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Um 7 Uhr ist Frühstück mit feinem, frisch herbeigeschafftem Brot und grossen
Portionen vom einheimischen Alpkäse.
Keiner will nun freiwillig den langen Anmarsch durchs lange Val Camadre in Kauf nehmen
und mein Startfoto mit allen Zehn auf dem Bild gelingt sogar ohne zu schummeln. Der
Spiegel an der Strasse macht's möglich!
Zuerst holt das normal grosse Postauto in Aquilesco noch mehr Leute ab und nach Cozzera
geht's dann auf abenteuerlich schmaler Strasse immer weiter und höher das noch im
morgendlichen Schatten liegende Tal hinan bis wir zuhinterst bei einer kleinen Ebene, bei
Pian Geirett auf 2012 m unsere Wanderstöcke spitzen und die Rucksäcke satteln.
Zweihundert Meter über uns und in 55 Minuten erreichbar, sieht man gerade das spitze
Dach der neu gestalteten Capanna Scaletta in der Morgensonne glänzen. In Rinnen und
Schrunden rauschen Wässerchen und Bäche zu uns herunter.
Durch den Einschnitt des Greinapasses erreichen nun bereits die ersten Strahlen der Sonne
die fast flache Weide des Pian Geirett, wo sich die Wasser des Brenno sammeln und das
Vieh des Senns sein Frühstück sucht.
Für uns beginnt der Aufstieg der Sonne entgegen. In zerklüftetem Gestein sucht
sich das Wasser von der Wasserscheide oben am Pass Crap seinen Weg über Kaskaden und
stiebende Wasserfälle seinen Weg zwischen uns und der Scaletta-Hütte, welche
nun schon bald auf gleicher Höhe drüben auf einem Bödeli erscheint.
Während wir fast schon mit Blickkontakt zu unserem ersten zu erklimmenden
Höhepunkt, dem Greinapass eine Verschnaufpause einlegen, lässt es sich Hedi
nicht nehmen, einen kurzen Abstecher und Stippvisite zur Hütte zu machen. Einst nur
Wetterschutzhütte, wurde sie 1995 vom Tessiner Alpenclub SAT neu erbaut und
erweitert und verfügt nun über 56 Schlafplätze. Eine gute Alternative
für Greina-Wanderer, damit man auf Faultierbagger verzichten könnte.
Hier müssen wir auch den Bach überqueren, in welchem in einer Schattenmulde
noch grosse Schneereste liegen geblieben sind und dessen stiebende Nebel mich weiter
unten im Gegenlicht so fasziniert haben.
Dann sind auf einer kahlen Geröllhalde weisse Steinkreise gezeichnet oder besser
gesagt, jemand hat mit weissen Steinen ein Labyrinth hingelegt. Nachahmer haben dies
etwas weiter auch noch probiert und etwas später auf dem Pass Crap oder Greinapass,
wo man den Gwunder stillen kann, wie es auf der andern Seite aussieht, weiss man nun, wo
all diese weissen Steine dafür geholt wurden. Schneeweisse, kahle Felsen im
Einschnitt heben sich von den dunklen Flanken des Piz Greina ab. Sie scheinen hier die
Wasserscheide zu bilden, denn noch vorher in einer grünen, von vielen weissen
Schafen mit braunen Nasen bevölkerten Mulde, mäandern Wasser und
Wässerchen, bevor sie sich über die stiebenden Wasserfälle hinunter mit
dem Brenno vereinen und sich Richtung Po und Mittelmeer verabschieden.
Hinter den steilen Aussenfelsen dieser weissen Steinmasse, die mich fast an ein
gewaltiges Spiegelei am Fusse des Piz Greina erinnern und dessen Mitte noch immer mit
Schnee ausgefüllt ist, beginnen sich die Wasser nach der andern Seite zu
orientieren, wo sie sich schon schnell eine tiefe Schlucht in das offensichtlich weiche
Gestein gefressen haben, um dann dem Rhein entgegen und mit ihm in die Nordsee zu
fliessen. Welchem Zweck wohl diese Hütte im Zentrum dieser geheimnisvollen
Steinarena dient, rätseln wir während unserer Mittags-Picknick-Rast in dieser
fast an eine Mondlandschaft erinnernde Umgebung.
Das weisse Material, das vielleicht Gips oder Kreide sein könnte begleitet uns
weiter durch das wunderschöne Gebiet der Plaun la Greina. Manchmal erheben sich
Klippen, die wie an die Kreidefelsen auf Rügen erinnern, an deren Fuss sich das
glasklare und türkisblaue Wasser der Überresten von Gletschern und von den
Berghängen immer weiter in das malerische Schlüchtchen frisst.
Bald öffnet sich das Tal in eine weite, grüne Ebene mit saftigen Alpwiesen,
in welchem sich neben Viehherden auch Murmeltiere tummeln, manchmal kaum einen Meter
neben dem Wanderweg. Die längste Zeit werden so eine Gruppe Wandervögel und
zwei neugierige Jungtiere gegenseitig beäugt.
Das Gebiet hier ist nun schon ziemlich sumpfig, wohl weil sich das Wasser nicht
entscheiden kann, in welche Richtung es nun fliessen soll. Deshalb leuchten hier auch
überall die weissen Fruchtstände des Wollgrases aus den matschigen Matten. Beim
Crap la Crusch, beim grossen Felsen mit dem Eisenkreuz und dem schönen Steinmannli
daneben, scheiden sich wiederum die Wasser, zwar nicht ganz so augenfällig, aber
auch unsere Wege. Die Leute scheinen ganz offensichtlich zuwenig gefordert, denn aller
Sinn steht für eine zusätzliche Schlaufe in Richtung Capanna Motterascio,
welche laut Wegweiser nur 35 Minuten entfernt ist. Vielleicht nur, bis man die Hütte
sehen kann, oder vielleicht gibt's einen Kaffee oder ein Bierchen…
Zwei versuchen's erleichtert ohne Rucksack, welcher hinter einem Stein auf die
Rückkehr des Besitzers wartet.
Hans, Annigna und ich wenden uns nordwärts auf dem Weg Richtung Terri-Hütte,
der uns nun zuerst über den nun schon viel breiter gewordenen Rein da Sumvitg
führt. 1991 wurde aus zwei Eisenträgern ein schmaler Steg über den Bach
gebaut und wohl auch dieser an ein Iglu erinnernde Steinhaufen, in welchem Hans einen
Deckel von einer Eisenbox entdeckt. Es kommt ein richtiges Gipfelbuch zum Vorschein, wo
nun Hans, Annigna's und mein Name davon zeugen, dass wir am 13.8.2013 auf dieser
Greina-Tour hier an all diesen malerischen kleinen Seelein oder Wasserlöchern -
vielleicht sind es auch zahlreiche verstopfte Dolinen, in denen sich das Blau des Himmels
mit seinen Wolken widerspiegelt - vorbeigekommen sind.
In der Nähe einer nichtverstopften Doline, in welcher ein ganzer Bach sang- und
klanglos und spurlos verschwindet, legen wir eine Rast ein und warten auf die
Nimmersatten. Aber nur Knud erscheint. Er war einer von den beiden, die ihren Rucksack
zurückgelassen hatten und weil sich am Horizont schnell ziemlich dunkle Wolken
entwickelt haben und er seinen Regenschutz folglich nicht bei sich hatte, kehrte er um
noch bevor die Hütte erreicht war in welcher die andern nun eben doch noch einkehren
wollten. Also machen wir vier uns nun auch auf den restlichen Weg, denn bis zur
Terri-Hütte ist es immer noch fast eine Stunde. Der Weg führt uns weder steil
auf- noch abwärts und immer mit weitem Blick über die von Wasser durchsetzte
Ebene, sei's etwas weiter drüben im kiesigen Bett in vielen Rinnsalen der Rein da
Sumvitg oder in der Nähe in einem Bächlein, welches sich auf Umwegen über
viele Windungen Tümpel und Mäander in einer sattgrünen Wiese das
Gefälle sucht, welches ihm erlaubt etwas weiter vorn, wo einst die Staumauer geplant
war, sich über den tosenden Wasserfall hinunter auf den Weg zum Rhein und zur
grossen weiten Welt zu machen.
Einmal gibt es gar ein kurzes Nervenkitzel. Ketten, fest im Fels verankert, geben aber
die Sicherheit, einen Felsbrocken problemlos zu erklettern und schon geht es nur noch
leicht abwärts, vorbei an mit Wollgras bestandenen Seelein. Wenn man die Umgebung
gut beobachtet, soweit das eben geht, wenn man auf den Weg achten muss, lassen sich auch
hier in der Nähe oder auch weiter weg Steinböcke beim Grasen beobachten.
Dann liegt plötzlich auf einem Hügel und nun doch noch von der Sonne
beschienen, die Terri-Hütte ein bisschen unterhalb vor uns.
Es ist eine ziemlich neu renovierte, geräumige SAC-Hütte, wo wir eine halbe
Stunde später, in welcher die andern nun auch eingetroffen sind, einen Raum mit 14
Schlafplätzen für uns allein erhalten. Auch diese Betten sind heute alle mit
Duvets ausgestattet und man muss sich nicht mehr mit den kratzigen, schweren
Militärwolldecken begnügen. WC's und Waschräume sind im Untergeschoss im
Haus integriert und niemand muss in der Nacht mit der Taschenlampe den Weg aufs
Häuschen suchen gehen. Weil Montag ist, sind ‚nur' etwa 70 Gäste hier,
aber trotzdem herrscht ein reger Betrieb. Es sind auch Kinder da und so
‚läuft' etwas, nicht allein die Brunnenröhre im Trog vor dem Haus.
Bis es um sieben Uhr Nachtessen gibt, kann man sich in zerlesenen Büchern die noch
spannende Geschichte der Gegend hier in der Greina einverleiben. Einst war ein
Pumpspeichersee mit einer 80 Meter hohen Staumauer geplant und die Konzession an die NOK
bereits erteilt, welcher die wunderschöne Gegend hier hätte unter Wasser setzen
wollen. Ein Sturm ging durch die Schweiz und ein politisches Hickhack brachte eine
Lösung auf den Tisch, dass die arme Bergbevölkerung anstatt ihre wunderbare
Landschaft gegen Wasserzinse an die Stromindustrie verkaufen zu müssen, für das
Nichtverkaufen mit einem Landschaftsrappen, berechnet aus den mit Wasser produzierten
elektrischen Leistungen entschädigt wurde. Die Greina wurde ins Bundesinventar der
Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgenommen und unter
Schutz gestellt.
as Menü steht heute auf einer Schiefertafel beim Eingang angeschrieben. Als Fleisch
gibt es auch heute, wie jeden Tag Voressen oder Saucenfleisch, diesmal mit einer feinen
Polenta, welches auf einen Teller Suppe und einen Salat folgt und zum Dessert noch ein
grosses Stück Schoggi-Lebkuchen.
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