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Weiter geht's heute Richtung Süden, zuerst dem Hüscherabach entlang
und beim ersten Stundenhalt haben wir gerade die Marmorbrücke erreicht. Das
Wetter ist heute wieder ein Mü besser, es zeigen sich schon ab und zu blaue
Störungen am Himmel. Esti hat den Dreh raus, wie man flache, ovale Steine
auf die Spitze stellen kann und anstatt ihre Beine auszuruhen, verziert sie das
Bachbett mit Aufmerksamkeit heischenden Steinmannlis. (Am Samstag hat man beim
Heimfahren mit dem Postauto dort von der Marmorbrücke aus immer noch welche
stehen sehen). Manchmal sieht man noch gut, wo hier der alte Saumpfad verlaufen
ist. Der mit grossen Gwäggis ausgelegte Weg, der den Mulis und Säumern
Trittsicherheit gab, hat Jahrhunderte überdauert.
Es ist jetzt Zeit, dass uns das Postauto einholt, mit dem Lykke-Lise sich den
heutigen Aufstieg etwas leichter macht. Sie will im Restaurant auf der
Passhöhe dann auf uns warten. Wir winken wie wild, so dass der
Postautochauffeur zurück hornt. Er hat wohl realisiert, dass er eine
kostbare Fracht mitführt. Selber aber, eingequetscht hinter ihrem Rucksack
im sowieso vollgestopften Bus, bekommt Lykke-Lise von allem nichts mit.
Bis jetzt waren die Anstrengungen noch ganz passabel, der Aufstieg leicht, aber stetig. Die Autostrasse hat uns bis hierher mehr oder weniger begleitet, aber jetzt beginnt sie sich in vielen Kehren den Berg hinanzuwinden, während unser Weg geradeaus die Direttissima nimmt und langsam kommt auch meine Dampfwalze wieder in Betrieb. Alles ist aber halb so schlimm, ich lasse mich ablenken und kann mich ergötzen über die Vielfalt der verschiedenen Blau all der Blumen, die auf dem Weg, zwischen den Steinen hervor und am ganzen Hang am Blühen sind. Das zwischen dem Gras in kräftigem Blau leuchtende kleine Sternchen, seien es nun Schnee-, Frühlings-, oder sonst irgendeine Enziansorte, machen mich glücklich und das Läuten all der tausend Glockenblumen kann ich in meiner Phantasie förmlich hören und die dritte Sorte von Blau, die zum Eisenhut gehört und die langsam auch auf dem Vormarsch ist, erinnert mich daran, dass der Herbst nun bereits nicht mehr fern ist. Und schon haben wir den Pass erreicht. Knud will zur Strasse hinüber, um im Restaurant Lykke-Lise abzuholen, aber hier ist wirklich nur der Grenzübergang und das Berghus Zoll mit dem Restaurant, das wir von weitem gesehen haben, liegt noch etwa einen Kilometer weit von hier entfernt in den Kurven vor der Passhöhe und dort wartet Lykke-Lise. Während Knud sie nun abholen geht, machen wir genau auf der Schweizergrenze inmitten all der herrlichen Blumenpracht unsere Mittagsrast.
Von nun an geht es nur noch abwärts. Zuerst auf einem richtig breiten Weg, der an einem Ort fast wie eine Autobahn mit Überholspur aussieht. Wir rätseln, ob hier wohl ein Teil des Säumerpfads abgerutscht ist und man dann die Gelegenheit benutzt hat, um die Kunst des Saumpfadbauens nachzuahmen. Nach einem kurzen Stück Geröll- und Steinwüste kommen wir aber schon wieder in eine sumpfige Wiese, wo widerkäuende Kühe auf dem Weg herumliegen oder im blühenden Wollgras weiden. Dort beim Italienischen Zollhaus kreuzen wir wieder die Splügenstrasse und überqueren noch weitere Bächlein. Einmal machen wir zusammen die Belastungsprobe eines Brückleins. Sieben Säumer trägt es gerade noch, aber den Achten muss ich nachher hineinmogeln.
Nun kommt der Lago di Monte Spluga in Sicht. Er scheint einen recht tiefen Wasserstand zu haben. Es ist ja ein Stausee, der gegen Süden hin mit zwei Mauern gestaut ist und auch das Dorf Monte Spluga sieht man nun, das fast nur aus einer einzigen Reihe von etwa sechs zusammengebauten Häusern zu bestehen scheint. Doch, eine Kirche ist auch noch da und im Umkreis herum verstreut ein paar weitere kleinere Häuser. Der erste Eindruck auf der Dorfstrasse vor dem rosaroten Hotel Vittoria mit seinen roten Sonnenschirmen und blauen Liegestühlen darunter, mit Sicht direkt auf die Strasse, die vom Pass her da vorbeiführt, am Ende bunt beflaggte Fahnenstangen und der See, vermittelt gerade richtig italienische Ferienstimmung. Im übernächsten Haus schon ist unser Albergo Posta, ein neu renoviertes und gediegen eingerichtetes Hotel, wo wir wiederum vier Zweierzimmer bekommen, Prisca und Esti sogar mit verschnörkelten Prinzessinnenbetten. Da man nun auch fliessendes Wasser und Dusche im Zimmer hat, können die alten Waschtische mit ihren Waschschüsseln und dazugehörigen Krügen neben alten Tret-Nähmaschinen nun als Dekoration auf den Gängen ihr Gnadenbrot fristen.
Wir sind bereits vor drei Uhr hier angekommen und haben noch wunderbar Zeit, uns unten am See ein Glacé zu genehmigen und auch sonst die nähere Umgebung noch ein bisschen zu inspizieren. Die hellbraunen Rösslein weiden dort, wo unser Weg morgen durchführen wird. Ohne nasse Füsse kommt man aber nicht bis zu ihnen durch. Gut haben wir das heute rekognosziert. Es ist also nichts mit der Abkürzung, denn die Brücke über den Bach, der vom Piz Tambo herunter kommt, ist fast einen Kilometer weiter drüben gegen Westen. Eigentlich reichte der See noch bis fast dorthin, als ich auf meiner Wanderung damals hier durch kam und jetzt weiden Rösslein auf diesen Auen! Wir geniessen auf unserem Rundgang durch das sumpfige Seegelände das langsame stiller Werden des Tages. Die Sonne, die uns heute doch noch ab und zu kurze Besüchlein abgestattet hat, ist nun definitiv hinter dem Piz Zoccone verschwunden, welcher zusammen mit dem Piz Tambo und dem Lattenhorn vom Splügen her im Westen die Schweizergrenze bilden.
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