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Schon um sieben Uhr findet man sich wieder im gemütlichen Essraum ein und
geniesst ein einfaches Frühstück. Eigentlich ist heute kein grosser Stress
angesagt, höchstens, wenn man das Profil für heute genauer unter die Lupe
nimmt…
Dreieinviertel Stunden schlägt dieses vor, also ist um halb Neun Abmarsch.
"Das Gebiet um Dötra wurde von den Walsern besiedelt. Da es an Dünger
fehlte, wurden die Wiesen oft nur alle zwei Jahre geschnitten; dadurch entwickelte sich
eine besonders grosse Artenvielfalt" und "Die Landschaft von Dötra und Anveuda
bezaubert durch ihre mosaikartige Struktur. Sie ist geprägt von blumenreichen
Magerwiesen, Flachmooren, extensiven Weiden, Hochstaudenfluren,
Grünerlengebüsch, Zwergstrauchheiden und einzeln stehenden, mächtigen
uralten Arven..."
So die Hinweise, die man im Internet findet und die erklären, warum man auf dem
Höhenweg Richtung des Passes Cantonill über weite Strecken auf Holzstegen durch
die Landschaft wandeln kann. Erinnerungen an die erste Wanderung sind noch präsent.
Es war früher im Jahr und von Hans habe ich ein Dia eingescannt von den sagenhaften
Paradieslilien auf dem Cantonill.
Bevor man nach einer Verschnaufpause den Rucksack wieder sattelt, um den Anstieg zum
Pass in Angriff zu nehmen, leitet Irene durch eine super entspannende und lockernde
Übung für Schulter und Nackenbereich an. Auch Knud kennt eine Anleitung zur
Kräftigung des Schultergürtels, worauf Pascal den Geheimtipp preisgibt, dass
durch das Annetzen der Ohrläppchen mit kaltem Wasser das Wandertempo um 100%
gesteigert werden könne. Hoffnungsvoll will nun Herbert wissen, ob man sich mit
diesem Geheimtipp die ganzen Turnübungen ersparen könnte….
So frisch gelockert und gestärkt ist man im Nu oben auf dem Cantonill auf 1937 Meter
angekommen und fragend steht man vor dem Wegweiser, welcher in zwei verschiedenen
Richtungen nach Campo Blenio weist. Die eine verspricht einem, in einer Stunde 15 und die
andere in einer Stunde 45 in Campo Blenio zu sein. Während Hans und Annigna sich
für den kürzeren, aber steileren Weg entscheiden, jenen, den sie 1991 bei ihrer
ersten Sommerwanderung genommen haben, ist die Mehrheit für den einfacheren,
dafür eine halbe Stunde längeren Weg. Man könnte es ja vielleicht mit
nassen Ohrläppchen probieren!
So trennen sich also die Wege und Sieben bewältigen die 700 Meter
Höhendifferenz in einem weiten Bogen durch das landschaftlich abwechslungsreiche
Gebiet über Pradasca. Auch eine ausgedehnte Mittagspause wird eingeschoben und
schliesslich erreicht man den Ort Campo Blenio, ein kleines Bergdorf. Die Unterkunft
heute ist im Berggasthof Genziana und ein unscheinbarer Wegweiser weist über eine
kleine Brücke in südlicher Richtung. Erst der zweite Teil der Gruppe entdeckt
diesen Hinweis, die andern sind bereits strammen Schrittes daran vorbeigegangen. Auch
Schreien und Rrufen und Winken wie wild nützt nichts, man dreht eine zweite
Ehrenrunde durchs Dorf und fragt am Schluss verzweifelt Einheimische um Rat, während
Irene, Rainer und Prisca einem schmalen Wiesenpfad folgen, der sie eine ganze
Postautohaltestelle ausserhalb des Dorfes ans Ziel bringt. Schlussendlich ist man aber
glücklich im Genziana wieder vereint und kann bereits Kantonement beziehen. Nur Hans
und Annigna sind noch nicht eingetroffen. Muss man beunruhigt sein?
Wie schon gestern und vorgestern haben die jüngeren Beine wohl wiederum noch nicht
genug. Pascal, Herbert, Knud, Hedi und Prisca machen sich noch auf den Felsenweg nach
Olivone, welcher noch vor der neuen Tunnelstrasse die einzige Verbindung zum Tal
herstellte. Irene und Rainer bleiben im Gasthof und wollen nach Hans und Annigna Ausschau
halten. Der beruhigende Anruf von Rainer erreicht Herbert noch ehe man in Olivone
eingetroffen ist: Hans und Annigna sind nun auch angekommen, mit ziemlich strapazierten
Knien. Sicher war dieser Pfad vor zwanzig Jahren noch nicht soo steil!
Bis das nächste Postauto zurück nach Campo fährt, geniesst man zuerst
noch einen köstlichen Coupe. Die Idee für einen Ausflug auf den Lukmanier, um
dort eine Tanzkollegin zu besuchen, kommt Hedi beim Anblick eines in diese Richtung
fahrenden Postautos. Die Zeit und die Anschlüsse würden noch spielend reichen,
bis es in Campo Nachtessen gibt. Schnell entschlossen, ist auch Prisca mit von der
Partie.
So kommt es, dass ich heute auf meiner Anreise durchs wunderschöne Bleniotal just in
dem Moment aus dem Bus aussteige, welcher von Biasca nach Olivone verkehrt, in welchen
Pascal, Herbert und Knud einsteigen wollen. Eine Linie im Ausdruck des SBB-Fahrplans
bedeutet doch immer umsteigen! Es braucht fast Überredungskünste, mich davon zu
überzeugen, dass ich ja bereits im richtigen Bus gesessen habe. Der Fahrer hat
nämlich hier an der Endstation den Bus einfach in eine andere Nummer umgetauft.
Nicht wie ich mir eingebildet habe, als mein Empfangskomitee sind sie nach Olivone
gekommen, sondern weil sie unbedingt noch den in den Felsen gehauenen Weg erforschen
mussten und erzählen von schwindelnder Aussicht in tosende Wasser und gaukelnden
Schmetterlingen, die ihre Wege begleitet haben.
Das Positive daran für mich ist, dass ich das Ristorante Genziana, unsere heutige
Unterkunft nicht suchen muss. Das hat mein Empfangskomitee bereits gebührend gemacht
und so steigen wir bei der Haltestelle Ponte Semine, noch ziemlich weit vor der
eigentlichen Ortschaft Campo Blenio aus.
Hans und Annigna heissen mich in der Gartenwirtschaft willkommen. Die Direttissima,
die sie heute genommen haben, spüren sie jetzt in ihren Knien und sie sind am
Salben.
Pascal will sich nun erkundigen, ob morgen irgendeine Möglichkeit besteht, sich ein
Stück weit ins Val Camadre hinein chauffieren oder wenigstens die Rucksäcke so
weit wie möglich transportieren zu lassen, so wie man das damals vor zwanzig Jahren
bereits einmal machte. Die Neuigkeiten, die er von der Wirtin erfährt, sind
umwerfend: Direkt vor dem Haus hält um zehn nach Acht ein offizieller Linienbus, mit
welchem man bis zur Pian Geirett auf über 2000m gefahren wird. Das heisst, wir
sparen drei von sieben Stunden Marschzeit und 850 Meter Höhendifferenz, die wir
nicht zu bewältigen brauchen und dessentwegen ich schon lange Bauchweh hatte, weil
es für mich morgen der erste Wandertag ist. Der Begriff Faultierbagger ist aber auf
jeden Fall geprägt für diese Sommerwanderung.
Direkt erleichtert können wir bald darauf das herrliche Risotto draussen im
Wintergarten geniessen, umgeben von den wun-derschönen Geranien, welche die Wirtin
nun bereits seit 17 Jahren immer wieder neu zum Blühen bringt. Als
Verdauungs-spaziergang nach dem Vanilleglacé-Rhabarberkompott-Dessert schlendern
ein paar abermals ins Dorf und man berauscht sich an der würzigen Bergluft, die vom
Duft des eingebrachten Heu und Emds eines sonnigen Tages gesättigt, sich am zu Ende
gehenden Tag noch mehr konzentriert.
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