zum vorherigen Tag 13. August 2013 zum nächsten Tag

Um 7 Uhr ist Frühstück mit feinem, frisch herbeigeschafftem Brot und grossen Portionen vom einheimischen Alpkäse.
Keiner will nun freiwillig den langen Anmarsch durchs lange Val Camadre in Kauf nehmen und mein Startfoto mit allen Zehn auf dem Bild gelingt sogar ohne zu schummeln. Der Spiegel an der Strasse macht's möglich!
Zuerst holt das normal grosse Postauto in Aquilesco noch mehr Leute ab und nach Cozzera geht's dann auf abenteuerlich schmaler Strasse immer weiter und höher das noch im morgendlichen Schatten liegende Tal hinan bis wir zuhinterst bei einer kleinen Ebene, bei Pian Geirett auf 2012 m unsere Wanderstöcke spitzen und die Rucksäcke satteln. Zweihundert Meter über uns und in 55 Minuten erreichbar, sieht man gerade das spitze Dach der neu gestalteten Capanna Scaletta in der Morgensonne glänzen. In Rinnen und Schrunden rauschen Wässerchen und Bäche zu uns herunter.
Durch den Einschnitt des Greinapasses erreichen nun bereits die ersten Strahlen der Sonne die fast flache Weide des Pian Geirett, wo sich die Wasser des Brenno sammeln und das Vieh des Senns sein Frühstück sucht.
Für uns beginnt der Aufstieg der Sonne entgegen. In zerklüftetem Gestein sucht sich das Wasser von der Wasserscheide oben am Pass Crap seinen Weg über Kaskaden und stiebende Wasserfälle seinen Weg zwischen uns und der Scaletta-Hütte, welche nun schon bald auf gleicher Höhe drüben auf einem Bödeli erscheint. Während wir fast schon mit Blickkontakt zu unserem ersten zu erklimmenden Höhepunkt, dem Greinapass eine Verschnaufpause einlegen, lässt es sich Hedi nicht nehmen, einen kurzen Abstecher und Stippvisite zur Hütte zu machen. Einst nur Wetterschutzhütte, wurde sie 1995 vom Tessiner Alpenclub SAT neu erbaut und erweitert und verfügt nun über 56 Schlafplätze. Eine gute Alternative für Greina-Wanderer, damit man auf Faultierbagger verzichten könnte.
Hier müssen wir auch den Bach überqueren, in welchem in einer Schattenmulde noch grosse Schneereste liegen geblieben sind und dessen stiebende Nebel mich weiter unten im Gegenlicht so fasziniert haben.

startklar die Bäche sammeln sich stiebende Wasserfälle der Sonne entgegen durch den Bach

Dann sind auf einer kahlen Geröllhalde weisse Steinkreise gezeichnet oder besser gesagt, jemand hat mit weissen Steinen ein Labyrinth hingelegt. Nachahmer haben dies etwas weiter auch noch probiert und etwas später auf dem Pass Crap oder Greinapass, wo man den Gwunder stillen kann, wie es auf der andern Seite aussieht, weiss man nun, wo all diese weissen Steine dafür geholt wurden. Schneeweisse, kahle Felsen im Einschnitt heben sich von den dunklen Flanken des Piz Greina ab. Sie scheinen hier die Wasserscheide zu bilden, denn noch vorher in einer grünen, von vielen weissen Schafen mit braunen Nasen bevölkerten Mulde, mäandern Wasser und Wässerchen, bevor sie sich über die stiebenden Wasserfälle hinunter mit dem Brenno vereinen und sich Richtung Po und Mittelmeer verabschieden.
Hinter den steilen Aussenfelsen dieser weissen Steinmasse, die mich fast an ein gewaltiges Spiegelei am Fusse des Piz Greina erinnern und dessen Mitte noch immer mit Schnee ausgefüllt ist, beginnen sich die Wasser nach der andern Seite zu orientieren, wo sie sich schon schnell eine tiefe Schlucht in das offensichtlich weiche Gestein gefressen haben, um dann dem Rhein entgegen und mit ihm in die Nordsee zu fliessen. Welchem Zweck wohl diese Hütte im Zentrum dieser geheimnisvollen Steinarena dient, rätseln wir während unserer Mittags-Picknick-Rast in dieser fast an eine Mondlandschaft erinnernde Umgebung.
Das weisse Material, das vielleicht Gips oder Kreide sein könnte begleitet uns weiter durch das wunderschöne Gebiet der Plaun la Greina. Manchmal erheben sich Klippen, die wie an die Kreidefelsen auf Rügen erinnern, an deren Fuss sich das glasklare und türkisblaue Wasser der Überresten von Gletschern und von den Berghängen immer weiter in das malerische Schlüchtchen frisst.

Greinapass vor zweiundzwanzig Jahren Labyrinthe geheimnisvolle Steinarena durch die Plaun la Greina Kreidefelsen

Bald öffnet sich das Tal in eine weite, grüne Ebene mit saftigen Alpwiesen, in welchem sich neben Viehherden auch Murmeltiere tummeln, manchmal kaum einen Meter neben dem Wanderweg. Die längste Zeit werden so eine Gruppe Wandervögel und zwei neugierige Jungtiere gegenseitig beäugt.
Das Gebiet hier ist nun schon ziemlich sumpfig, wohl weil sich das Wasser nicht entscheiden kann, in welche Richtung es nun fliessen soll. Deshalb leuchten hier auch überall die weissen Fruchtstände des Wollgrases aus den matschigen Matten. Beim Crap la Crusch, beim grossen Felsen mit dem Eisenkreuz und dem schönen Steinmannli daneben, scheiden sich wiederum die Wasser, zwar nicht ganz so augenfällig, aber auch unsere Wege. Die Leute scheinen ganz offensichtlich zuwenig gefordert, denn aller Sinn steht für eine zusätzliche Schlaufe in Richtung Capanna Motterascio, welche laut Wegweiser nur 35 Minuten entfernt ist. Vielleicht nur, bis man die Hütte sehen kann, oder vielleicht gibt's einen Kaffee oder ein Bierchen…
Zwei versuchen's erleichtert ohne Rucksack, welcher hinter einem Stein auf die Rückkehr des Besitzers wartet.

gwundrige Murmelkinder Kletterpartie durch den Bach Crap la Crusch Gipfelbuch sie haben den Lago di Luzzone gesehen

Hans, Annigna und ich wenden uns nordwärts auf dem Weg Richtung Terri-Hütte, der uns nun zuerst über den nun schon viel breiter gewordenen Rein da Sumvitg führt. 1991 wurde aus zwei Eisenträgern ein schmaler Steg über den Bach gebaut und wohl auch dieser an ein Iglu erinnernde Steinhaufen, in welchem Hans einen Deckel von einer Eisenbox entdeckt. Es kommt ein richtiges Gipfelbuch zum Vorschein, wo nun Hans, Annigna's und mein Name davon zeugen, dass wir am 13.8.2013 auf dieser Greina-Tour hier an all diesen malerischen kleinen Seelein oder Wasserlöchern - vielleicht sind es auch zahlreiche verstopfte Dolinen, in denen sich das Blau des Himmels mit seinen Wolken widerspiegelt - vorbeigekommen sind.
In der Nähe einer nichtverstopften Doline, in welcher ein ganzer Bach sang- und klanglos und spurlos verschwindet, legen wir eine Rast ein und warten auf die Nimmersatten. Aber nur Knud erscheint. Er war einer von den beiden, die ihren Rucksack zurückgelassen hatten und weil sich am Horizont schnell ziemlich dunkle Wolken entwickelt haben und er seinen Regenschutz folglich nicht bei sich hatte, kehrte er um noch bevor die Hütte erreicht war in welcher die andern nun eben doch noch einkehren wollten. Also machen wir vier uns nun auch auf den restlichen Weg, denn bis zur Terri-Hütte ist es immer noch fast eine Stunde. Der Weg führt uns weder steil auf- noch abwärts und immer mit weitem Blick über die von Wasser durchsetzte Ebene, sei's etwas weiter drüben im kiesigen Bett in vielen Rinnsalen der Rein da Sumvitg oder in der Nähe in einem Bächlein, welches sich auf Umwegen über viele Windungen Tümpel und Mäander in einer sattgrünen Wiese das Gefälle sucht, welches ihm erlaubt etwas weiter vorn, wo einst die Staumauer geplant war, sich über den tosenden Wasserfall hinunter auf den Weg zum Rhein und zur grossen weiten Welt zu machen.
Einmal gibt es gar ein kurzes Nervenkitzel. Ketten, fest im Fels verankert, geben aber die Sicherheit, einen Felsbrocken problemlos zu erklettern und schon geht es nur noch leicht abwärts, vorbei an mit Wollgras bestandenen Seelein. Wenn man die Umgebung gut beobachtet, soweit das eben geht, wenn man auf den Weg achten muss, lassen sich auch hier in der Nähe oder auch weiter weg Steinböcke beim Grasen beobachten.

Nervenkitzel Wollgras-Seelein die Terri-Hütte jetzt kommen auch die Nimmermüden Schoggikuchen-Dessert

Dann liegt plötzlich auf einem Hügel und nun doch noch von der Sonne beschienen, die Terri-Hütte ein bisschen unterhalb vor uns.
Es ist eine ziemlich neu renovierte, geräumige SAC-Hütte, wo wir eine halbe Stunde später, in welcher die andern nun auch eingetroffen sind, einen Raum mit 14 Schlafplätzen für uns allein erhalten. Auch diese Betten sind heute alle mit Duvets ausgestattet und man muss sich nicht mehr mit den kratzigen, schweren Militärwolldecken begnügen. WC's und Waschräume sind im Untergeschoss im Haus integriert und niemand muss in der Nacht mit der Taschenlampe den Weg aufs Häuschen suchen gehen. Weil Montag ist, sind ‚nur' etwa 70 Gäste hier, aber trotzdem herrscht ein reger Betrieb. Es sind auch Kinder da und so ‚läuft' etwas, nicht allein die Brunnenröhre im Trog vor dem Haus.
Bis es um sieben Uhr Nachtessen gibt, kann man sich in zerlesenen Büchern die noch spannende Geschichte der Gegend hier in der Greina einverleiben. Einst war ein Pumpspeichersee mit einer 80 Meter hohen Staumauer geplant und die Konzession an die NOK bereits erteilt, welcher die wunderschöne Gegend hier hätte unter Wasser setzen wollen. Ein Sturm ging durch die Schweiz und ein politisches Hickhack brachte eine Lösung auf den Tisch, dass die arme Bergbevölkerung anstatt ihre wunderbare Landschaft gegen Wasserzinse an die Stromindustrie verkaufen zu müssen, für das Nichtverkaufen mit einem Landschaftsrappen, berechnet aus den mit Wasser produzierten elektrischen Leistungen entschädigt wurde. Die Greina wurde ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgenommen und unter Schutz gestellt.
as Menü steht heute auf einer Schiefertafel beim Eingang angeschrieben. Als Fleisch gibt es auch heute, wie jeden Tag Voressen oder Saucenfleisch, diesmal mit einer feinen Polenta, welches auf einen Teller Suppe und einen Salat folgt und zum Dessert noch ein grosses Stück Schoggi-Lebkuchen.


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