zum vorherigen Tag 31. Juli 20125 zum nächsten Tag

Ein neuer Morgen, mit fast wolkenlosem Blau begrüsst uns und lockt uns zu neuen Ufern. Mit Prisca und Dani ist unsere Gruppe wieder auf 8 angewachsen. Die Clemgia, deren Ufer wir ab heute noch bis fast zu ihrem Quellgebiet in der Nähe des Pass da Costainas folgen werden, frisst sich kurz vor Schuls durch eine tiefe Schlucht. Letzte Woche sind in Schuls schreckliche Unwetter niedergegangen und man hörte, dass S-charl, unser heutiges Ziel total von der Umwelt abgeschnitten sei. Murgänge haben die einzige Zufahrtstrasse verschüttet und zerstört. Auf unsere Anfrage bei Jon Duri Sutter, dem Wirt des Crusch Alba in S-charl, wurden wir beruhigt. Vorräte habe man noch genug und ab Freitag, also heute Abend sei die Strasse wieder hergestellt. Die Clemgia-Schlucht sei für Wanderer passierbar, dort habe die Natur nicht so arg gewütet.

Brücken in der Clemgia-Schlucht... ...geflickte... ...nagelneue... ...triefende... ...verschwundene

Unser Weg führt uns also bald im kühlen Schatten steiler Felswände über Brücklein hin und her über einen immer noch ziemlich wilden Bach, der auf seinem abenteuerlichen Weg in den letzten Tagen recht viel zersplittertes und geschundenes Holz von Stämmen und Wurzelstöcken mitgeschleppt hat. Spuren der Verwüstung sind aber auch hier auszumachen. Wir wagen uns über ein Brücklein, dessen Holz noch ganz neu ist, aber dessen tragender Balken bereits wieder arg verkantet unter der Brücke durchhängt. An einer andern Stelle liegen noch die Sägespäne am Boden und wir überschreiten ein nagelneues, fixfertiges Brücklein. Ein paar Meter oberhalb in einer Zuflussrinne des Bachs hängt drohend ein riesiger Felsbrocken, welcher es ganz offensichtlich beim nächsten Unwetter dann schaffen wird, auch diese Brücke zu zerschmettern. Vorsorglich hat man hinter dem nächsten Felsvorsprung bereits das nötige Holz zugeschnitten bereit gelegt, um das Brücklein dann gerade ein zweites Mal wieder neu zu erstellen. Nach etwa drei Kilometern öffnet sich die Schlucht wieder langsam und wir beginnen den Aufstieg und kommen bald auf die Höhe der Fahrstrasse, welche etwa hundert Meter weiter oben nach S-charl führt. Von dort kann man dann ab und zu einen atemberaubenden Blick hinunter in die erodierte und ausgewaschene Tiefe und an die gegenüberliegenden Steilhänge werfen, welche bereits zum Nationalpark gehören.

Erosion in der Schlucht die provisorische Militärbrücke Velos und Wanderer dürfen schon darüber Kies-Pyramiden alles war verschüttet

Hier wäre auch die Postautohaltestelle, welche aber erst ab heute Abend wieder bedient wird. Die Strecke sei von hier an nicht mehr so spektakulär, so dass man der langweiligen Teerwanderung ausweichen könnte, hiess es in den Beschreibungen. Wir haben aber nicht die Wahl. Ausserdem kommt bald die Stelle, wo die ganze Strasse wegerissen wurde und wo das Militär nun eine provisorische Elemente-Brücke hingestellt hat. An einem Picknickplatz gleich daneben gibt es einen bärensicheren Abfallkübel, dessen ausgeklügeltes Öffnungssystem nicht nur den Bären Knacknüsse aufgibt. Zum Glück können wir im Gegensatz zu ihnen wenigstens lesen, wie's geht. Noch etwas später verschwindet die Strasse in einem Tunnel, während die Fussgänger auf der alten Strasse, die noch aussen dem Fels entlang führt, in den Genuss kommen, sich an den bizarren, kiesigen Pyramiden zu ergötzen, die an den steilen Erosionshängen noch stehen geblieben sind. Später dann die Stelle, wo die Bagger den grossen Schuttkegel wegräumen und dem Bach das Bett wieder ausbaggern mussten, so dass die Wasser vom aufgestauten See wieder abfliessen konnten. Das Gröbste ist nun gemacht und ein Lastwagenfahrer erzählt uns, dass sie hier bei diesem wunderbar türkisblauen See, welcher ebenfalls noch das Resultat der Verschüttung ist, die Strasse neu machen mussten. Man habe etwa drei Meter hohen Schutt wegbaggern müssen und zum Planieren feinen Kies aussieben müssen, wobei man das Feine, welches drüben auf der andern Seite des Baches gewesen wäre, nicht nehmen durfte, weil es zum Nationalpark gehört. Sicher hat das jene Gämse ganz genau gewusst, sie hat sich jedenfalls von all den Baggern und Maschinen und auch von uns nicht vertreiben lassen und geniesst von der andern Seite ganz aus der Nähe den neuen Überblick über den wunderbar blauen, neuen See.

der neu aufgestaute See die Strasse musste auch erneuert werden Gämse auf der Nationalparkseite auf der Strasse nach S-charl Steinmannli-Gebiet

Auf einem weiten Bödeli mit Sicht hinunter zum Flussbett und in die steilen Waldhänge gegenüber in den Nationalpark, wo sicher jeder Besucher sein eigenes Steinmannli hinterlassen hat, machen wir Mittagsrast. Die Zeit reicht auch mir gerade, anstatt mein Sandwich zu verdrücken, ein zerstörtes, solches Steinmannli wieder auf seinem Platz aufzutürmen. Es sind immerhin 7 Steine, die beim Verlassen des Platzes noch nicht wieder zusammengestürzt sind.

kneippen im Waldbächlein über die schaukelnde Hängebrücke Guten Tag Herr Bär Ankunft im Crusch Alba noch prickeln die Füsse

Von hier führt der Wanderweg wieder von der Strasse weg. Der Einstieg ist zwar ebenfalls gerade verschüttet, aber nach zwei drei Kletterübungen nimmt uns bereits ein wunderschöner Lärchen- und Föhrenwald auf. Zwischen seinen Baumstämmen ist alles grün. Zuerst besteht dieser Teppich aus Gras, durch welches sich ein kleines Wässerchen schlängelt, in dem man unbedingt barfuss kneippen muss. Später besteht das Grün aus weichem Moos, welches Baumstrünke und einfach alles am Boden Liegende mit einem weichen Vlies überzieht, so dass man die grösste Lust bekommt, sich dort hineinzubetten. Doch die Kneipper haben ihre prickelnden Füsse bereits wieder in ihre Schuhe gesteckt und weiter geht's, über eine richtige Hängebrücke, die ganz schön wackelt. Also alles in allem eine aufregende und sehr abwechslungsreiche Strecke, wo man viel verpasst hätte, wäre ein Postauto gefahren.
So sind wir bereits in Schmelzra angekommen, dem Bergbau- und Bärenmuseum bei S-charl. Die Funktion eines Kalkofens wird einem hier am Wegrand erklärt, denn Silber- und Bleierz wurde hier am Mot Madlain abgebaut und eingeschmolzen. Der grosse hölzerne Bär aber, der einen vor dem Museum begrüsst, soll an den letzten Schweizer Braunbär erinnern, der 1904 hier erlegt wurde.
Und schon marschieren wir in S-charl ein. Das Crusch Alba ist jenes Hotel, in welchem wir vor zehn Jahren auf unserer Sommerwanderung, die uns über den Ofenpass und anschliessend von hier aus zur Lischanahütte brachte, unten im Keller im Massenlager übernachteten, dort, wo Marie-Louise von der Leiter zum obern Bett hinuntergekracht ist. Wir beziehen wieder den gleichen Raum und ich glaube das gleiche Nest wie damals. Die Aussicht, im muffigen Kellergewölbe schlafen zu müssen, dämpft ein bisschen die Begeisterung. Zum Glück ist draussen noch schönes Wetter und der Dorfbrunnen und auch jener gerade im hauseigenen Hof verführt zum ausgiebigen Kneippen. Dann lässt man sich in der gemütlichen Gartenwirtschaft zu einem Bierchen oder auch einem währschaften Coupe oder Heidelbeerdessert nieder.
Hinter dem Haus gäbe es auch noch Verschiedenes zu entdecken. Neben einem Beet mit den schönsten Kartoffelpflanzen ein Hinweis-Schild, dass hier "S-charler Pommes-Frites" wachsen. Die schön aufgeräumte Jurte, die für eine Apéro-Runde bereitgemacht ist, lässt vielleicht die Vermutung aufkommen, dass man sich wohl überlegt, ob diese möglicherweise die Massenlager im Keller ablösen könnte. Jon Duri Sutter selber hat ein bisschen Gewissensbisse, weil diese Einrichtungen nicht mehr so ganz zu seinem gediegen geführten Restaurant passen. Tatsächlich reiht sich auch unser heutiges Dinner wieder perfekt in die Liste unserer kulinarischen Höhenflüge auf unserer Sommerwanderung ein. Da gibt's zuerst Heusuppe mit Prosecco. Auf der Suche nach dem Heu wird uns erklärt, dass dieses mitgekocht, dann aber wieder daraus entfernt werde. Vielleicht hätte man einen Kampf mit den Halmen, aber die Suppe schmeckt jedenfalls sehr gut. Dann kann man sich vom Büffet seinen Salat selber zusammenstellen und zum Hauptgang gibt's dann Forellenfilet mit Kräutern, Reis und Wurzelgemüse. Dann die Käseplatte, die den Magen schliesst, aber für mich hat das Coupe Engadina trotzdem noch Einlass.
Hier in S-charl ist nun am Abend auch Marianne zu uns gestossen. Sie war auch eine Teilnehmerin am Nordischen Tanzfest und bei der Unterhaltung während des Heimflugs hat man entdeckt, dass sie zur gleichen Zeit in Schuls sein wird, wie wir. Also hat man gestern in Schuls vereinbart, dass sie uns heute hier treffen wird, um die letzten beiden Etappen noch zusammen mit uns weiter zu wandern. Da ein Gast vom gleichen Hotel heute eine Spezialfahrt nach S-charl buchen musste, um das hier blockierte Auto wieder herauszuholen, bot der Hotelier Marianne die Mitfahrgelegenheit an. Bei Jon Duri Sutter hat sie nun noch ein Zimmer bekommen und konnte gerade auch noch mit uns zusammen dinieren.

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