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Es scheint ausgeregnet zu haben und ein neuer, sonniger Tag erwacht. Nochmals am kalten Wasserhahn eine kleine Katzenwäsche und dann bald adé Cabane Rambert, adé Monsieur Planchamp und schon bald sieht man von der Hütte nur noch hoch oben auf dem Felsen das verflixte Plumpsklohäuschen. Der Hüttenwart hat uns empfohlen, nicht den alten Weg hinter dem Haus zu nehmen, weil der schon seit längerer Zeit nicht mehr unterhalten werde. Markiert ist der Weg unten auf dem Übergang, das heisst also, wir mussten zuerst die 80 Höhenmeter hinunter, dort wo wir gestern die allerletzte Verschnaufpause gemacht haben. Hier unten liegen noch letzte Schneereste, über welche der Weg führt und es geht nicht lang, bis wir wieder vom Aufpasser-Steinbock beobachtet werden. Sein Rudel frühstückt gerade hundert Meter weit von unserm Weg entfernt. Natürlich kann auch ich nicht einfach so vorbeigehen und nun habe ich noch mehr Steinbockfotos zur quälenden Auswahl. Dafür haben wir nun die Wegzeichen verloren, denn auch schöne Schneefelder haben zum Schneefahren verlockt.
Ein bisschen mehr links haben wir den Wanderweg aber wieder und marschieren munter
bergab, bis es Hans nun doch ein bisschen komisch vorkommt. Der Höhenmesser
zeigt uns an, dass wir bereits 200 Meter zu tief geraten sind. Pascal kann mit
seinem Feldstecher weit oben gerade noch einen gelben Wegweiser ausmachen, bevor er
hinter der nächsten Felsbiegung verschwunden wäre. Wir haben den Weg nach
Ovrannaz erwischt und zwar erst nach der Abzweigung und sind ihm in der falschen
Richtung gefolgt. Von Steinbock- und andern Spuren haben wir uns vom guten Pfad weg
ins Verderben führen lassen.
Bald haben wir aber die Abzweigung erreicht und dem Wegweiser, der auf dem Boden
auf einem flachen Felsen angebracht und überhaupt nicht weithin sichtbar ist,
folgen wir nun in der Richtung, die über den Col de la Forcla und bis nach
Derborence zeigt.
Die Überquerung eines breiten Geröllfeldes, sowie die Durchkletterung
einer Felsspalte sind nun die nächsten Herausforderungen, dann noch der
letzte, kurze Aufstieg und wir haben das Bergaufkeuchen für heute erledigt,
auf meinem Profil geht's von der Forcla nun nur noch abwärts. Zuerst aber noch
die kleine Spannung auf den letzten Metern bis zum Übergang - wie sieht es auf
der andern Seite aus? Ich blättere gerne in diesem Buch der
Übergänge.
Auch hier schlägt es für uns eine wunderschöne Seite auf. Im
Gegensatz zum eher schroffen und felsigen Tal, aus dem wir aufgestiegen sind,
öffnet sich hier ein sanftes Hochtal mit zwei schönen Seen. Über
diesem Bild zieht ein Adler majestätisch seine Kreise. In der Mulde bis zu uns
herauf liegt noch ein Rest Schnee, oder ist es vielleicht der allerletzte Rest des
Glacier de la Forcla? denn langsam beginnt sich sein Schmelzwasser den Weg in den
zum Teil noch zugefrorenen, kleinen Stausee zu suchen.
Spitz und steil ragt einzig die schroffe Rückseite des Tita Naire über
den Seen auf. Die Flanken vom Kamm von dort bis zu uns herüber sind eher wie
eine Moräne, feines, herabgerieseltes Geröll, welches sich aber aus der
Nähe doch etwas gröber herausstellt, denn wir folgen den Wanderwegzeichen
bald durch ein ziemliches Trümmerfeld und hüpfen von Stein zu Stein,
während Hans die Direttissima über den Schnee genommen hat. Weiter unten,
wo es nicht mehr so steil ist, lassen wir uns dann endlich auch dazu überreden
und müssen zugeben, dass es sich auf dem Schnee bei weitem besser marschieren
lässt.
Wir befinden uns nun im Eidgenössischen Jagdbanngebiet Haut de Cry und
während wir uns bei unserer Mittagsrast am Fuss des Tita Naire etwas umsehen,
entdecken wir prompt auf den gegenüberliegenden Felsen wieder ein paar
Steinböcke. Eindrücklich erhebt sich die Ostseite des Tita Naire wie eine
einzige, grosse, ziemlich flache Platte steil gegen den Himmel, welche beim
Zurückschauen fast wie Elfenbein leuchtet.
Wir folgen dem Wässerchen, welches aus dem Lac de la Forcla rinnt im kiesigen
Talbödeli, über ein Trümmerfeld von herabgestürzten,
schiefrigen Platten des Tita Naire, dann über gelb blühende Matten und
später durch wirres Karstgestein bis nach La Chaux, der Alphütte, in
welcher man auch übernachten könnte. In der zuerst ausgearbeiteten
Variante unserer Tour hätten wir dies auch am ersten Tag gemacht und hatten
schon die Reservationen getätigt. Den Knien zuliebe über den Col des
Perris Blancs, haben wir die Tour dann aber im Gegenuhrzeigersinn beschlossen und
somit reicht es uns heute eigentlich gut bis Derborence. Als Entschädigung
für entgangene Geschäfte, kehren wir aber zu einem Glas Most und Caramel-
oder Vanille-Törtchen ein. Auch das selbst gemachte Joghurt habe sehr gut
geschmeckt. Das Logis hier wäre wohl ein weiteres Mal ziemlich bescheiden
gewesen, aber man hätte immerhin Wasser gehabt. Rings um die Hütte weiden
die Kühe unter der strengen Obhut von zwei Hunden. Für den Transport von
und in die Zivilisation hält man sich hier einen Esel und ein Maultier.
Bis Derborence, wo das Postauto hält, ist es von hier immer noch eine Stunde,
welche wir nun zuversichtlich noch unter die Füsse nehmen. Lotty möchte
gerne noch heute heimfahren, es rufen dort Pflichten, deshalb beginnt bereits hier
das Abschiednehmen und sie macht sich auf die Socken, begleitet von Pascal, der
sie nicht so allein gehen lassen will.
Wir hätten die Beiden auch beauftragen können, für uns auf heute zum
Nachtessen eine feine Polenta zu bestellen oder allenfalls Spaghetti, nur um alles
in der Welt nicht schon wieder Reis! Also schickt uns Hans mit diesem Auftrag auch
voraus, er will es mit Annigna jetzt zum Schluss noch etwas gemütlich nehmen,
denn wir haben heute immerhin gute 1500 Meter Höhendifferenz in den Knien.
Etwas müde trotten wir also im Gänselimarsch zeitweise durch Wiesenpfade
immer weiter. Es scheint, als ob mein Hintermann mich ungeduldig überholen
will. Ein seitlicher Blick lässt abermals einen Schrei von mir von der
Felswand widerhallen - ein riesiger brauner Kopf drängt sich an mir vorbei. Es
ist das Maultier von der Alphütte, dem es wohl verleidet ist, so langsam
hinter mir her zu gehen. Vielleicht wollte es mich auch nur das kleine Stück
bis zu seinem Weidezaun begleiten, welchen ich erleichtert hinter mir wieder
schliessen kann.
Die Köchin im Refuge in Derborence hat für uns Cordon Bleu vorgesehen, da
passt Polenta nicht so gut, aber ihre vorgeschlagenen Spaghetti sind uns ja auch
sehr willkommen. Willkommen wäre uns eigentlich auch eine Dusche, aber hier
hat es nur ein Lavabo aber immerhin mit Kalt- und Warmwasser, aber eigentlich lockt
der See. Badehosen habe ich nicht dabei - unnötiges Gewicht, aber wenn man mit
der Unterwäsche baden ginge, wären Leibchen und BH auch schon gewaschen,
nötig wäre das ja schon längst. Während wir bei einem
erfrischenden Bierchen solchen Gedanken nachhängen, hat Priska dies schon in
die Tat umgesetzt.
Ein Bikini war für sie jedenfalls kein unnötiges Gewicht und begehrlich
sehen wir ihr zu, wie sie schon bald die halbe Länge des Sees durchpflügt
hat. Pascal, Lisbeth und ich haben uns schnell etwas Trockenes für nachher
gefasst und ein günstiger Einstieg ins Wasser ist auch bald gefunden. Das
Wasser, das dort gerade in den See fliesst ist eisig kalt, es stammt schliesslich
aus dem Gletscher über den wir heute gegangen sind. Zum Schwimmen an der
Wasseroberfläche geht es zwar, aber ich bin doch recht bald genug
abgekühlt. Trotz allem war der Spass aber ein voller Genuss.
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