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Die Sonne hat uns auch heute vergessen, wie gestern früh liegt auch heute Wergenstein im Nebel. Nichts desto trotz wird am reichlichen Frühstückstisch zuerst kräftig zugelangt, hat uns doch der Duft vom frisch gebackenen Brot aus den Federn geholt. Wir wollen heute unsere Wanderung bei der Rofflaschlucht fortsetzen und damit unser Transportproblem keins mehr ist, anerbietet sich Lisa spontan, jenen Teil von Passagieren und Gepäck, welcher im Jeep keinen Platz mehr hat, mit ihrem Auto zum Start zu bringen. Sie ist ja so ein Schatz! Und sie fährt uns im niesligen Nebelregen voraus, aber nicht der Postautostrasse entlang über die weiten Spitzkehren nach Mathon und Lohn, sondern sie nimmt die Direttissima quasi über einen Feldweg, den zu fahren Fremde nie wagen würden, im Zickzack hinunter nach Donat und über Zillis und Andeer und dann bis zum Parkplatz beim Gasthaus Rofflaschlucht.
Wo einst der alte Säumerpfad durch die Schlucht führte, ist auch die
Strasse angelegt worden. Es ist zum Teil so eng, dass der Wanderweg für die
Via Spluga über dem Dach einer Galerie weiter geht, oder an einem
angelehnten Fussgängersteg, unten in der Tiefe die wilden Wasser des
Hinterrheins. Es gibt mal eine kleine Rast nahe am Wasser. Es ist jetzt
Himbeerenzeit und man lässt sich zur süssen Ernte verlocken. Nur die
meterhohen Büsche, welche ebenfalls verlockende, blaue Beeren etwa in der
Grösse der gezüchteten Heidelbeeren präsentieren, sollte man wohl
eher meiden. Mein Bauchgefühl meint Herbert warnen zu müssen und er
spuckt sein Probiererli wieder aus. Ein Bild, das ich zwecks Abklärung
mache, bestätigt daheim meine Vermutung. Ich kann im Internet die Schwarze
Heckenkirsche (Lonicera nigra) mit ihren Doppelbeeren eindeutig identifizieren.
Sie gehört zu den Geißblattgewächsen die schwarz-blaue Beeren
hat, welche giftig sind und Erbrechen, Übelkeit und Durchfall auslösen
können. Solches könnte man ja auf einer Wanderung nicht brauchen!
Der Regen hat Wunder getan und die Pilze wachgeküsst und ihr würziger
Duft begleitet unsere Schritte durch den Wald.
Um die Mittagszeit halten wir auf dem Bänkli vor einem aus Bruchsteinen gemauerten Gebäude Rast. Wir sind beim Festungsmuseum Crestawald angekommen und die meisten steigen auf Estis Vorschlag ein, diesem einen Besuch abzustatten. Sie hätte einen solchen für sich ins Auge gefasst, wenn sie, wie vorgesehen, gestern allein über die Cufercalhütte nach Splügen herunter gekommen wäre. Diese Festung ist ein Artillerie-Bollwerk, das 60 Jahre streng geheim gehalten wurde und in welchem fast hundert Männer den Grenzbereich gegen Italien schützten. Seit 2001 ist nichts mehr geheim und man ist willkommen, sich anzuschauen und vorzustellen, wie das Leben hier im Innern des Berges gewesen sein musste. Kalt auf jeden Fall, denn die Temperatur beträgt gerade etwa 14 Grad. Deshalb kann man sich zu Beginn an der Garderobe einen echten Kaputt ausleihen. Den grössten zur Verfügung stehenden bekommt Knud. Nun kann man durch die verwinkelten Gänge zu all den technischen Anlagen, Unterkünften und Ausstellungen gelangen. Die Einrichtungen sind so, wie sie waren mit ihrer Hierarchie, für Offiziere die Einzelzimmer und Soldaten die Holzpritschen, wie wir sie von unseren Bergwanderungen in SAC-Hütten auch noch kennen. Ob sie wohl diese als Übernachtungsmöglichkeiten anbieten, wie sie dies in ihrem Prospekt schmackhaft machen wollen? Beim Geschützstand der Kanone Lucrezia, welche Richtung Splügenpass gerichtet ist, erfährt man auf einem Video, wie der Befehl vom Ausguck weitergegeben wurde, wo man dann berechnete, wie man die Kanonen einstellen und ausrichten musste, ohne selber zu sehen, wohin sie zielt und sie dann mit der Munition beladen musste. Nach der Zündung, die den ganzen Berg in eine Rauchwolke hüllte, mussten die leeren Hülsen dann wieder neu gefüllt und einsatzbereit gemacht werden. Auch makaber anzusehen sind die Überreste von abgestürzten Bombern, wie sie in einer Ausstellung gezeigt werden. Am Schluss war der Besuch eigentlich entgegen meinen Erwartungen noch richtig interessant. Vom leeren Wachhäuschen vor der Porte muss ich noch ein Bild haben. Hier will ich dann Knud in seinem Kaputt mit meinem Fotobearbeitungsprogramm hinein-"bschysse".
Dann nehmen wir noch den letzten kurzen Aufstieg in Angriff und kommen kurz vor Sufers wieder zur Strasse und Autobahn am Sufnersee hinunter. Pascal und Priska waren nicht im Museum und sie wollen uns in Sufers warten. Eine grosse Auswahl an Restaurants gibt's aber hier nicht. Ein einziges unten bei der Tankstelle an der Autobahn, welches eigentlich nicht anmächelig ist für eine Einkehr und man begreift, dass die andern nun lange genug rumgesessen sind und überhaupt wollen alle weiter. Bis zum heutigen Ziel sind es nun nur noch etwa vier Kilometer, welche uns mit nicht mehr viel Steigung den Rheinwald hinauf bis nach Splügen führen. Kurz bevor das Dorf in Sicht kommt, stehen noch die Überreste der alten Burg. Ein malerischer Fensterbogen in der Mauer verleitet Esti dazu, ein bisschen Rapunzel zu spielen, aber ihr Winken beeindruckt heute keinen coolen Prinzen mehr. Ein vorbeiwanderndes Paar lässt sich hingegen gerade noch dazu überreden, mit unserer Kamera endlich mal ein Bild von allen acht Sommerwanderern zu machen, auf dass ich nicht wieder mogeln muss.
In Splügen erkennt man von weitem die Alte Herberge Weiss Kreuz und auch
das traditionsreiche Bodenhaus, welche wohl schon in der Säumerzeit
bestanden haben und in deren Gästebücher sich u.a. Nietzsche, Hans
Christian Andersen, Albert Einstein und Napoleon III eingetragen haben.
Unser Hotel Piz Tambo versteckt sich ein bisschen im alten Dorfkern inmitten der
eng zusammengebauten, malerischen Häuser, die zwischen sich nur eine
schmale, kopfsteingepflästerte Strasse dulden. Wir bekommen schöne
Zweierzimmer und schätzen den Komfort einer eigenen Dusche und WC.
Zum Apéro erwartet mich eine Überraschung. Lisa vom Munanella sitzt
an unserem Tisch und händigt mir in einer Tüte die Restanzen, die
heute bei ihr liegen geblieben sind aus. Jetzt ist sie extra wegen meinem
kleinen Schwarzen, dem superleichten T-Shirt, welches ich als mein Pyjama
bezeichne, hierher nach Splügen gefahren. Sie hat gerade letzte Woche auch
auf einer Wanderung hier übernachtet und wegen diesen Erzählungen
kannte sie unsere heutige Unterkunft. Wir laden sie gerade ein, dass sie uns
beim Nachtessen Gesellschaft leistet. Auf dem Menüplan steht für uns
heute: Karotten-Kabis-Suppe, kleiner gemischter Salat, Rindsgeschnetzeltes mit
Nudeln und Gemüse und zum Dessert eine gebrannte Crème.
Eigentlich ist ihr Besuch hier gerade eine gute Gelegenheit, die Pascal beim
Schopf packt und nach dem Essen mit ihr zusammen bis zur Rofflaschlucht
mitfährt, wo er seinen Jeep holen und hierher bringen kann. Auf dem Heimweg
kommt man ja mit dem Postauto von Chiavenna wieder hier nach Splügen.
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