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Der Morgen bietet uns beim Blick aus dem Fenster ein herrliches Schauspiel. Die
ersten Sonnenstrahlen, die gerade hinter dem Matjischhorn hervor die Alpweiden
im Fondei abtasten wollen, müssen zuerst den ganzen Talkessel voller
heraufquellenden Nebels glattstreichen. Es gibt einen Kampf gegen die Sonne und
von der Weissfluh her kommt Unterstützung mit dunkelgrauen Wolken, sodass
wir nach dem Frühstück in eine eher trübe Landschaft
losmarschieren müssen. Man weiss wieder nicht, ob man nun den Regenschutz
schon anziehen will oder nicht. Wir warten's mal ab, denn kalt ist es eigentlich
nicht.
Obwohl es heute über einen Pass geht, ist der Aufstieg recht sanft, nur
etwa zweihundert Höhenmeter Differenz zum Fondei. Die Landschaft ist
beruhigend, mit Moorwiesen und greinaähnlichen, mäandernden
Bächlein, weit abgeschieden von den nächsten Nachbarn, ab und zu mal
wieder ein einsames Gehöft. Die Familie Berger, wohl der hinterste Hof der
Streusiedlung im Fondei, bietet in ihrem Hofladen Strassberger Alpkäse an.
Der "Laden" ist etwa so gross wie ein Milchkasten und die Anleitung, wie man zu
einem Stück 2015er oder einem etwas reiferen 2014er Käse kommt, ist
genau aufgelistet: 1. TÜRE auf, 2. KÄSE raus, 3. TÜRE zu, 4.
BEZAHLEN! Vielen Dank! und ein Pfeil weist auf einen Kässelischlitz. Wenn
man die Tür aufschiebt, kann man aus der linken Hälfte des Kastens ein
Stück vom gewünschten Käse auswählen. Ein Stück zu 250
Gramm, sauber eingeschweisst, kostet 5 Franken. Wenn man die Tür wieder
schliesst, schiebt sich der Kässelischlitz wieder vor die rechte
Hälfte des Kastens und das Geld fällt dort hinein, wo man keinen
Zugriff hat. Ein cleveres Patent. Irene nimmt vom Reiferen und ich vom Neuen und
beim Picknicken können wir dann gegenseitig probieren.
Ab und zu hört man die schrillen Pfiffe der Murmeltiere. Diesmal sollte es
doch eher in der Nähe sein? Auf einem Erdwall entdecken wir zwei muntere
Spielgesellen. Knud macht gerade eine patentreife Erfindung. Er benützt den
Feldstecher als Fernrohr vor dem Auge der Handy-Kamera und das Ergebnis ist
umwerfend. Er kann die Burschen noch näher heranholen als ich mit meinem
20-fach Zoom, auf welches ich mir immerhin etwas einbilde.
Rainer hingegen, den wir auf die Murmeli aufmerksam machen wollen, geht weiter
und murrt, er wisse ja, wie Murmeltiere aussehen. Es ist wohl langweilig mit
uns, vorhin musste man schon wegen des Käses auf uns warten.
Wir sind aber trotzdem gut vorangekommen, denn eh man sich's versieht, ist man
schon am Durannapass angelangt. Rechts daneben in sattem Grasgrün der
Grünsee und eine einzelne Ente im Schilf. Wie die wohl hierher gefunden
hat? Der Wegweiser für den Walserweg, der von Langwies nach Klosters
führt, möchte uns dorthin über Kreuzweg und Casannapass lotsen,
wir haben aber den Weg übers Fideriser Obersäss und die Conterser
Schwendi herausgesucht. Ausserdem tönt Conterser Schwendi gut, denn da
kommt bei mir gerade etwas wie Heimweh auf. Erinnerungen an die Fahrten, die ich
im Winter mit Edith, die mir das Skifahren beigebracht hat, vom Weissfluhjoch
oder gar -Gipfel bis nach Küblis genossen habe. Eine Einkehr in der
Conterser Schwendi war geradezu ein Muss und gerne würde ich auch heute
dort einkehren. Ich verspreche allen, dort eine Runde auszugeben.
Nur eine Viertelstunde nach dem Pass kommt schon das Obersäss in Sicht.
Das Wollgras in den moorigen Wiesen wird abgelöst durch das golden
leuchtende Fuchssche Geisskraut, welches ergänzt mit blauem Eisenhut und
den weissen Wolken am Himmel meinen Fotroapparat gerade wieder heiss laufen
lässt. Willkommen im Prättigau!
Dann kommen Weidenröschen in Germer- und Enzianwiesen, Bäche sind zu
überqueren und immer wieder habe ich die Möglichkeit, Schafgarben zu
knipsen. Sie sind weiss oder rosa, haben meist gefiederte Blätter, aber
einmal auch deutlich anders. Ich werde damit dann daheim die Moschus-Schafgarbe
bestimmen. (Ich fand sie unter meinen Jagdtrophäen, aber es war jene, die
ich im Süsertal drüben dann auf steinigem Boden gefunden habe.)
Schon kommt jener Hang, wo man zwischen tief verschneiten Tannen zum letzten
Schwung ansetzte und dann liegt die Conterser Schwendi vor uns - einsam und
nüchtern, kein Gerangel um freie Sonnenplätze auf der Terrasse. Wegen
ZU geschlossen! Also lassen wir halt den Schwendikafi links liegen und stechen
in die Tiefe, aber auch im Schiefer könnte man höchstens an einem
Automaten irgendwelche Getränke bekommen. Verwaist auch die Bahn aufs
Weissfluhjoch, die ebenfalls nur im Winter betrieben wird. Am Weg bis Klosters
sind ja noch mehr Bergwirtschaften, wie zum Beispiel die Serneuser Schwendi und
irgendwo müssen doch auch Sommerwandrer einkehren können! Aber auch
dort, wo nun wirklich eine Rast fällig ist, wächst auf der
Sonnenterasse meterhoch Unkraut und geduldig wartet man bis es wieder schneit
und dann das Getöse wieder losgeht. Der Tag hat sich heute doch noch zu
einem sonnigen und warmen Tag gemausert und nun müssen wir halt unsern
Durst aus der Feldflasche löschen. Ich freue mich jetzt auf das letzte
Teilstück, vor allem das von hier bis zum Cavadürli, welches ich mit
den Ski besonders geliebt habe. Bis zum Brüggli im Drostobel, dann
über eine Wiese und noch etwas durch den Wald, wo man die Ski einfach so
schön gemütlich durch den weichen Schnee fahren lassen konnte. Aber
auch hier sieht es heute ganz anders aus. Brüggli, wo bist du? Ein Murgang
hat das Bachbett hier garstig ausgewaschen und für eine Weile die Strasse
als Fluss missbraucht. Ausgefranstes Schwemmholz, Geröll und Steine
begleiten uns noch ein gutes Stück des Weges.
Von hier aus auch erster Sichtkontakt mit dem Alpenrösli, hoch über
Klosters, weit oben am Waldrand. Wegen mir fährt im Cavadürli gerade
eben ein Zug ein, der auf irgendwessen Verlangen sogar anhält. In der
Rüti plätschert wegen Irene nochmals ein Brunnen zum Kneippen und dann
kommt der Endspurt hinunter zur Gotschnabahn-Talstation. Von hier fährt
unter anderem ein Bus in die Nähe zum Alpenrösli hinauf, aber zuerst
gibt's im Alpina nun endlich ein kühles Bier und im Konsum Ersatz für
das Duschmittel, das im Strassberg liegen geblieben ist und beim Postomaten
Nachschub im Portemonnaie; wer weiss, wann wieder eine Gelegenheit kommt.
Pascals Feldstecher, der ebenfalls noch im Fondei liegt, wird unten in Langwies
in der Wirtschaft zwischengelagert, bis man demnächst dann einen Ausflug
dorthin macht. Unterdessen ist nun der letzte Bus zum Alperösli
weggefahren. Eigentlich gut, denn mit dem Gotschnataxi werden wir für 6
Franken pro Person bis vors Haus chauffiert, von der Busstation wäre es
wohl noch ein gutes Stück Fussmarsch gewesen. Vom Wanderweg reden wir gar
nicht, der sei dem kanalisierten Bach entlang bis dort hinauf langweilig.
Im Alpenrösli wird man mit überquellenden Blumentrögen empfangen,
von der Wirtin allerdings ein bisschen frostig. Pascal muss einen Rüffel
einstecken, denn heute, wo jeder ein Handy hat, könnte man melden, wenn nur
sechs Betten angezogen werden müssen, statt deren neun. Tatsächlich
steht für uns unter dem Dach ein offensichtlich nagelneues Massenlager mit
14 Schlafplätzen bereit. Neun davon sind mit weissen Daunenduvets und
Bettwäsche ausstaffiert, blitzblank und perfekt, nur dass wir heute das
Glück haben und keine nassen Kleider aufhängen müssen. Kein
einziger Haken ist dafür vorgesehen und um in die beiden oberen
Kajütenbetten zu kommen, ist auch keine Leiter oder sonst übliche
Kletterinstallation vorhanden. Rainer und Irene getrauen sich in der Nacht grad
nicht auf und am Morgen kommt sie ohne Hilfe trotz zwei Stühlen schon gar
nicht aus dem Bett.
Aber sonst ist diese Herberge hier ein Hit. Hierher kommt man, wenn man
gediegen ausgeht. Das Berghaus Alpenrösli landete letztes Jahr im Fernsehen
auf der kulinarischen Reise durch ‚mini Beiz, dini Beiz' auf dem 1. Platz.
Gediegen ist der Tisch gedeckt und umwerfend das Menü. Das Kotelette ist so
dick, wie nie und die Rösti so knusprig, wie schon lang nicht mehr. Wir
befinden uns dieses Jahr auf unserer Sommerwanderung wohl auch auf kulinarischen
Höhenflügen.
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