zum vorherigen Tag | 30. Juli 2012 | zum nächsten Tag |
Heute gilt's ernst. Mutig machen wir uns nach einem stärkenden
Frühstück auf den Weg. Ohne Hanspeter, der will sich den Aufstieg von
1291 Metern nicht antun und verlässt uns schon wieder, um im Appenzellischen
nachzuschauen, ob die Wanderprofile der Frauen moderater ausgefallen sind.
Eine Karawane von zehn buckligen Lasteseln verlässt Pont de Nant und seinen
Alpenblumengarten, wo wir eine angenehme Herberge gefunden haben. Pascal hat mit
seiner Handwaage alle Rucksäcke gewogen und die meisten haben es geschafft,
sogar mit dem Marschtee unter zehn Kilo zu bleiben. Annigna ist einsame Spitze mit
etwas über sechs Kilo.
Noch ein halbes Stündchen begleitet uns auch Katrin zusammen mit Ria durch das
Wäldchen dem Fuss des Grand Muveran und dem Fluss entlang in Richtung Col des
Perris Blancs, bis auch sie uns verlässt und sich zusammen mit Hanspeter dann
in Richtung Postauto nach Bex abmeldet, denn ihr sind dieses Jahr berufliche
Verpflichtungen in die Quere gekommen und für Ria gäbe es in den
SAC-Hütten wohl ein Unterkunftsproblem.
Während die Sonne hoch über uns am Grand Muveran die bizarre Silhouette der gezackten Felsen blankfegt, kommen wir hier unten am angenehmen Schatten mit abenteuerlichen Flussüberquerungen bis weit nach hinten ins Tal, wo dann unser Aufstieg erst recht beginnt. Immer begleitet uns auf unserem Weg das Grün von Gras und die Vielfalt all der Farben der wunderbaren Alpenblumen und schon bald sitzen wir inmitten von Enzianen, Alpenveilchen und Gletscherhahnenfuss beim gemütlichen Picknick. Jetzt haben wir schon eine Höhe von 2166 Metern erreicht. Nebelschwaden kommen und gehen über die gezackten Kämme der Dents de Morcles und Muverans und von hier aus kann man nun sogar einen Teil des Martinets Gletschers hinter einer langen Moräne sehen. Eindrücklich erheben sich darüber die senkrechten Felswände mit ihren gefalteten Gesteinsformationen des Tête Noire. Beim Weiteraufstieg über ein grosses Trümmelrfeld und auch noch liegengebliebenen Schnee, der sich anfühlt, als ob man über einen Gletscher wandern würde, hebt sich die Nebeldecke über uns immer ein klein bisschen und wir finden unseren Weg gerade knapp unterhalb der Wolken, immer noch steil und noch steiler hinauf bis zum Übergang, dem Col des Perris Blancs.
Wir haben's geschafft! Eigentlich war es gar nicht so schlimm, wie ich das
befürchtet habe und weswegen ich bereits den ganzen Juli und noch mehr auf der
Finnenbahn in Münchenstein etwas Kondition aufgebaut habe.
Das Bilderbuch öffnet eine neue Seite mit wunderbarem Blick bis weit zum
Genfersee und hinüber zu den beiden Hörnern über Leysin, die Tour
d'Aï und Tour de Mayen, welche ich letztes Jahr Herbert aufgesetzt habe. Der
Blick zurück ist eher noch trüb und die Nebel walzen immer noch über
die Muverans hin und her und gegen den Kessel hinunter, aus dem wir aufgestiegen
sind. Wie Kanonendonner tönt es von der zerquetschten Felswand über dem
Martinets Gletscher bis zu uns herauf. Wir sind gerade Zeugen eines Felssturzes
dort gegenüber, aber bis der Ton bis zu uns gedrungen ist, sehen wir nur noch
einzelne Felsbrocken auf dem Gletscher hinunter rollen und eine Staubwolke, welche
sich der Wand hinauf davon macht.
Nach einer erholsamen Rast hier noch auf einer blumenübersäten Matte,
geht's nun zum Dessert auf der andern Seite auf steinigem Geröllweg noch etwa
350 Höhenmeter hinunter zur Cabane de la Tourche, unserer heutigen Herberge.
Die neu aufgebaute Hütte kann man nach den ersten paar Metern unten auf dem
Kamm eines langgezogenen, grünen Bergrückens gut sehen, der Weg dorthin
aber verliert sich irgendwo in der riesigen Geröllhalde, welche wir nun noch
zu überqueren haben. Im Zickzack führt er zuerst steil den Hang hinunter,
um dann hinter einer Felsnase zu verschwinden.
Abenteuerlich auf schmalem Pfad, hoch über oder direkt unter steilen
Felswänden, überqueren wir abermals einen felsigen Steilhang, bis wir
hoch über der Hütte wieder eine reich blühende Alpweide erreichen.
Nun kann man wieder ausatmen und die Augen über das Gebiet der
gegenüberliegenden Dents du Midi schweifen lassen, den Ort des
letztjährigen Geschehens.
Das Centre Sportif in Les Jeurs, unser Startpunkt und auch das hübsche
Dörfchen Mex, drüben auf dem Bödeli, wo wir am zweitletzten Tag von
dem gewaltigen Abstieg müde ankamen, wird jetzt gerade von der Abendsonne noch
ins rechte Licht gerückt. In Erinnerung jener erbrachten Leistung und beim
Überblicken der Distanzen, bin ich heute gerade nochmals etwas stolz.
Die hier abgebrannte Hütte ist nun seit knapp einem Jahr wieder neu erstanden und wir bekommen zwei freundliche, helle Zimmer mit je 6 Schlafplätzen zugeteilt, sogar mit Duvets. Der hervorragenden Lage mit der grandiosen Aussicht hat man im Aufenthaltsraum Rechnung getragen. Die grosse Fensterfront lässt einen auch während des Nachtessens am Feuerzauber eines Sonnenuntergangs teilhaben. Eine Dusche ist zwar noch nicht in Funktion, wer es nicht glaubt und trotzdem die entsprechende Tür öffnet, dem grinst ein dort deponiertes, stachliges Hirschgeweih entgegen. Waschen kann man sich, allerdings nur mit kaltem Wasser, aber wenigstens im Haus drin und - es gibt Steckdosen, um Handy und Kamera-Akkus aufzuladen!
zum vorherigen Tag | 30. Juli 2012 | zum nächsten Tag |