klaus damit überraschen kann, wenn er auch in meinem Bericht steht:
Phol ende uuodan |
Phol und Wodan |
Ein paar Lieder aus dem Lalibu gehören auch heute noch dazu. Mein Beitrag tönt nicht schön, aber laut, so dass es bald allen verleidet und wir die Heja aufsuchen.
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