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In dieser Ruhe und Abgeschiedenheit haben wir aber trotzdem gut geschlafen und starten um halb neun, damit wir in Thusis auf die Postautos kommen, mit denen wir nach Präz und auf den Glaspass fahren wollen. Wir hatten gestern doch noch einen schönen und heissen Tag. Der erste Tag so an der Sonne hat bereits die ersten Spuren hinterlassen. Sonnenbrand - und Esti weiss dagegen ein Hausmittelchen. Sie hat ihr Handgelenk in ein grosses Blacken-Blatt (Wiesen-Sauerampfer) eingewickelt. Das bringe Linderung. Gut zu wissen! So schweben wir am frühen Sonntagmorgen schon wieder über die Auenlandschaft des Hinterrheins hinunter nach Rhäzüns. Diesmal ist kein zufälliges Postauto zu erwarten und auch ich muss mich langsam daran gewöhnen und schultere tapfer meinen Rucksack, er ist mit allem Proviant und Wasser gerade knapp zehn Kilo.
In Thusis am Busbahnhof fahren beide Postautos fast zur gleichen Zeit ab. Katrins Knie haben gestern etwas rebelliert, darum kommt sie jetzt auch mit mir und Lykke-Lise bis zum Glaspass, wo wir immerhin die Rucksäcke für heute wieder zuerst im Aufenthaltsraum des Berggasthaus Beverin, unserer Unterkunft deponieren und nehmen den Weg hinauf zum Glasergrat unter die Füsse. Es scheint, dass wir uns heute wegen Sonnenbrand keine Gedanken machen müssen. Das anfängliche Blau des Himmels macht sich langsam dünn und Nebelschwaden beginnen sich über die Höhen zu wälzen. Wir können unser Tempo gut so einteilen, dass wir auch noch Musse haben, all den Blumen am Weg ein bisschen von unserer Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Wetter hat sich bis am späten Nachmittag noch besonnen und wir können uns im Berggasthaus Beverin in der Sonne auf der Terrasse noch einen Apéro genehmigen. Wir können heute das einzige Mal auf dieser Sommerwanderung Hüttenromantik geniessen. Wir bekommen zwei Räume mit Matratzenlager, aber immerhin sind heute glaub bald überall die kratzigen Militärwolldecken durch frischbezogene Duvets ersetzt worden. Solange ich noch wach bin, herrscht auch angenehme, nächtliche Ruhe. Später kann man neben dem Beweis, dass auch ich eingeschlafen bin, draussen ein leises, rieselndes Plätschern vernehmen.

Ausgangspunkt Thusis über Präz Moor- oder Schlammbad? und auf dem Glaspass Nachtpfauenauge in spe

Es mutet allerdings bereits etwas herbstlich an, wenn der Purpurenzian blüht. Verblühte Glockenblumen sehe ich einmal mit andern Augen, denn die Form ihrer Samenkapseln habe ich noch nie gesehen. Auf dem Weg hinauf kommt man an "Haltestellen" vorbei, wo neben nicht schönen, dafür unverwüstlichen Ausruhebänken auch noch Infotafeln angebracht wurden, wo man sich über die Geologie des Beverin mit seinem schiefrigen Gestein, der Ursache des "im Fluss" befindlichen Heinzenbergs klug machen kann. Sogar ein Pseudo-Fernrohr aus nur einer kleinen Röhre hilft einem beim Begucken auf die Spur. Eine wunderschöne Raupe kreuzt unsern Weg. Dank meinem heimgebrachten Bild und Google kann ich sie daheim als Vor-Metamorphose des Nachtpfauenauges bestimmen. Auch eine noch nie gesehene Pflanze lässt uns raten. Sie hat anstatt Blätter ganz feine, tannennadelartige, grüne Würstchen und auf einem Stängel hat sie ebenfalls grüne Blüten. Oder sind es bereits Früchte, welche wie aufrechtstehende Haselwürstchen aussehen? Auch da werde ich fündig - es sei Bärlapp oder Schlangenmoos. Man findet auch andere unbekannte, noch blühende Orchideen und neben dem Purpurenzian sogar noch einen einsamen stängellosen Enzian, direkt neben einem kugelig geflochtenen Gebilde aus Schwemmholz. Eine Öffnung als Tür lässt raten, ob dies nun eine Schutzhütte, Wigwam, Unterstand oder einfach Kunst auf der Alp sein soll.
Dann haben wir den Glasergrat auf 2124 m erreicht. Auch hier eine "Haltestelle" auf dem Themenpfad "Ein Berg im Fluss" mit gezimmerter Sitzgelegenheit und ebenfalls, wie vorhin, einem Stück Stegelzaun, ein typisches Kulturgut der Walser.
Im Moment sieht man auf der einen Seite hinunter ins Safiental, dort wo wir vor vier Jahren von der Greina her über den Tomülpass vom Turahus her dem Hang entlang gewandert sind und unten in Safien das Postauto nach Tenna genommen haben. Nebelwolken hüllen aber die ober Hälfte dieser Bergkette ein und vom Domleschg her kommen ebenfalls immer mehr Nebel herauf. Aber es ist noch nicht so schlimm. Man kann das Erlebnis Berggrat noch voll auskosten. Ich liebe diesen Grat. Er ist mit Gras bewachsen und auf seinen steil abfallenden Flanken wächst viel Arnika. Der Weg hat manchmal nur etwa einen Meter Platz. Oft verläuft er leicht seitwärts etwas unterhalb des Grates, so dass man den Eindruck hat, auch dieser Weg sei bereits etwas abgerutscht. Auf den gescheiten Tafeln hat man gelesen dass ‚Rutschungen heute den gesamten Osthang des Heinzenbergs erfassen und ein eigentliches Bergzerreissen verursachen, eindrücklich angedeutet durch die Doppelgräte am Glasergrat und Lüschgrat'. Nur, so eindrücklich bringe ich das natürlich nicht aufs Bild. Ich bin begeistert und Lykke-Lise findet es merkwürdig.

man kann die Schieferformationen beobachten Männertreu, unbekannte Orchideen, Purpurenzian einstige Glockenblume und Schlangenmoos Wigwam? auf dem Glasergrat

Wir kommen zu einer Wegverzweigung, beide Wege führen zum Bischolpass, welchen wir als unser Ziel anvisieren, wo wir auf den andern Teil der Gruppe treffen möchten. Der eine Pfad führt steil hinauf über den Lüschgrat und der andere als Fahrweg ungefähr einer Höhenlinie entlang über die Lüschalp zum Bischolsee. Erst die Vehemenz, wie sich Lykke-Lise gegen einen weiteren Grat wehrt, macht mir bewusst, dass eine solche Gratwanderung für sie nicht dasselbe Vergnügen bedeutet, wie für mich, sie muss gelitten haben.
Ausserdem hat meine Dampfwalze mit den heutigen fast dreihundert Metern Aufstieg ihr Plansoll auch schon erfüllt. Das Beizlein auf der Lüschalp lassen wir links liegen und kommen schon bald zu den Seen. Der Pascuminersee liegt in einer kleinen Mulde, welcher gegen das Tal hin wie durch einen Damm abgegrenzt ist, auf welchem sich die weidenden Kühe gegen den Nebel abheben. Der andere, der Bischolsee hat einen besondern Reiz. Genau auf dem Pass gelegen, hat sich hier nach der Eiszeit ein Hochmoor gebildet. Ein dunkler See, dessen Wasser ruhig glänzend daliegt und einer Ente mit ihren Jungen ein Zuhause bietet. Das Besondere aber ist die Grasinsel, die wie ein verlockend flauschigweicher, grüner Teppich auf dem Wasser schwimmt. Die gescheiten Tafeln erklären auch hier das Werden dieses Schwingrasens aus Segge und Torfmoosen.

ein merkwürdiges Gefühl der Bischolsee gegrillte Hauswurst auf dem Bischolpass mit Piz Beverin der Pascuminersee

Wir können Verbindung aufnehmen mit den andern, die uns schon recht nah aufgerückt sind und wir verabreden uns im nahen Beizlein. Während der Wirt auch für uns eine seiner Hauswürste grillieren muss, die bei unserer Ankunft so verführerisch geduftet haben, halte ich mit meinem Zoom Ausschau zum nahen Tguma, ob von den Unseren dort schon bald wer zu sehen ist. Aber so, wie die Nebel dort oben herumschleichen, hat diese Grat- und Höhenwanderung nicht gepunktet und sie erscheinen unerwartet von der andern Seite her. Bei einem Bierchen wird nun ausgetauscht und der weitere Weg besprochen. Wir machen dabei Esti ganz glustig auf diesen Grat, von dem wir erzählen und sie entschliesst sich, wenigstens den Lüschgrat noch zu bezwingen, solange sollte das Wetter schon noch halten. Wir wollen uns dann beim ehemaligen Lüschersee wieder treffen und sie geht schon bald voraus. Wie es sich mit diesem einstigen See verhält, nimmt sie ebenfalls wunder. Alles wegen einem in der Karte eingezeichneten blauen Pfeil, welcher normalerweise einen Wasserfall bezeichnet. Aber nirgends ist ein Bach, von dem das Wasser kommen könnte. Wir haben in der Zwischenzeit von dem ‚Berg im Fluss' mitbekommen, dass hier in diesem schiefrigen Gebiet eine permanente Gefahr von Bergrutschen besteht und aus diesem Grund hat man vor hundert Jahren in dieser Gegend diese Gefahr ein bisschen entschärft, indem man den Lüschersee entwässert hat, um den Druck vom Wasser zu neutralisieren und dem Hang mehr Stabilität zu geben.

Tschappina und Domleschg der Auslass vom Lüschersee Stegelzaun Berggasthaus Beverin Wetterstation

Wegen Murmeltieren, die vor uns in Deckung gehen, verpassen wir dann aber den richtigen Pfad und wir sehen einfach nicht, wo denn hier einst ein See hätte gewesen sein können. Dafür kommen wir weiter unten an einen Bach, der aus einem Tunnel kommt und haben ungewollt den im Jahre 1916 gebauten Auslass des Sees gefunden. Esti, unser Kartenleseprofi ist halt noch über den Grat unterwegs und sie sucht uns nun vergeblich an jenem extra dafür gebauten Steg unterwegs auf dem Themenpfad, wo einem auf einer Infotafel die ganze Geschichte der Seeentleerung erzählt wird, aber sie findet im Moment auch dort keinen Wasserfall.


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