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Vom Zimmer aus sieht man gerade, wie die aufgehende Sonne den Gletscher drüben am Piz Tambo mit rosaroten Tönen einfärbt und darüber ist der Schweizer Himmel wolkenlos blau. Endlich!
In den gediegenen, gewölbten Gaststube-Hallen gibt's noch ein stärkendes Frühstück, ehe wir wieder frisch gesattelt die zweitletzte Etappe unserer Via Spluga-Wanderung in Angriff nehmen. An das Bagage am Rücken hat man sich in der Zwischenzeit gewöhnt. Das Einlaufen ist angenehm, es geht ja fast eben dem spiegelblank daliegenden See entlang bis zu seiner Staumauer, welche die Cardinelloschlucht abriegelt und auf deren Krone man auf die linke Seite der Schlucht wieder auf den Saumpfad kommt. Von hier aus kann man einen Teil des Weges sehen, wie er sich den Felswänden entlang windet und langsam im Schatten der Schlucht verschwindet. Noch habe ich es von meiner ersten Wanderung lebhaft in Erinnerung, wie Stufen aus dem nackten Felsen gehauen worden sind und wo neben dem Weg manchmal die Felswand senkrecht abfällt.

Piz Tambo im Morgenglühen zuerst weit asusholen… Monte Spluga, ennet dem 'See' Hinter der Staumauer die Spalte der Cardinelloschlucht die Schlucht

Da stellt man sich vor, wie sie sich früher mit den beladenen Maultieren auch im Winter durchkämpften oder gar ganze Truppen vom napoleonischen Heer in Lawinen umkamen. Das sind Eindrücke, die bleiben. "Hier gibt es alles, was man an Grandiosem, Schrecklichem und Beängstigendem sehen kann" hat einer geschrieben. Aber dank des schönen Wetters ist es heute gar nicht schrecklich oder beängstigend. Wir sehen sogar Murmeltiere und hören das Gepiepse der jungen Falken, die von ihrer Mutter im Horst gefüttert werden. (vielleicht ein bisschen beunruhigend, dass es nur jene hören, denen diese Frequenz noch nicht abhanden gekommen ist…)
Nach Dreiviertelstunden ist man der Schlucht wieder entronnen und wir können unten am Bach über einen Steg auf die andere Talseite wechseln. Heerscharen von Saumpfadwanderern begegnen uns, alles Schüler, die das "Schreckliche" noch vor sich haben. Insbesondere den Aufstieg. Ich bin froh, geht es für uns nur abwärts.

der Weg hinunter sicher auch von Hand herausgearbeitet sogar komfortable Tritte doch eher 'merkwürdig' hinein ins Tal des Liro

Bei der Alp Soste sieht man nun plötzlich weit ins Tal des Liro hinunter, wohl bis dort, wo unser Ziel Chiavenna liegen muss. Noch geht es sachte hinunter und vorerst kommt man durch ein hölzernes Tor, wie auf eine amerikanische Ranch in das ziemlich genau auf 1500 m liegende Dörfchen Alpe Rasdeglia mit einem Kirchlein und ein paar hübschen, eng beisammenstehenden und mit Blumen geschmückten Chalets. Eine kurze Einkehr im schlichten Kirchlein und weiter geht's, leicht in der Höhe dem Liro entlang Richtung Süden.

Alpe Rasdeglia wie auf eine Ranch Rasdeglia Isola in Sicht Isola

In der Ferne leuchtet schon wunderbar blau der Lago d'Isola, an dessen Gestade wir eine knappe Stunde später unsere Mittagsrast halten. Ein so schön blauer See und bei diesem Sonnenschein nicht drin gebadet zu haben, das kann doch für Esti gar nicht sein, denn hier kann man sogar richtig schwimmen, nicht wie am Sonntag oben im Pascumin beim Bischolpass, wo sie vom Sumpfgras förmlich umspült worden ist.
Das Wetter ist heute so sonnig und warm, dass wir gerade dankbar darüber sind, dass unser Weg nun fast alles im Schatten des Waldes oder dem Waldrand entlang weiterführt. Wir werden immer begleitet vom munter dahinfliessenden Liro, der sich manchmal durch einen ganzen Wald von meterhohem Pestwurz schlängelt. Es scheint diesem wilden Rhabarber hier gut zu gefallen. Er überwuchert das ganze Ufergebiet und entwickelt riesige Elefantenohren-Blätter.
Eh wir's uns versehen, sind wir bereits beim Zeltplatz in Campodolcino angelangt. Ein Situationsplan zeigt uns an, dass das Ca de Val, unsere heutige Herberge gerade hinter der Kirche zu finden ist und ausserdem direkt an einer Brücke der Via Spluga, die noch aus der Römerzeit stammen soll. Es ist gerade drei Uhr und natürlich Siesta für Restaurant und Rezeption. Wir versuchen in der Nähe in einem Beizlein unseren Durst zu stillen, aber wir können gerade von Glück reden, dass wir bei der Tankstelle direkt an der lärmigen Durchgangsstrasse was zu sitzen finden, wo man auch noch, zwar wie es scheint, fast widerwillig, bedient wird.
Es hat geheissen, dass man hier im Casa per Vacanze nur Zimmer mit Frühstück bekomme, weshalb Esti und Prisca auf Erkundungstour gehen und im Ristorante la Cantina das Lokal für unser letztes gemeinsames Beisammensein in unserer Ferienwoche finden.

Widderchen oder Blutströpfchen meterhoher Pestwurz die Kirche in Campodolcino …sie läuten Pizza!

Inzwischen hat man ausgeschlafen und wir können im separaten Ferienhaus unsere Zimmer beziehen. Es ist eine einfache Zweistern-Unterkunft mit viel Platz und aus den zwei Zweier-Zimmern, machen wir einen Dreier-Frauenschlag und benutzen einfach das obere Kajütenbett und Pascal kann sich eines der drei Betten in seinem Zimmer aussuchen. Direkt vor den Fenstern der Kirchturm, wo man die Glocken nicht nur hören, sondern auch sehen kann, wie sie an einem grossen Rad hängend läuten. Um halb sechs Uhr gibt es sogar ein richtiges Glocken-Konzert mit Melodien in allen Variationen. Ob man dazu wohl die Glocken mit Hämmern bespielen kann?
Um zu unserem Restaurant zu kommen, gibt es nun einen gemütlichen Spaziergang durchs Dorf Campodolcino. Zuerst über die römische Brücke gleich hinter dem Haus, vorbei am Friedhof, wo man staunt, dass es immer noch ganz modern ist, dass sich die oberen Zehntausend mit architektonischen Extravaganzen für ihre Grabmäler vom Fussvolk unterscheiden müssen.
Am Weg liegt auch das Museum der Via Spluga, wo man vieles an Dokumenten und anderes aus alten Zeiten über Handel und Transport über den Splügen sehen könnte, aber es ist jetzt zu spät. Eine Tür ist allerdings noch offen, wo ich meine Gwundernase reinstecken kann. Es ist eine alte Privatkapelle im Keller dieses Hauses, wo man hinter Vitrinen, in kostbare Verzierungen eingerahmt, Knöchelchen bewundern kann. Reliquien sagen sie denen und ich Banause kann damit überhaupt nichts anfangen. Draussen neben der Tür auf dem Feierabend-Bänklein geniessen zwei Glocken wohl auch ihre Pension.
Esti führt uns nun in der Pizzeria die Treppe hinunter in einen steinernen, gewölbten Raum, wo sie für uns reserviert hat. Die riesigen Pizzen in allen Variationen sind direkt eine Herausforderung, aber gut und ich muss daheim auch mal eine solche mit Apfelringlein ausprobieren. Ziemlich gut genährt, falle ich heute in einen tiefen Schlaf und höre entgegen meinen Befürchtungen nicht mal, ob die Kirchenglocken nun alle viertel, halbe oder ganze Stunden schlagen.


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