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Auch diese Nacht haben wir wieder glücklich überstanden. Zweiundzwanzig
Leute in einem Schlag und das Fenster durfte gnädigst einen Spalt weit offen
sein.... Immerhin hatten wir wenigstens zwei, drei Handbreit mehr Matratze zur
Verfügung und die Toilette noch im Haus.
Das gestrige Gewitter ist spurlos verschwunden und die Sonne leuchtet heute die hintere
Seite der Dents du Midi und unsern ganzen gestrigen Weg vom Col de Susanfe herunter aus.
Sie scheint uns auch auf unserem Weg hinauf zum Col du Jorat, dem zweiten Pass auf
unserer Tour und wirft neben uns eine Reihe buckliger Schatten ins Gras. Obwohl wir beim
Kreuz nur einen Sattel erreicht haben, muss ein Gipfelkuss sein.
Es öffnet sich wieder eine neue Seite unseres Wander-Bilderbuchs, auf die Rhonetalseite, hinüber zum Grand Muveran und ins nahe Waadtland. Zu unserer Linken erheben sich bizarr und unbezwingbar die schroffen Felsformationen der Rochers de Gagnerie und von hier geht es nun nur noch hinunter. In kleinen Zickzacks mehr oder weniger in der Direttissima die ersten siebenhundert Höhenmeter bis zur Waldgrenze, wo ein Fahrweg eine Alp erschliesst.
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Heute sind es Knud und Klaus, die uns verlassen wollen und da wir noch recht früh
dran sind, erwägen sie, sich hier von uns zu verabschieden, um die Hintern nach vorn
zu nehmen und so vielleicht das Mittags-Postauto in Mex noch zu erreichen. Zur Auswahl
stehen nämlich nur eins am Mittag, eins um fünf und eins um sieben Uhr.
Hier, wo wir die Beiden verabschieden, ist auf meiner Karte eine Quelle eingezeichnet, La
Fontaine Froide. Zu sehen ist allerdings nur ein hölzerner Brunnen, der aber spendet
herrliches Wasser, wirklich wie aus dem Kühlschrank.
Von hier folgen die Einen dem Fahrweg in seinem engen Zickzack und jene, die noch nicht
genug in den Knien haben, der Abkürzung, um bei jeder Linkskurve der Fahrstrasse
triumphierend zu vermelden, dass man halt schon eher da sei.
In der letzten Viertelstunde haben sich droben um die steil in den Himmel ragenden
Felstürme und Zacken graue Nebelschwaden gewickelt und nun will man doch wissen, ob
wir unseren Regenschutz auch mit dabei haben. Doch kaum haben wir die ersten hundert
Meter zurückgelegt, beginnt schon wieder die Sonne einzuheizen und dampfend reisst
man sich das Zeug wieder vom Leib. Wir haben nun die Höhe des etwa zwei Kilometer
vor uns liegenden Mex erreicht und auf dem breiten Weg kommen wir ebenaus knapp nach ein
Uhr direkt ins Dorf. Knud und Klaus hat es mit heissen Füssen gerade noch aufs
Mittags-Postauto gereicht, wie sie uns in einem SMS wissen lassen.
Die Auberge de l'Armailli befindet sich am höchsten Punkt des Dörfchens und von
seiner Gartenterrasse aus schweift der Blick über alle Hausdächer des Ortes und
dann weit über das Rhonetal bis nach Martigny.
Wir haben das Dortoir für uns allein. Auf drei Etagen verteilte Lager, aber immer
noch mit so viel Abstand, dass man nicht mal den Kopf einziehen muss, wenn man in die
Höhle kriecht. Eigentlich ist es eine ganze Wohnung mit einer Küche, zwei
Duschen, WC und Waschraum und einer eigenen Terrasse mit einem Tisch unter dem Vordach
und Aussicht auch hier über das ganze Land. Kurz - hier lassen wir es uns wohl sein.
Wegen dem Regenguss vorhin haben wir dann generell unsere Mittagsrast aufgeschoben und
die wird nun zuallererst nachgeholt. In meinem Rucksack findet sich nun bald wirklich
nichts mehr Frisches und deshalb marschiere ich zuerst nochmals hinunter zur Kirche. Dort
vis-à-vis in der Buvette habe ich vorhin gesehen, dass man Aprikosen feilbietet,
die hole ich mir und auf unserer Privat-Terrasse lässt sich ein wunderbares Picknick
veranstalten. Es ist wieder heiss geworden, sogar viel zu heiss, jedenfalls für den
Kaugummi, den jemand achtlos auf unserer hölzernen Terrasse ausgespuckt hat und in
den ich natürlich genau so achtlos hinein trete. Grässlich, was so ein Ding in
der Hitze entwickeln kann. Natürlich will man den Schuh aus dem Dreck ziehen,
fabriziert aber damit höchstens lange, dünne, fliegende Fäden, die sich
wie Spinnenfäden sofort überall anheften. Ein Papiertaschentuch zur Begrenzung
des Schadens auf den Gummi am Boden geklebt und eins auf die Schuhsohle, zwingt mich nun
zu einem möglichst sandigen Spaziergang. So kann ich gerade die Postkarte für
Vreni, die wir in Susanfe geschrieben haben in den Kasten werfen. Lisbeth begleitet mich
auf einer Entdeckungstour durch dieses heimelige Dörfchen, in welches man sich
irgendwie sofort verliebt, genau wie seinerzeit in Landarenca im Calancatal. Die
Postleitzahl ist 1890 und es hat nicht ganz 150 Einwohner und man heisst in Mex Gex, oder
vielleicht noch Richard. Das jedenfalls erzählen uns die Grabsteine auf dem
Friedhof. Es gibt auch ein malerisches Brotbackhäuschen und die nächste
fournée ist in 14 Tagen, wo man sich sein Brot backen lassen kann. Da gibt's dann
wohl fürs ganze Dorf Pizza, so wie ich das jedenfalls interpretiere.
Mex befindet sich auf 1118 Meter auf einem sonnigen Bödeli, ganz am Rand einer steil
abfallenden Felswand, wo 600 Meter tiefer St.Maurice liegt, zu deren Bezirk Mex
gehört. Und ganz am Rand dieser Felswand entdecken wir die perfekte Lokalität
für das nächste Fest. Früher diente das Haus hier als Bergstation für
einen Transportlift und das wurde nun mit der schönen Wiese davor mit der
atemberaubenden Aussicht und dem Brunnen neben dem Eingang als Grillplatz umgestaltet.
Auf dem noch gedeckten Vorplatz hätte man auf vier verschiedenen Grillrosten
genügend Kapazität für ein Bombenfest. Sogar eine ganze
Küchenkombination steht hier zur Verfügung. Vermieter ist unser Gastgeber in
der Auberge de l'Armailli.
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Nachdem man der kleinen Kirche, die dem Hl. Florentin geweiht ist, eine Besuch
abgestattet und deren Akustik mit einem kleinen Kanon getestet hat, warten wir bei der
Haltestelle vergeblich das nächste Postauto ab. Leider vergeblich, Pascal hat es
noch nicht gereicht und nun muss der Wirt halt eine Portion von seiner Spezialität,
einem Schinkenbraten an einer Sensfsauce für ihn warmhalten. Man weiss hier, dass es
auf der Route der Tour des Dent du Midi entweder Spaghetti oder Reis gibt, darum kann man
natürlich hier mit einer Portion Pommes zu diesem leckeren Fleisch echt brillieren.
Ein weiterer, wunderschöner Tag verabschiedet sich auf der gemütlichen Terrasse
mit einem lauen Abendhauch und hie und da sogar einer Sternschnuppe, die geheime
Wünsche ....offen lassen?
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